Merken

Kunst und Kurskorrekturen im Maisfeld

Ditzinger Maislabyrinth

Kunstwerk im Maislabyrinth

Jean-Claude Winkler

Kunst im Feld: Die Gänge werden am Reißbrett geplant und in Handarbeit exakt aufs Feld übertragen. So entsteht jedes Jahr ein neues Kunstwerk, das von oben erkennbar ist.

Was Familie Siegle vor rund 20 Jahren als Idee aus den USA nach Ditzingen mitbrachte, hat sich zur festen Größe im Ferienprogramm entwickelt. Der größte Maisirrtum ist zu denken, das Maislabyrinth sei nur für Kinder.“ Das Zitat von Anja und Gerhard Siegle warnt Erwachsene auf der Homepage vor allzu viel Hochmut. Starten wir also gleich mit einem Selbstversuch. Alles easy, drin ist man schnell. Erste Zweifel, ob man je wieder herausfindet, kommen aber schneller als gedacht: Bereits wenige Abzweigungen später poppt im Hirnstübchen die bange Frage auf, ob einem Google Maps da überhaupt helfen würde? Die Orientierung geht in den engen Schluchten zwischen meterhohem Mais nämlich recht schnell flöten. Ist eigentlich auch klar. Denn wonach richten wir uns, um uns zu orientieren? Nach der Sonne. Und wo ist die? Keine Ahnung. Man sieht ja hier aus der Ameisenperspektive nicht über die grünen Wände hinaus und fühlt sich wie im Film „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft“. Erst recht, wenn sich die Sonne auch noch hinter Wolken versteckt.

Nix mit Pipifax

Mal sehen, wie es den Jungs ergeht: „Links?“, fragt Luis ungeduldig. „Nein, warte!“, erwidert sein Kumpel Lasse, nachdem die beiden schon bestimmt zehn Minuten erfolglos durch die Gänge geirrt sind und von den Quizstationen noch keine einzige gefunden haben. Er versucht es nun mit Systematik – er studiert den Lageplan. „Wo sind wir jetzt eigentlich?“, fragt er, nachdem er die Karte dreimal gedreht hat. „Da?“, deutet Luis auf den Plan. „Aber hier war doch gerade dieser Kreisverkehr“, wider­spricht Lasse, „ich glaube, wir sind hier.“ Dann verschwinden die beiden wieder in den Gängen, um den Zusammenhang zwischen ­Papier und Realität weiter zu erkunden. „Pipifax, das machen wir mit links“, erwies sich also auch bei den beiden Zwölfjährigen als Fehleinschätzung.

Turm im Maislabyrinth

Jean-Claude Winkler

Zur Orientierung steht im Labyrinth ein sieben Meter hoher Turm. Von dort hat man einen schönen Aus- und besseren Überblick.
Ausblick vom Turm

Jean-Claude Winkler

Zur Orientierung steht im Labyrinth ein sieben Meter hoher Turm. Von dort hat man einen schönen Aus- und besseren Überblick.
PreviousNext

Das Maisfeld ist ja auch nicht gerade klein, und übersichtlich schon gar nicht. Ganze 25 000 Quadratmeter misst das Feld, das Familie Siegle in liebevoller Arbeit zum spannenden Suchspiel umfunktioniert. Hallo? Das sind 250 Ar. Oder für Fußballer: circa drei bis vier Spielfelder. Darin erstrecken sich zweieinhalb Kilometer Wege, die wir gefühlt mehrfach zurücklegen. Unzählige Gänge, Kreise, Sackgassen ... Mit der Zeit verbessert sich trotz der grünen Blätterwände der Orientierungssinn. Die Vogelperspektive hilft ein wenig, sprich: der Blick vom sieben Meter hohen Aussichtsturm aus Gerüst-Elementen mitten im Maisfeld – sofern man den Aufgang findet. Und die Jungs? „Hallo“, ruft es aus dem Gang nebenan. „Habt ihr schon eine Station gefunden?“ – „Nein! Ihr?“ – „Ja, eine.“ – „Echt? Wo ist die?“ Man sucht also inzwischen bei fremden Teilnehmern Rat. Kurze Zeit später bestätigt sich der hilfreiche Tipp von Anja Siegle: „Eine Station ist da, wo’s laut wird.“ Stimmengewirr aus Nord/Nordost führt tatsächlich zur ersten Station. Hier wartet eine Quizfrage zum Maisfeldmotiv auf die Labyrinth­wanderer. „Das Quiz haben wir uns ausgedacht für die, denen der Weg als Ziel nicht reicht“, erklärt Anja Siegle schmunzelnd. Immerhin: Der Anreiz ist groß, schließlich werden am Saison­ende aus allen Teilnehmern Gewinner ausgelost und mit Familienkarten für den Europa-Park oder den Dampfzug Feuriger Elias, mit Kinokarten oder Einkaufsgutscheinen belohnt. Gefunden, Frage beantwortet, erste Station abgehakt – Check! Weiter geht die Reise quer durchs Gemüse.

Keine Aliens, Kunst

Um den Acker zu dem zu machen, was er für die Besucher ist, betreibt die ­Familie Siegle einen enormen Aufwand. Ursprünglich haben die Siegles die Idee von einem Aufenthalt in den USA mitgebracht und in Ditzingen ein ganz normales Labyrinth gestaltet. Mit den Jahren verfeinerten sie die Idee, und heute gilt der Motiv-Irrgarten als Markenzeichen ihres Hofs. Jedes Jahr wird ein neues Bild geschaffen. Die Vorbereitungen beginnen bereits im April, wenn 400 000 (!) Pflanzen gesät werden. Während die im Mai sprießen, entsteht das Labyrinth vorläufig am Reißbrett. Im letzten Jahr war das Thema die Arktis mit Iglus, Walrössern, Walen und anderen Meerestieren, auch ein Schiff und der obligatorische Eisbär fehlten nicht.

Beim Erkunden der Irrwege in den Gängen fällt einem das Kunstwerk freilich kaum auf. Piloten, Flugzeugpassagieren und anderen, die Ditzingen von oben ­sehen, bietet sich jedoch ein toller Anblick. Welche Freude dieses Gebilde wohl bei Ufo-Gläubigen auslösen würde, wo mancher doch schon bei einfachen Kornkreisen Alien-Invasionen vermutet? Im Juni werden die Wege auf dem Feld gemäß dem Plan aufwendig ausgemessen und maßstabsgetreu von Hand abgesteckt und freigehackt, nicht von Aliens, sondern von Hand. Die so entstandenen Pfade bekommen einen Belag aus Holzhackschnitzeln. Die sorgen dafür, dass das Labyrinth auch bei Nässe noch einigermaßen begehbar bleibt. „Nur bei sehr starkem Regen wird’s schwierig“, sagt Anja Siegle. Jetzt im Juli ist sie mit den Vorbereitungen fertig. Nur in einem einzigen Jahr hat sie mitgezählt, da kam sie auf 1189 Stunden Aufwand.

Navigation durchs Maislabyrinth

Jean-Claude Winkler

Ameisenperspektive im Maisfeld – die Zwölfjährigen Luis und Lasse bei der Navigation durchs Labyrinth
Gänge im Maislabyrinth

Jean-Claude Winkler

PreviousNext

Am ersten Wochenende der Sommerferien fällt der Startschuss. Danach hat das Ditzinger Maislabyrinth die ganzen Ferien bis Anfang September geöffnet, also insgesamt 44 Tage. Bei fast jedem Wetter. „Wenn es arg regnet, kommen natürlich sehr wenige Gäste. An Wochen­enden ist der Andrang am größten.“ Unter der Woche versorgt Familie Siegle die Besucher mit Getränken, wochenends sorgen verschiedene Vereine für die Bewirtung. Mal grillt ein Faschingsclub, ein Fanfarenzug oder der Albverein, dann serviert das Jugendrotkreuz Cheeseburger oder der Hundeverein (bezeichnenderweise) Hotdogs. Auch der Bund für Kraftfahrer ist mit von der Partie und zeigt, dass sie nicht nur ihr „Heilix Blechle“, sondern auch den Umgang mit dem Backblechle beherrschen. Dazu gibt es am Wochenende ein Unterhaltungsprogramm mit Musik durch Bands oder DJ. Für Zusatzspaß sorgt eine Strohhüpfburg.

Jeder Einzelne zählt

Für die Siegles ist das Ganze Familiensache. Alle sind involviert, auch die Kinder. Jeder trägt sein inzwischen beruflich gewonnenes Know-how bei. So lebt die 25-jährige Tochter Christina zwar als UX-Designerin in Kanada, betreut aber den Internetauftritt des Unternehmens. Sohn Julian und die jüngste Tochter Jana (20) sind gerade in der Berufsausbildung zum Wirtschaftsingenieur beziehungsweise zur Zollbeamtin. In die Landwirtschaft wie die Eltern wollte keins der Kinder, was Anja Siegle vollkommen versteht. Schließlich war das schon immer ein harter Job, und kleinere Betriebe müssen sich strecken, um sich über Wasser zu halten. So betreiben als Zubrot einige ihren Hofladen, andere vermieten Ferienwohnungen, und die Siegles haben eben ihr Maislabyrinth. Die Besucher haben sie trotzdem nie exakt gezählt. „Wir freuen uns über jeden Einzelnen“, sagt Anja Siegle. Die kommen nicht nur aus ­Ditzingen, sondern aus dem ganzen Gäu – und natürlich zieht es auch Kinder aus der Großstadt hierher, Stuttgart liegt ja nur wenige Kilometer entfernt.

Sssssssssssst … Das summende Geräusch kommt von oben. Eine Drohne mit Kamera erscheint in dem kleinen Ausschnitt vom Himmel über den Maisgängen. Das sorgt innerhalb des Labyrinths für Spekulationen: „Bestimmt hat sich jemand verirrt, und jetzt suchen sie ihn mit der Drohne“, mutmaßt ­Hannah (8 Jahre) – gute Idee, geben wir als Vorschlag an die Betreiber weiter. Tatsächlich gehört die Drohne aber zum professionellen Equipment des Mein Ländle-Fotografen Jean-Claude ­Winkler, der sie von außerhalb des Maisfelds steuert und damit Luftaufnahmen macht. Vermutlich hat er großen Spaß dabei. „Mit dem Essen spielt man nicht“, hat man uns als Kinder zwar beigebracht. Aber wir spielen ja nur im Essen, und zwar in dem der Kühe – nach der Labyrinthsaison werden die Pflanzen nämlich sorgfältig verwertet: als Tierfutter.