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Klosterbibliothek in Bad Schussenried

Nicht nur Bücher wie gemalt – in der Klosterbibliothek Bad Schussenried stecken gemalte Botschaften in jeder Ecke.

MEIN LÄNDLE / Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg Günther Bayerl

Nicht nur Bücher wie gemalt – in der Klosterbibliothek Bad Schussenried stecken gemalte Botschaften in jeder Ecke.

Auch heute lassen sich Besucher von dem gewaltigen Raum bezaubern – auch, wenn hier nichts so ist, wie es scheint.

Wer denkt bei dem Wort „Klosterbibliothek“ nicht an den verwinkelten dunklen Raum voller Geheimnisse aus Umberto Ecos „Der Name der Rose“? Aber in Bad Schussenried stimmt schon das lichtdurchflutete, opulent verzierte Treppenhaus im Westflügel auf ganz andere Raumerlebnisse ein. Barbara Maier öffnet die doppelflügelige Tür – und schon entschweben Blick und Gedanken gen Himmel. Durch 14 übereinanderliegende Fenster auf der Südseite fällt das Sonnenlicht, in allen Ecken glänzt es. Die Augen gehen auf Wanderschaft, sie huschen über decken­hohe Bücherschränke und Säulen, weiße Figuren, Gemälde an der Galerie­unterseite bis zur raumüberspannend bemalten ­Decke. Bevor sich der Blick vollends in diesem Rokoko-Wimmelbild verirren kann, übernimmt Barbara Maier die Führung: „Dieser Saal ist eine Raumschöpfung der Aufklärung. Er ist hell und luftig“, erklärt sie. Ganze 98 Personen zeigt das Gemälde. Auf den ersten Blick wirkt das Deckenfresko, das Franz ­Georg Hermann mit seinem Sohn und zwei Gehilfen 1757 vollendete, unübersichtlich. „Aber nach einer Weile merkt man, dass alles bestens durchdacht ist“, ergänzt Barbara Maier.

Barbara Maier macht die Bibliothek durch Anekdoten lebendig.

MEIN LÄNDLE / Viola Krauss

Barbara Maier macht die Bibliothek durch Anekdoten lebendig.

Durchdacht und voller Bedeutung, soll das Deckengemälde das Wirken der göttlichen Weisheit zeigen. In der Empore über den Bücherschränken sind die Künste wie Musik, Bildhauerei, Malerei und Architektur abgebildet. Im ovalen Deckengemälde wurden wissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Lehren und Studienschwerpunkte der Prämonstratenser-Mönche verewigt, beispielsweise ist die Philosophie mit Aristoteles und Sokrates zu sehen. In der Mitte des Freskos wird Jesus Christus verehrt, dargestellt als Kind mit seiner Mutter, am Kreuz und zentral in der Bildmitte als Lamm, das im Himmel herrscht. Die Botschaft des Schussenrieder Konvents ist klar: Gott, der Glaube und damit auch die Kirche stehen über den Wissenschaften.

Im Deckengemälde ist alles bis ins Detail durchdacht.

MEIN LÄNDLE / Viola Krauss

Im Deckengemälde ist alles bis ins Detail durchdacht.
Luftlöcher in den Schmuckelementen sorgten für gutes Bücherklima.

MEIN LÄNDLE / Viola Krauss

Luftlöcher in den Schmuckelementen sorgten für gutes Bücherklima.
Bücherregel in der Klosterbibliothek Bad Schussenried

MEIN LÄNDLE / Viola Krauss

Bücherregel in der Klosterbibliothek Bad Schussenried
Manches ist hier „nur“ schöner Schein, aber vieles auch ziemlich raffiniert - Die unteren Schranktüren verbergen ein Klapp-Pult mit Sitz.

MEIN LÄNDLE / Viola Krauss

Manches ist hier „nur“ schöner Schein, aber vieles auch ziemlich raffiniert - Die unteren Schranktüren verbergen ein Klapp-Pult mit Sitz.
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Moment mal!

Wie ein Juwel strahlt dieser Raum in lichten Farben. Architektur, Skulptur und Malerei wirken zusammen und verdrängen die Bücherwände zunächst aus der Wahrnehmung. Von einer normalen Bibliothek ist der Schussenrieder Büchersaal Lichtjahre entfernt. Geht es doch üblicherweise darum, möglichst viele Bücher gut und praktisch sortiert unterzubringen. Aber ganz im Sinne des heiter-ironischen Sparkassen-Werbespots aus den 1990er-Jahren „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ wetteiferten die Klöster im 18. Jahrhundert miteinander, wer wohl die prächtigsten Besitztümer vorzuweisen hatte. Die Schussenrieder Prämonstratenser wollten hochrangigen Besuchern zeigen, wozu sie fähig waren; ihre Bibliothek demonstriert das eindrucksvoll.

Bilder und ein Video vom Kloster Schussenried finden Sie hier.

Wie es sich für eine Bibliothek gehört, stehen die Schränke von oben bis unten voll mit Büchern. Hie und da klafft eine kleine Lücke, wo ein Band gegen das nächststehende Buch gekippt ist. Doch Moment mal! Die Buchrücken sind nur aufgemalt. Die echten Wissensschätze aus Pergament und Papier standen hinter geschlossenen Schranktüren. Dort waren sie unter anderem vor Sonnenlicht besser geschützt. Zudem passte das Gemalte besser ins Bild. „Echte Buchrücken würden wahrscheinlich nie so einheitlich aussehen“, erklärt Barbara Maier schmunzelnd und macht gleich auf eine weitere Besonderheit der Scheinbibliothek aufmerksam: die Türfüllungen. „Einige sind aus Holz, andere aus Leinwand.“ Sie zeigt auf Eckverzierungen in den Türen. Die hölzernen ­haben ein etwa fingergroßes herzförmiges Loch, die leinenen an dieser Stelle eine kleine Halbkugel. Die verschiedenen Türmaterialien und auch die Verzierungen mit oder ohne Loch konnten den Büchern ein unterschiedliches Klima bieten – mal mit mehr, mal mit weniger Luftaustausch.

Auch wenn sich die spätmittelalterliche Studienbibliothek zur repräsentativen Schaubibliothek entwickelt hatte, in diesem Bibliothekssaal wurde durchaus gearbeitet und studiert. Hinter den unteren Schranktüren verbergen sich ausklappbare Lesepulte. Vorsichtig öffnet die Führerin zwei der Türen und zeigt die raffinierte Einrichtung. Ebenfalls sehr clever: Links und rechts der Fenster steht in goldenen Flachreliefs jeweils das „Inhaltsverzeichnis“ der nebenstehenden Schränke in lateinischer Sprache.

Das Vogelschau Gemälde von 1721 veranschaulicht den imposanten Umfang der Anlage.

MEIN LÄNDLE / Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg Armin Weischer

Das Vogelschau Gemälde von 1721 veranschaulicht den imposanten Umfang der Anlage.

Grandioser Leerstand

Dass heutzutage kein einziges Buch mehr hinter den Schranktüren der klösterlichen Bücherschränke steht, mag enttäuschend klingen. Doch der Grund dafür ist überaus spannend und könnte selbst ein Buch füllen. Napoleons Sieg und der folgende Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation besiegelte das Schicksal des klösterlichen Buchbestandes.

1803 ging der Konvent an die Grafen von Sternberg-Manderscheid, als Ausgleich für die Abtretung der links­rheinischen Gebiete an Frankreich. 1806 entstand das Königreich Württemberg, der König wurde Landesherr. Im Oktober 1810 ließ das Königshaus unter anderem die Bibliothek, in 141 Kästen verpackt, auf 35 Wagen nach Stuttgart transportieren. Damit begann ein jahrelanges juristisches Zerrspiel. Große Teile des Bestandes wurden in die königliche Privatbibliothek eingegliedert.

Der Graf von Sternberg gewann den Rechtsstreit schließlich und das Königshaus musste die Bücher wieder herausrücken. Doch nur noch rund 11 000 der ursprünglich 25 000 kehrten zurück, wie geschätzt wird. So schrieb der Schussenrieder Kirchenmesner Franz Xaver Ruez in sein Tagebuch: „Am 11. Mai 1820 ist die Bibliothek wieder von Stuttgart nach Schussenried gebracht worden, welche seine Majestät hat nach Stuttgart führen lassen, wie (…) Service und anderes; Silber vom Hof und dergleichen ist nicht mehr, wie auch einige Bücher zurückgekommen.“ Die Sternberger verkauften einige Jahre später den Restbestand für 2500 Gulden an den Stuttgarter Antiquar Steinkopf. Wertvoll und gern genutzt ist die Bibliothek heute auch ohne Buchbestand – und zwar auch als grandioser Konzertsaal, in dem unter anderem Stars der Metropolitan Opera in New York auftreten.

Paris, New York, Bad Schussenried

Baukunst von Weltrang

Der Bibliothekssaal des ­Klosters Bad Schussenried entstand zwischen 1754 und 1762 und gilt als eines der besonderen Glanzlichter des süddeutschen Rokoko. Imposante 26,80 Meter lang, 13 Meter breit und rund 7 bis 9,50 Meter hoch,  wird diese Raumschöpfung oft in einem Atemzug mit Wissenstempeln in Paris, Cambridge oder New York genannt.

Die Klosterbibliothek kann mit Audioguide oder in einer Gruppenführung erkundet werden. Bei der angebotenen Schauspielführung gibt sich der berühmteste Bad Schussenrieder, der geniale Chorherr Caspar Mohr, die Ehre.

Kloster Schussenried
Neues Kloster 1
88427 Bad Schussenried
Telefon: 07583 9269140

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