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Stich für Stich

Nähmaschinenmuseum in der Orangerie

Nähmaschinen Museum in der Orangerie

Mein Ländle / Nähmaschinenmuseum / Martin Stein

Fast 400 Nähmaschinen, gebaut etwa zwischen 1870 und 1970, stehen im Haus von Susann Voelske und Martin Stein. Die Modedesignerin und der Physiker leben und arbeiten mit den Schätzen in ihrem Museum mit Leidenschaft, Erfolg und erstaunlich zeitgemäß.

In der romantischen Orangerie im Stil der Wiener Gründerzeit würde man sich gern mit einer Tasse Tee und der neuesten Mein Ländle-Ausgabe niederlassen. Aber das Glashaus mit der weißen Stahlkonstruktion, das da im Schwäbisch-Fränkischen Wald steht, ist anderem vorbehalten: rund 40 mechanischen Nähmaschinen. Schon etwas in die Jahre gekommen, bilden sie den Kern des Nähmaschinenmuseums in Fichtenberg. Gesammelt, umsorgt und gepflegt werden sie von Martin Stein. Ihn begeistert die Mechanik, die einfach und raffiniert zugleich ist und ganz ohne Mikrochips auskommt. Heute ist er gewissermaßen Fachmann für Nähmaschinen, aber auch für deren Geschichte und die Geschichten drumherum. Natürlich saß Martin Stein schon als kleiner Junge auf dem Trittbrett der Nähmaschine seiner Mutter. Er benutzte das Schwungrad als Lenkrad, klemmte sich die Finger und bekam dafür „eine geschossen“, wie er sagt. Seine wahre Leidenschaft für Nähmaschinen entwickelte er jedoch erst, als er Susann Voelske kennenlernte. Die Modedesignerin mit eigenem Atelier kaufte sich schon mal auf dem Flohmarkt die eine oder andere alte Kurbelmaschine. Als der Mechanikermeister, der ihre Atelier- und antiken Nähmaschinen wartete, seine Arbeit einstellte, ging der Hausherr, Martin Stein, selbst ans Werk. Und das als studierter Physiker und vielseitig interessierter Mensch mit Erfolg.

Nähmaschinen Museum in der Orangerie

Mein Ländle / Simone Mathias

Über welche Stoffe mag das Nähfüßchen der alten Maschine wohl schon gerattert sein?

Maßlos, aber …

Im Lauf der Zeit gesellte sich ein Oldtimer nach dem anderen zur Sammlung: Kayser, Singer, Mundlos, Turissa, Adler, Vesta, Gritzner, Phoenix, Dürkopp … klingende Namen in den Ohren von Nähmaschinensammlern. Die formschönen, teils opulent verzierten Maschinen umgibt eine Aura des Unvergänglichen, so gusseisern und fest, wie sie dastehen. Martin Stein arbeitete sich geduldig in jeden einzelnen Nähmaschinentypus ein, lernte Baupläne zu verstehen, restaurierte und wartete seine Schätze. Anfangs saß er oft ratlos vor Schräubchen, deren Norm „weder Zoll noch metrisch“ ist. Er musste erkennen, dass einst jede Fabrik ihre eigenen Maße hatte. Eine standardisierte Fertigung und genormte Bauteile gab es in der Frühzeit des Maschinenbaus nicht; in Deutschland etwa wurde das Institut für Normung erst im Jahr 1917 gegründet. Die damals weltweit rund 5000 üblichen Nadelsysteme sind „für jemand, der alte Nähmaschinen restaurieren will, eine Herausforderung“, erläutert Stein. Mittlerweile weiß er sich zu helfen und kann fehlendes Zubehör mit Drehbank, Fräser und -Laser nötigenfalls selbst herstellen. Er ist in der Lage, am Geräusch der Nähmaschine, an ihrem „Schnurren“, ihre Lauffähigkeit und Qualität zu bestimmen, aber auch zu hören, wo sie eine Macke hat. „Den berühmten Kammerton a gibt es auch bei uns“, erläutert er mit einem Vergleich zur Musik. „Wenn der sauber klingt, ist die Maschine in Ordnung.“

Nähmaschinenmuseum in der Orangerie

Mein Ländle / Nähmaschinenmuseum Martin Stein

… gefühlvoll

Erstaunlich sei, „dass alte Nähmaschinen positive Emotionen auslösen“. Das gleichmäßige Rattern einer Tretmaschine beruhigt und entspannt offenbar; dabei scheint die Sehnsucht nach Entschleunigung, Familie und heiler Welt mitzuschwingen. Das weiß er von seinen Museumsgästen. Bei den Führungen durch seinen „Maschinenpark“, in dem auch mechanische Spezialitäten wie Knopfloch- oder Schusternähmaschinen stehen, hören die Besucher neben Technischem und Praktischem auch gefühlvolle Geschichten: etwa die von der Elna „Grasshopper“, einer 1941 gebauten Schweizer Koffernähmaschine, die ein amerikanischer Soldat aus Deutschland in seine Heimat mitnahm. Fünf Jahrzehnte später sah die Enkelin der früheren Besitzerin auf einer Reise eine „Grasshopper“ in einem Antiquitätenladen in New York. Dabei fand sie – nahezu unglaublich – einen Brief mit dem Namen der Großmutter: Sie hatte tatsächlich die Maschine der Ahnin vor sich. So trat der grüne „Grashüpfer“ zusammen mit der jungen Frau die Reise zurück nach Deutschland an. Heute steht sie im Fichtenberger Museum.

Oder die Geschichte von der alten Dame aus Willsbach, die ins Pflegeheim ging und ihre Nähmaschine in guten Händen wissen wollte. Ihr Vater, ein Weinbauer, hatte sie um 1965 für etwa 800 Mark gekauft, richtig viel Geld, gleich mehrere Monatsgehälter. Deshalb sei die alte Dame überglücklich und ihre Tochter zu Tränen gerührt gewesen, als die Maschine im Museum einen Platz fand, wo sie sogar noch arbeiten darf. Denn sie steht in keinem „Bitte-nicht-berühren-Museum“. Die meisten Nähmaschinen hier sind intakt, dürfen ausprobiert, ja sollen sogar benutzt werden. Wer zum „Nadelbrunch“ kommt, kann nach dem Frühstück an den Tretmaschinen eine Näharbeit in Angriff nehmen, unterstützt von Susann Voelske. So manche, die sich zu ihrem Handarbeitsunterrichtstrauma bekannten, seien schließlich kaum zu bremsen gewesen: „Sie hatten viel Freude und einige Teilnehmerinnen richtige Aha-Erlebnisse, weil sie erstmals etwas mit den eigenen Händen produziert haben“, erzählt Martin Stein.

Susann Voelske selbst schwört auf -mechanische Maschinen und arbeitet überwiegend auf ihnen. Sie schätzt deren Präzision, die jene von elektronischen Modellen klar schlägt. Die Modedesignerin, die ihren Beruf in Wien erlernte und ihr Atelier seit über 30 Jahren betreibt, hat die Wahl unter vielen, doch ihre Lieblinge sind eine Pfaff aus den 1920er-Jahren mit doppeltem Stofftransport sowie eine Mantelmaschine, mit der man einst in Nördlingen im Bekleidungswerk Strehle Damenmäntel und Kostüme nähte.

Nähmaschinen Museum in der Orangerie

Mein Ländle / Simone Mathias

In der lichten Orangerie in Fichtenberg haben rund 40 Nähmaschinen mit Geschichte ihren Altersruhesitz gefunden.

Nachhaltig schön

Susann Voelske ist also längst dabei, ihr Atelier „zurückzuentwickeln“, hin zum stromlosen Nähen und zu einer umwelt- und sozialverträglichen Herstellung, angefangen beim Stoff bis hin zum Nähvorgang. Für sie und Martin Stein gibt es kaum etwas Nachhaltigeres als eine solide mechanische Nähmaschine aus Metall; die außer der menschlichen Tretleistung keine Energie verbraucht, die vor 100 Jahren gut nähte und das bei etwas Pflege in 100 Jahren auch noch kann. Umso mehr ärgert den leidenschaftlichen Sammler Martin Stein, wenn die Funktionsfähigkeit kulturhistorisch wertvoller Maschinen zerstört wird, um sie scheinbar gefällig als Schaufensterdekoration oder Ladeneinrichtung zu verwenden. Und ebenso schlimm: Das Zubehör wie Nadeln, Schiffchen oder Spulen wird als unbrauchbar entsorgt. Das tut weh.

Er selbst schönt die Nähmaschinen nicht. Altersspuren, ihre „Leidenswege“, bleiben sichtbar. Alle Fundstücke bei den Maschinen verwahrt er sorgfältig, Anleitungen, Ölkännchen, kleine Werkzeuge, Nähkissen, Garnspulen; auch eine Sammlung „geretteter“ Knöpfe zeugt davon. Spätestens jetzt ahnt auch der Laie: Die gusseisernen Senioren, die ihre Besitzer arbeitsam durch stürmische Zeiten begleiteten, haben es verdient, ihren Lebensabend im Ambiente des schönen Gewächshauses zu verbringen.

Nähmaschinen Museum in der Orangerie

Mein Ländle / Simone Mathias

Das Modecafé in Susann Voelskes Atelier findet in ungezwungener Atmosphäre statt. Freundlich-wohlwollende, ehrliche Beratung inbegriffen!

Im Atelier können sich die Damen beim Modecafé die Kollektionen anschauen und einkleiden. Neben Nadel­brunch und Nähkursen finden Modenschauen und ein Weihnachtsmarkt in der Orangerie statt. Derzeit ist das umtriebige Paar Voelske/Stein dabei, Menschen mit Behinderung zu ermöglichen, als Designer direkten Einfluss auf ihre Kleidung zu nehmen. Dazu sollen eine spezielle Online-Plattform für Modeentwürfe, Inklusionsarbeitsplätze und ein Online-Shop gegründet werden. Die Schnitte entstehen im Atelier.

Mehr unter: www.respectdesign.de

Nähmaschinenmuseum in der Orangerie

Mein Ländle / Simone Mathias

Auch wenn die farbigen Ornamente nichts über die Nähleistung der Maschine aussagen: Schön sind sie auf alle Fälle.