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Von Kleidern und Leuten

Trachtenmuseum Pfullingen

Trachtenmuseum Pfullingen

Mein Ländle / Maren Moster

Die Arbeitstrachten zeigen, dass Tracht nie Uniform, sondern immer persönlich geprägt war.

Die Sammlung ist einmalig im Land – ebenso wie ihre langjährige Hüterin.

Eine Originaltracht gibt es nicht“, sagt Dorothea Brenner. „Die Mode der jeweiligen Zeit beeinflusste auch immer die ländliche Kleidung.“ Sie kennt sich aus. Fast 20 Jahre enga­gierte sie sich im Pfullinger Trachtenmuseum ehrenamtlich und leitete es 16 Jahre. „Das Wort Tracht war ursprünglich ein Synonym für Kleidung“, ergänzt sie. Der 75-Jährigen kann man glauben. Sie hat ihr Fach studiert. Mit 55 Jahren machte sie ihr Abitur, um sich damit endlich ihren Traum zu verwirklichen: das Studium der Volkskunde, in Tübingen heute Empirische Kulturwissenschaft, und der Neueren Geschichte mit Schwerpunkt Landeskunde. Seit 2004 hat sie den ­Magister in der Tasche. Ihre Magister­arbeit hat sie über die Echterdinger Tracht geschrieben und gleich einen Fehler aufgedeckt: Bei der Männertracht müssen vier Knöpfe offen, drei geschlossen und der Rest offen sein, so war die Meinung. Beim Vergleich alter Bilder zeigte sich jedoch, dass der wachsende Bauch die Knopfordnung bestimmte. Die Echterdinger Tracht darf im Pfullinger Museum natür­lich nicht fehlen. Außerdem sind in dem ehemaligen Wohnteil einer Mühle weitere 180 Trachten ausgestellt, im Fundus schlummern noch zwei- bis dreimal so viel.

Trachtenmuseum Pfullingen

Mein Ländle / Maren Moster

Dorothea Brenner freut sich an der guten Stoffqualität, die sich in dem antiken Weißzeugschrank stapelt.

Feste unter der Haube

Die einzigartige Sammlung bäuerlicher Kleidung enthält nahezu lückenlos alle Hauptformen des ehemaligen Königreichs Württemberg. Das Gebiet Altwürttemberg, aus dem etwa130 Exponate stammen, umfasste Neckartal, Albvorland, Schwäbische Alb, das Gebiet um Ulm, Härtsfeld mit Ellwangen, Hohenlohe, evangelisches und katholisches Gäu, Filder und die Einzugsgebiete Reutlingen und Tübingen sowie die Bollenhuttracht, die Sankt Georgener Tracht und die Tracht von Lehengericht … die Liste ist schier endlos. Den Grundstock dieses Schatzes bildete eine Sammlung des Schwäbischen Albvereins (SAV). Den Zukauf von einem Tübinger Händler schenkte sich der SAV zu seinem 100-jährigen Bestehen 1988; Dorothea Brenner erinnert sich noch gut an diese Anfänge.

Trachtenmuseum Pfullingen

Mein Ländle / Maren Moster

Auf der Schwäbischen Alb putzten sich Frauen mit der Bänder- oder Backenhaube zu Festen oder zum Kirchgang heraus.

Heute sind die Neuzugänge meist Spenden, wobei es nicht um die schönsten und kostbarsten Stücke geht, sondern um die Tracht als Teil der Alltagskultur. Sie spiegelt jeweils eine bestimmte Bevölkerungsschicht in einer bestimmten Zeit und Region, und die jährlichen Sonderausstellungen greifen immer ein Alltagsthema zur Kleiderforschung auf. In diesem Jahr geht es zum Beispiel um Schuhe und Körbe vom Barock bis zur Neuzeit. Grundsätzlich zeigt die Ausstellung nur Kleidung des täglichen Gebrauchs – und zwar in allen Varianten, also Kleidung von Männern und Frauen, für Werktag und Sonntag, vom Festgewand bis zur Trauerkluft und von der Jugend bis zum hohen Alter. Nicht alle Trachten sind vollständig, aber sogar die Lücken machen deutlich, wie vielfältig die Kleidung war und welchen Einfluss die Mode ausübte, sei es bei Bändern, Hauben oder Tüchern. Begeistert weist Dorothea Brenner auf die ­Eutinger Trachten. Zu den ältesten Stücken aus dem Spätbarock gehören einige hell­blaue Seidenmieder. Dazu trugen die Frauen an Festtagen kostbare Hauben mit Brokatstickerei. „Hauben trug man nur für Familienfeste und in der Kirche. Normalerweise hatte die Bäuerin ein Kopftuch auf“, sagt Dorothea Brenner. Zur damaligen Zeit waren Eutingen und Umgebung vorderösterreichisch, woher auch die Mode kam. „Die Bauern durften aus ihrem Stand heraus nicht jeden Stoff kaufen. Deshalb trugen vor allem die Reichen bessere Trachten.“ Gerade von den Eutinger Trachten in den Stilen des 19. Jahrhunderts sind erstaunlich viele Stücke gut erhalten. Trotzdem werden bei Heimatumzügen und -festen heute Nachfertigungen getragen, damit die alte Tracht nicht verloren geht und die Originale nicht beschädigt werden.

Trachtenmuseum Pfullingen

Mein Ländle / Maren Moster

Schlicht und praktisch: die „Schaffhäser“ in Württemberg aus Leinen oder Baumwolle

Warum billig teurer war

Aus der Ostbaar stammen dicke Röcke aus Tuch, die mit einer Borte verziert sind. „Diese Wollröcke trug man im Winter bei der Hausarbeit; für den Sommer gab es leichtere. Ging man weg, zog man einen besseren Rock und eine schönere Schürze darüber“, sagt die Expertin. Dieser Wollrock wurde nicht gewaschen, nur gelüftet, die Flecken ausgebürstet. Nachhaltig habe man damals gelebt, beim Kauf auf Qualität geachtet. „Die armen Bauern konnten sich keine billigen Schuhe leisten“, meint Dorothea Brenner. Billige Schuhe gingen schnell kaputt und ­waren auf lange Sicht teurer als ein Paar hochwertige.

Weiter geht’s ins obere Stockwerk. Regeln und Vorschriften, Alltagssituationen wie Dorftratsch, Hochzeitsbräuche und die Mode im Dorf des 19. Jahrhunderts werden hier lebendig. Beim Anhören der im Dialekt gesprochenen Dialoge, umgeben von Trachten, kann man sich gut vorstellen, wie das früher so war in Württemberg. Im selben Raum ist außerdem die gesamte Kleidung aus dem Besitz von Katharina Bückle (­1916­–­2014) aus Bernstadt (heute im Alb-Donau-Kreis) ausgestellt, dar­unter ihr seidenes Hochzeitskleid in Schwarz – lange die übliche Hochzeitsfarbe. Überhaupt war Schwarz beliebt, weil man lange trauerte und für Verheiratete sowieso gedeckte dunkle Farben üblich waren. Bei der Kleidung sei man früher flexibel und vor allem sparsamer gewesen. Man dachte praktisch und warf auch so schnell nichts weg. Häufig wurden die Sachen der Großmutter so lange aufgetragen, wie es ging. Lediglich bei Hochzeiten, Beerdigungen oder an Feiertagen wurde die Tracht aufwendiger und kostbarer, sofern man es sich leisten konnte. „Eine Bauersfrau hat maximal viermal im Jahr gewaschen, manchmal nur zweimal. Da musste die Alltagskleidung vor allem eins sein: robust.“ Wegen der vielen Arbeit in Haus und Hof sei nur im Januar und Februar Zeit dazu gewesen, sich um die Kleidung zu kümmern und sie in Ordnung zu bringen.

Trachtenmuseum Pfullingen

Mein Ländle / Maren Moster

Im Trachtenmuseum in Pfullingen erzählt die Alltagskleidung vom Leben im Königreich Württemberg und Umgebung.

Ja, Zeiten und Kleider verändern sich. Dorothea Brenner zeigt auf eine Litho­grafie mit einem Pärchen in Betzinger Tracht, im Hintergrund der Hausberg von Reutlingen, die Achalm, die ­Reutlinger Marienkirche – und ein Fabrik­schlot. Um 1870 war man noch stolz auf die Industrie und zeigte das auch. Damals zogen wandernde Künstler umher und malten Szenen, die den Alltag zeigen und natürlich auch die örtlichen Trachten. So lange Trachten im Alltag getragen wurden, veränderten sie sich mit der Mode. „Heute werden sie nur noch gepflegt“, meint Dorothea Brenner.

Auch für die leidenschaftliche Trachtenkennerin selbst hat die Zeit einen Wandel mit sich gebracht: Kürzlich gab sie die Museumsleitung ab. Ob sie ihre langjährige Wirkungsstätte wohl vermissen wird? Anke Niklas heißt die „Neue, die frischen Wind und junge Ideen“, wie Dorothea Brenner es nennt, ins Trachtenmuseum bringen wird. „Eine ideale Besetzung – Anke Niklas ist mit Trachten aufgewachsen und kommt beruflich aus der Textilbranche“, plaudert Dorothea Brenner aus dem Nähkästchen.