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Ein doppeltes Schicksal voller Wunder

Auf den Spuren von Kurt Klein und Gerda Weissmann-Klein

Schwetzingen: Kurt Klein Tage 2022 - Lesung mit Wolfgang Widder

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Wolfgang Widder las zu Gast bei der Badischen Heimat und der VHS ausgewählte Passagen aus „Nichts als das nackte Leben.“

Der 7. Mai 1945 war für Gerda Weissmann ein Schicksalstag: Einen Tag vor ihrem 21. Geburtstag, am letzten Tag des Krieges hatte sie im heute tschechischen Volary eine Begegnung, die ihr ganzes Leben ändern sollte: Sie, abgemagert, nur noch 31 Kilogramm leicht, schwer gezeichnet von einem über 500 Kilometer langen Todesmarsch, auf den die SS sie und ihre Mitleidenden im KZ Groß-Rosen nach Jahren der Zwangsarbeit geprügelt hatten, er, ein jüdischer Leutnant der US-Army, vor dem Krieg aus dem kurpfälzischen Walldorf in die USA geflohen und nun zurück in der ehemaligen Heimat, um diese von der Naziherrschaft zu befreien. Sie weckte seine Neugierde mit einem Goethe-Zitat: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, als er die Tür zu der Halle öffnete, in der sie und andere Überlebende des Todesmarschs sich die letzten Tage versteckt hatten.

Begegnung mit Folgen

Es war eine Begegnung, die tiefe Spuren hinterließ: Wenig später wurden Gerda und Kurt ein Paar, sie folgte ihm in die Vereinigten Staaten, wo sie, nun als Gerda Weissmann-Klein, später ihre Erinnerungen an die schreckliche Zeit in einem Buch festhielt, das in ihrer neuen Heimat rasch zum Bestseller wurde: „All but my life“, zu Deutsch „Nichts als das nackte Leben“ erschien seit seiner Erstauflage 1957 bis 2015 in 66 Auflagen – das Buch ist in den USA beinahe so bekannt wie das Tagebuch der Anne Frank, ein Standardwerk der Holocaust-Literatur.

Video: Die Geschichte von Kurt und Gerda

Große Unbekannte

Doch bis das Buch in der einstigen Muttersprache Weissmann-Kleins erschien, vergingen viele Jahrzehnte: Erst 1999 erschien die deutsche Übersetzung, diese ist heute aber auch nur noch antiquarisch erhältlich. Nur einer von vielen Punkten, in dem Wolfgang Widder Abhilfe schaffen möchte.  Der Wieslocher hat die Geschichte von Gerda und Kurt 2019 durch Zufall entdeckt, und ist seitdem auf einer Mission: Das Paar in Deutschland und vor allem in der alten Heimat Kurts, Walldorf, bekannt zu machen. Denn Kurts Leben ist mindestens ebenso erzählenswert: So ist es wohl ihm zu verdanken, dass Oskar Schindler nach dem Krieg nicht in russische Gefangenschaft geriet, er war Teil der legendären Ritchie-Boys und mit seiner Ehefrau, einer der großen US-Literatinnen der Nachkriegszeit, gründete er eine Stiftung, die sich bis heute für die Aufklärung des Holocaust, für Menschenrechte und Toleranz einsetzt.

Zufallsentdeckung

In seiner Geburtsstadt war er allerdings lange Zeit vergessen. Erst als ein Zufall Wolfgang Widder 2019 bei Recherchen zum 1250. Stadtjubiläum auf die Verbindung zwischen Gerda und Kurt und dessen alter Heimat brachte, nahm die Geschichte ihren Lauf – 2020 jäh unterbrochen von Corona, was alle geplanten Aktivitäten untergrub. Gemeinsam mit den Heimatfreunden Walldorf versucht der Psychologe dennoch das Andenken an die Kleins zu fördern - sein Buch „Kurt Klein - eine biographische Skizze“ erschien erst vergangene Woche - und organisierte aktuell die ersten Kurt Klein-Tage, die mit einem breit gefächerten Programm und unter Anwesenheit der Nachkommen der Kleins am ersten Juli-Wochenende in Walldorf stattfinden.

 

Schwetzingen: Kurt Klein Tage 2022

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Schülerinnen der Klasse 10 der Realschule Walldorf gestalteten den Einstieg in den Abend szenisch mit Passagen aus "Nichts als das nackte Leben" und musikalischen Einlagen.

Von Spargelstadt zu Spargelstadt

Auf Einladung der badischen Heimat und insbesondere von Aktivposten Dieter Burkhard stellte Wolfgang Widder die Geschichte von Kurt und Gerda nun vorab bei der VHS Schwetzingen vor. Burkhard, selbst lange Jahre Rektor an der Realschule Walldorf, war es ein Anliegen, das Thema in die Spargelstadt zu tragen. Denn eine Geschichte, die so bedeutsam ist, wie die von Kurt Klein, habe es verdient, auch hier Erwähnung zu finden, zumal, wie auch VHS-Chefin Gundula Sprenger erwähnte, in einer an jüdischer Geschichte einst reichen Stadt.

Reiche Geschichte

In der Tat, Kleins Leben ist eine reiche Fundgrube an Gedenkmaterial: Sei es der erschütternde Briefwechsel zwischen Kurt und seinen Geschwistern aus den sicheren USA mit den Eltern in Gurs, sei es die problematische Einwanderungspolitik und der grassierende Antisemitismus der 40er in den USA, die Kurt Klein 1995 als Zeitzeuge in einem Dokumentarfilm (America & The Holocaust – Deceit & Indifference) zum Thema machte. Sei es sein Einsatz als „Richie Boy“, einem Spezialkommando der US-Army, bestehend aus deutschstämmigen Emigranten, der ihn schließlich an besagtem 7. Mai mit Gerda zusammenbrachte, oder sein Wirken als Dichter, dessen „Song of the Earth“ vom Walldorfer Komponisten Timo Jouko Herrmann vertont wurde.

Aber auch Gerda Weissmann-Klein wurde gewürdigt: Als unerschrockene Aufklärerin und Zeitzeugin der NS-Herrschaft, deren Geschichte im Dokumentarfilm „One Survivor remembers“ verfilmt 1996 sowohl einen Emmy als einen Oscar erhielt, als Rednerin vor der UN-Vollversammlung 2006 oder als Trägerin der „Medal of Freedom“, die ihr Barack Obama 2011 überreichte. Bis zu ihrem Tod im April diesen Jahres war sie unermüdlich im Einsatz für Minderheiten und Benachteiligte, sprach Traumatisierten, wie den Überlebenden des Columbine-Massakers Mut zu. Mit Kurt, den sie um 20 Jahre überlebte, war sie bis zu dessen Tod 2002 glücklich verheiratet.

Walldorf: Kurt Klein

pr/www.kurt-klein.de

Kurt Klein als Jugendlicher in seiner Heimatstadt Walldorf vor dem Denkmal für Johann Jakob Astor.
Gerda Weissmann-Klein: Nichts als das nackte Leben

rowohlt

"Nichts als das nackte Leben" lautet der Titel der Memoiren von Gerda Weissmann-Klein in der deutschen Übersetzung.
Kurt Klein

pr/www.kurt-klein.de

Kurt Klein kurz vor seiner Hochzeit mit Gerda Weissmann
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Erinnerung

Daran erinnert sich auch Dr. Wilma Reinheimer, die extra zum Vortrag aus Frankfurt angereist war. „Es war eine glückliche Ehe und beide haben sich gegenseitig geholfen.“ Kurt Klein war der Cousin ihres Vaters, ihre Großmutter eine geborene Klein. Auch sie hat den Zweiten Weltkrieg überlebt, doch erst die Wiederbegegnung mit ihrem Großcousin und vor allem dessen Frau ermutigte sie, das Schreckliche in Worte zu fassen: „Nach dem Krieg wollte ich kein Wort über das Erlebte sagen“, erzählt sie an dem Abend. Was sie besonders fasziniert ist der ungebrochene Optimismus, der aus Gerda Weissmann-Kleins Schriften hervorgeht: „Sie hat sich immer vorgenommen zu überleben, sie hat sich gesagt, ich freue mich, wenn ich wieder ein schönes Kleid tragen kann. Mit dieser Idee, sich in allem Elend etwas Schönes vorzustellen, hat sie viele inspiriert.“

Und Wolfgang Widder ergänzt: „Gerda beschreibt furchtbare Dinge auf eine Art, die irgendwie dennoch schön zu lesen ist.“ Dass ihre Geschichte einen positiven Ausgang – ja geradezu ein Happy End – fand, ist ebenfalls ein seltener Aspekt, für Dieter Burkhard deshalb auch zusammen mit dem lokalen Bezug, der das Begreifen leichter macht, pädagogisch umso wichtiger.

Gemeinsam für das Gedenken

Umrahmt wurde die Veranstaltung von vier Zehntklässlerinnen der Realschule Walldorf. Seit drei Jahren haben sie sich gemeinsam mit ihrer Lehrerin Katrin Kochenburger mit dem Schicksal von Gerda Weissmann-Klein auseinandergesetzt: Zitate aus dem Buch sowie gesungene Passagen des hebräischen Friedensliedes „Hevenu Shalom Alechem“ machten das Anliegen deutlich: „Gemeinsam für das Gedenken“.

Mehr davon gibt es am Wochenende in Walldorf bei den Kurt Klein Tagen. Infos dazu hier.