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Drei Fragen an Benedikt Grimmler

Der Autor Benedikt Grimmler wurde in Franken geboren und lebt nun am Bodensee.

Georgina Banita

Der Autor Benedikt Grimmler wurde in Franken geboren und lebt nun am Bodensee.

„Lost Places galten lange als Schandfleck“

Benedikt Grimmler wurde 1980 in Kulmbach, Oberfranken, geboren. Er arbeitete in einem Heimatmuseum, studierte Germanistik, Anglistik und Amerikanistik. Er ist Autor zahlreicher Bücher, in denen ungewöhnliche, halb verfallene, vielleicht vergessene und irgendwie verlorene Orte, „Lost Places“, eine Rolle spielen. Benedikt Grimmler lebt heute am Bodensee.

 

Wochenjournal Durlach: Brauchen wir „Lost Places“?

 

Benedikt Grimmler: Ich bin nahe eines klassischen „Lost Place“, einer Burgruine, aufgewachsen und war schon als Kind davon fasziniert. Später kam dann das Interesse an Gruseligem, an lokaler Geschichte, an Kunst und an den abseitigen Aspekten der Historie hinzu. Das hat mich zu den „Lost Places“ geführt. Natürlich braucht niemand „Lost Places“. Niemand nimmt sich vor, irgendwo einen „Lost Place“ hinzustellen. Allerdings gab es schon seit dem Rokoko im 18. Jahrhundert Tendenzen, künstliche Ruinen zu erschaffen, damals wohl mit dem Ziel, an die Vergänglichkeit zu erinnern. Vielleicht spielt das ja auch heute noch eine Rolle. Die „Hässlichkeit“ eines „Lost Places“ dient aber vermutlich vor allem dem Kontrast mit dem Schönen – „Lost Places“ sind ja nicht umsonst beliebte und oft sehr ästhetisch abgelichtete Fotoobjekte. 

 

WJ: Wann gilt ein Ort als Schandfleck, wann als „Lost Place“und wer entscheidet darüber?

 

Grimmler: Das ist eine rein persönliche Wahrnehmung. Gemeindebehörden werden ein verfallenes Fabrikgebäude im Ortskern eher als Schandfleck und nicht als Bereicherung betrachten und es beseitigen wollen. Heruntergekommene Privatgebäude werden vermutlich eher als Störfaktor empfunden als ein ruinöses Schloss. Die „Schande“ liegt dann in der Vernachlässigung und es wird vermutlich und hoffentlich eher renoviert als abgerissen. Über die Zukunft eines „Lost Places“ entscheiden viele: Behörden, Denkmalschutz, Besitzer – und die Finanzen. Gibt es keine Einigung, folgt oft jahrelanger Stillstand und die Tendenz zum Schandfleck wird definitiv größer. 

 

WJ: Die Sehnsucht nach dem erhaltenswerten Morbiden und der Zwang zu stets neuen Konsumgütern sind gegensätzliche Phänomene. Wo sehen Sie einen Zusammenhang? 

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Grimmler: Das Bewusstsein für die Bewahrung von Gebäuden wird erst in den 1980er-Jahren allgemein populär. Vorher hatte man oft wenig Skrupel, historische Gebäude abzureißen, wenn sie zu verfallen drohten oder einer Straße im Weg standen. Sie galten fast immer als Schandfleck. Der Begriff „Lost Place“ taucht erst später auf und ist in den Anfängen ein Szene-Phänomen einer kleinen Gruppe. Das Verhältnis zum Gebäude ist ambivalent. Der Lost-Place-Liebhaber möchte ein Gebäude zwar erhalten und nicht abreißen, jedoch nicht unbedingt sanieren. Je fortgeschrittener der Verfall, desto „schöner“ das Motiv. So gesehen steckt er oder sie in einer Zwickmühle, anders als der gedankenlose Konsument, der noch Brauchbares oder fast Neues wegwirft, um es sogleich zu ersetzen. Der Lost-Place-Sucher dagegen benötigt den Zwischenzustand, der zwangsläufig flüchtig ist, nichts Neues, sondern etwas, das im besten Fall kurz vor dem Verschwinden steht. Auch das Bewahren von etwas, das im Begriff des Verschwindens ist, macht einen Teil der Faszination der Lost Places aus. (rist)

Der Gewerbekanal in Waldkirch hatte in der Vergangenheit eine große Bedeutung als Schutz, fürs Handwerk, zur Bewässerung der Gärten und nicht zuletzt bei der Müllentsorgung.

rist

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Nicht alltäglich: Der Kirchturm der ehemaligen Klosterkirche in Waldkirch zeigt auf allen vier Seiten Zifferblätter.

rist

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Endingen am Kaiserstuhl ist ein kleines Städtchen mit vielen leerstehenden Gebäuden. Das Stadttor ist noch erhalten.

rist

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