Alles begann mit drei Weinreben. Die stehen am Haus von Tobias Kramer. Und Kramer weiß nichts mit ihnen anzufangen. Woher auch? Tobias Kramer zieht 2016 aus Bremen nach Hemsbach. Bremen kennt man wegen der Stadtmusikanten, wegen Werder und seinem Fußball – aber Weinbau? Seine Reben will Kramer nicht einfach herausreißen, sich lieber vertraut machen mit der Materie. Also tritt er 2017 der Gemeinschaft des Bürgerwingerts bei. Eine Truppe, die sich gemeinsam hineinkniet in Lernen und Arbeit.
„Wir haben keinen Verein und nichts. Wer 50 Euro zahlt, ist dabei und darf auch arbeiten“, erklärt Gerald Röhner, einer der Gründer des Bürgerwingerts, das Konzept. 2015 wurde dieser Bürgerwingert, übrigens der erste an der Bergstraße, gegründet, ging hervor aus dem damaligen „Integrierten Stadtentwicklungskonzepts ISEK“ der Stadt Hemsbach. Dessen Ziel: Die alte Kulturlandschaft Bergstraße großflächig erhalten beziehungsweise wieder herstellen. Herzustellen gibt es anfangs sehr viel. Das 5,1 Ar kleine Gebiet, das die Gruppe pachtet, ist gänzlich verwildert, die 240 Rieslingreben müssen erst freigelegt werden.
Ursprungsidee ging schief
Den Weinbau danach selbst zu betreiben, das war eigentlich nicht der Plan, wie Röhner sagt. „Wir gründen einen Verein, sammeln Geld und bezahlen damit einen Winzer, der die gesamten Arbeiten im Weinberg und im Keller macht“, skizziert er die eigentliche Idee. Die ist gründlich schiefgegangen, denn „wir müssen alles selber machen“, lacht er dann. In Wahrheit hat sich die Idee natürlich einfach weiterentwickelt. Auch dank Kurt Pfliegensdörfer, dem damaligen Vorsitzenden der Winzergenossenschaft Bergstraße. Der findet toll, was die kleine Gemeinschaft von anfangs zehn Gründungsmitgliedern auf die Beine stellt. Nur wenige dieser zehn haben bisher Reben kultiviert, Wein hat bis dato niemand gemacht. „Das mussten wir uns alles selber aneignen“, blickt Gerhard Röhner zurück. Schiebt nach: „Wir sind Autodidakten.“ Mittlerweile gibt es derer 20, sie kommen aus der gesamten Region.
15 Ar, 900 Reben
Zu ihnen zählt auch Tobias Kramer. Er ist mit seiner Gruppe zuständig für den Bürgerwingert 1, den Weinberg, mit dem alles begonnen hat. Mittlerweile sind zwei weitere dazugekommen, und die Fläche ist auf knapp 15 Ar mit 900 Reben angewachsen. Angebaut und geerntet wird Riesling und Spätburgunder. In Handarbeit. Kramer weist auf die engen Abstände zwischen den Reben hin, auf die kleine Fläche insgesamt – und die Steigung. Die beträgt bei der zweiten Fläche, die 2016 hinzukommt, im oberen Bereich 40 Prozent. Maschinen sind hier fehl am Platz. Also geht es zu Fuß und mit Werkzeug in der Hand durch die Reihen. Und bei der Lese werden einzelne faule Trauben per Hand aussortiert. „Das war im letzten Jahr ein irrer Aufwand“, sagt Röhner mit Blick auf den feuchten Sommer 2024. Das letzte Jahr, findet Kramer, war insgesamt nicht einfach. Die Nässe, die von Rehen abgefressenen roten Trauben – es gab einiges an Frust zu verdauen, nachdem sich die geleistete Arbeit in der Ernte nicht ausgezahlt hatte. Diese Arbeit musste bis dahin getan werden. Auch das Spritzen. Zwar wird im Bürgerwingert nach Bio-Standard angebaut, aber das Spritzen entfällt deswegen nicht. Allerdings ist Synthetik und Glyphosat tabu. Genauso mussten die Reben im frühen Jahr geschnitten und im Sommer entlaubt werden, damit die Früchte nach dem Regen schnell trocknen.