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Weinbau

Hemsbach: IG Bürgerwingert feiert zehntes Jubiläum

V.l.: Clemens Fath, Projektmitgründer Gerald Röhner und Tobias Kramer engagieren sich im Bürgerwingert in Hesmbach. Der feiert jetzt zehnjähriges Jubiläum.

cs

V.l.: Clemens Fath, Projektmitgründer Gerald Röhner und Tobias Kramer engagieren sich im Bürgerwingert in Hesmbach. Der feiert jetzt zehnjähriges Jubiläum.

Alles begann mit drei Weinreben. Die stehen am Haus von Tobias Kramer. Und Kramer weiß nichts mit ihnen anzufangen. Woher auch? Tobias Kramer zieht 2016 aus Bremen nach Hemsbach. Bremen kennt man wegen der Stadtmusikanten, wegen Werder und seinem Fußball – aber Weinbau? Seine Reben will Kramer nicht einfach herausreißen, sich lieber vertraut machen mit der Materie. Also tritt er 2017 der Gemeinschaft des Bürgerwingerts bei. Eine Truppe, die sich gemeinsam hineinkniet in Lernen und Arbeit.

„Wir haben keinen Verein und nichts. Wer 50 Euro zahlt, ist dabei und darf auch arbeiten“, erklärt Gerald Röhner, einer der Gründer des Bürgerwingerts, das Konzept. 2015 wurde dieser Bürgerwingert, übrigens der erste an der Bergstraße, gegründet, ging hervor aus dem damaligen „Integrierten Stadtentwicklungskonzepts ISEK“ der Stadt Hemsbach. Dessen Ziel: Die alte Kulturlandschaft Bergstraße großflächig erhalten beziehungsweise wieder herstellen. Herzustellen gibt es anfangs sehr viel. Das 5,1 Ar kleine Gebiet, das die Gruppe pachtet, ist gänzlich verwildert, die 240 Rieslingreben müssen erst freigelegt werden. 

Ursprungsidee ging schief

Den Weinbau danach selbst zu betreiben, das war eigentlich nicht der Plan, wie Röhner sagt. „Wir gründen einen Verein, sammeln Geld und bezahlen damit einen Winzer, der die gesamten Arbeiten im Weinberg und im Keller macht“, skizziert er die eigentliche Idee. Die ist gründlich schiefgegangen, denn „wir müssen alles selber machen“, lacht er dann. In Wahrheit hat sich die Idee natürlich einfach weiterentwickelt. Auch dank Kurt Pfliegensdörfer, dem damaligen Vorsitzenden der Winzergenossenschaft Bergstraße. Der findet toll, was die kleine Gemeinschaft von anfangs zehn Gründungsmitgliedern auf die Beine stellt. Nur wenige dieser zehn haben bisher Reben kultiviert, Wein hat bis dato niemand gemacht. „Das mussten wir uns alles selber aneignen“, blickt Gerhard Röhner zurück. Schiebt nach: „Wir sind Autodidakten.“ Mittlerweile gibt es derer 20, sie kommen aus der gesamten Region. 

15 Ar, 900 Reben

Zu ihnen zählt auch Tobias Kramer. Er ist mit seiner Gruppe zuständig für den Bürgerwingert 1, den Weinberg, mit dem alles begonnen hat. Mittlerweile sind zwei weitere dazugekommen, und die Fläche ist auf knapp 15 Ar mit 900 Reben angewachsen. Angebaut und geerntet wird Riesling und Spätburgunder. In Handarbeit. Kramer weist auf die engen Abstände zwischen den Reben hin, auf die kleine Fläche insgesamt – und die Steigung. Die beträgt bei der zweiten Fläche, die 2016 hinzukommt, im oberen Bereich 40 Prozent. Maschinen sind hier fehl am Platz. Also geht es zu Fuß und mit Werkzeug in der Hand durch die Reihen. Und bei der Lese werden einzelne faule Trauben per Hand aussortiert. „Das war im letzten Jahr ein irrer Aufwand“, sagt Röhner mit Blick auf den feuchten Sommer 2024. Das letzte Jahr, findet Kramer, war insgesamt nicht einfach. Die Nässe, die von Rehen abgefressenen roten Trauben – es gab einiges an Frust zu verdauen, nachdem sich die geleistete Arbeit in der Ernte nicht ausgezahlt hatte. Diese Arbeit musste bis dahin getan werden. Auch das Spritzen. Zwar wird im Bürgerwingert nach Bio-Standard angebaut, aber das Spritzen entfällt deswegen nicht. Allerdings ist Synthetik und Glyphosat tabu. Genauso mussten die Reben im frühen Jahr geschnitten und im Sommer entlaubt werden, damit die Früchte nach dem Regen schnell trocknen.

Eine der alten Reben im Bürgerwingert 1. Hier wird Riesling angebaut.
Eine der alten Reben im Bürgerwingert 1. Hier wird Riesling angebaut.
Mit dem 5,1 Ar großen Weinberg fing 2015 alles an. Mittlerweile wird eine Fläche von knapp 15 Ar bewirtschaftet.
Mit dem 5,1 Ar großen Weinberg fing 2015 alles an. Mittlerweile wird eine Fläche von knapp 15 Ar bewirtschaftet.
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Expertenwissen akquiriert

Hört man Kramer zu, wenn er von den Arbeiten erzählt, dann meint man, einen Weinbaufuchs vor sich zu haben. Doch er winkt ab. „Ich verstehe ganz viele Dinge auch noch nicht“, sagt er. Doch man lernt. Auch gemeinsam. Und Fehler darf man immer machen. „Das ist ja nicht schlimm“, sagt Kramer. Was das Wissen angeht, hat die Gemeinschaft mittlerweile gute Kontakte zu Winzern, die mit Rat zur Seite stehen – und zudem in den eigenen Reihen Kenner der Materie. Einer von ihnen ist Clemens Fath. Er sei von zu Hause aus mit dem Weinbau vertraut, erzählt er. Den heimischen Weinbau gibt es nicht mehr. Dafür ist er nach seinem Einstieg ins Rentnerdasein jetzt in der Gemeinschaft aktiv. „Altes Wissen wieder anwenden, arbeiten in der freien Natur“, erklärt Fath seine Motivation. Letzteres schätzt auch Tobias Kramer. Das Draußensein sei ein schöner Ausgleich zu seinem Bürojob, sagt er. Und außerdem gefällt ihm das Ernten der Früchte am Ende – im wahrsten Sinne des Wortes.

Dass man anfangs nur acht Flaschen ungenießbaren Wein abfüllt, hält die Gemeinschaft nicht davon ab, die nächsten Jahre weiter zu experimentieren. Mit Erfolg, wie die Qualitätskontrolle in den nächsten Jahren zeigt. „Wir haben da ganz strenge Kategorien. Wir unterscheiden in trinkbar und nicht trinkbar“, sagt Röhner trocken. Das Urteil von Tobias Kramer? „Der Wein schmeckt.“ Heute sind es 300 bis 400 Liter. Und für die geleistete Arbeit gibt es natürlich auch den Anteil der Ernte, der im Keller von Röhner gärt, ausgebaut und später in Flaschen abgefüllt wird. 

Reagieren auf den Klimawandel

In den nächsten Jahren steht den Wingerten einiges an Veränderung bevor. Im Bürgerwingert 1 sind – neben einzelnen Ersatzpflanzungen für nicht mehr tragende Reben – einige Reihen der pilzwiderstandsfähigen Rebsorte Sauvignier Gris gepflanzt worden, die sich gegen Nässe besser behauptet. Im Bürgerwingert 2 wird von Weißwein auf Rotwein umgestellt – weil die weißen Trauben aufgrund der starken Sonneneinstrahlung vertrocknen, erzählt Tobias Kramer. Es sind Reaktionen auf den Klimawandel, der auch in den Hängen des Vorgebirges des Odenwalds längst angekommen ist. 

Interessierte willkommen

Müde ist man nach zehn Jahren natürlich längst nicht. Im Gegenteil: Wenn man am kommenden Sonntag das Jubiläum feiert, freut sich die Gemeinschaft über weitere Interessierte. Schließlich würde man gerne noch weitere Weinberge bewirtschaften. Doch dafür braucht es mehr Mitstreiter. Scheu sollte man nicht haben, denn wenn man sich die Geschichte von Tobias Kramer anschaut, dann ist eins klar: Vorwissen braucht man für das Mitwirken im Bürgerwingert definitiv nicht. (cs)

Die Feier „10 Jahre Bürgerwingert“ findet am Sonntag, 9. Februar, ab 10 Uhr im Bürgerwingert 1 im Berlingweg in Hemsbach statt.