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Filmgespräche

Lynne Ramsay: Masterclass in Heidelberg

Lynne Ramsay erhielt 2024 auf dem 73. IFFMH den "Grand IFFMH Award".

Sönke Dannemann

Lynne Ramsay erhielt 2024 auf dem 73. IFFMH den "Grand IFFMH Award".

Lynne Ramsay ist eine Regisseurin, die in ihrer eigenen Liga spielt. Obwohl sie gerade einmal vier Filme veröffentlicht hat, zählt sie zu den Meisterinnen ihres Fachs, und das weit über die Grenzen Schottlands hinaus. Auf dem 73. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg wurde sie mit dem "Grand IFFMH Award" ausgezeichnet, in ihrer Masterclass am 10. November sprach sie mit Moderator Alfred Stumm über ihren ersten Film "Ratcatcher" (1999), für den sie ihren ersten Filmpreis erhielt, den renommierten BAFTA-Award. Fans, Filmschaffende und anderweitig Interessierte konnten ihr im Anschluss Fragen stellen.

Töne im Unterbewusstsein

Was ihr am meisten an einer Filmproduktion gefalle? Der Musik- und vor allem Sound- bzw. Tonschnitt. Auch während der Dreharbeiten lasse sie Musik laufen, um den Darstellerinnen und Darstellern sowie der Crew die Stimmung des Films zu vermitteln. Töne und Musik würden für sie Bestandteile eines Films darstellen, die sich ins Unterbewusstsein einbrennen.

Außerdem ist sie der Ansicht, dass Details oftmals mehr aussagen können als reine Dialoge. Ihrem Hintergrund als Fotografin sei es zu verdanken, dass sie in ihren Filmen dementsprechend viel mit Detailaufnahmen bzw. extreme close-up arbeitet. Dabei fängt sie einerseits die puren Emotionen der Charaktere auf, andererseits würden die Aufnahmen auch das verraten, was zwischen den Zeilen liegt: unausgesprochene, mysteriöse Eigenschaften eines Charakters, die sich in diesen Zwischenhandlungen offenbaren.

Über den Filmschnitt oder das Editing selbst konnte sie am meisten während der Dreharbeiten zu "We Need To Talk About Kevin" lernen. Alfred Stumm bezeichnete den Film als einen der "best edited movies", von dem angehende Filmschaffende viel von lernen könnten. In dem Psychodrama aus dem Jahr 2011 wird die zerrüttete Beziehung zwischen Eva (Tilda Swinton) und ihrem psychisch gestörten Sohn Kevin (Ezra Miller) dargestellt. Nachdem Kevin eine Reihe von grausamen Verbrechen begeht, gerät das Leben von Mutter und Sohn komplett aus den Fugen.

Trailer zu Ratcatcher

Trauma und Surreales

Allgemein drehen sich Ramsays Filme meistens um junge Menschen in dysfunktionalen Familienverhältnissen. Inmitten traumatischer und tragischer Ereignisse, streut sie immer wieder witzige, surrealistische Momente ein: In einer Sequenz ihres ersten Spielfilms Ratcatcher ist zu sehen, wie eine Ratte zum Mond fliegt. Dabei hat ein Junge ihr einen Luftballon an den Schwanz gebunden, in dem Glauben, dass sie tatsächlich zum Mond fliegen würde, ohne zu wissen, dass er damit ihr Schicksal besiegelt hat. Ratcatcher sei auch ihr persönlichstes Werk, wie Ramsay feststellt - Stumm erwidert, der Film sei ihr düsterster Film. "Finden Sie? Er hat eigentlich auch sehr komische Elemente. Ich würde behaupten, dass er sogar eine Portion von 'Glaswegian Humour' in sich trägt", sagt sie lächelnd. Der Film trage auch viel Licht und Hoffnung in sich.

Der Film spielt zu Zeiten des Winter of Discontent im Glasgow in den 1970ern und folgt dem Arbeiterjungen James. Themen wie Schuld, Unschuld und Tod sowie der Umgang mit diesen sind wiederkehrende Elemente in ihren Filmen. Auffällig ist auch, dass Wasser, in seinen unterschiedlichsten Formen, einen ebenfalls prominenten Raum in ihrem Schaffen einnimmt. Woher die Faszination für Wasser herrühre, kann sie sich selbst nicht genau erklären, bezeichnet sie sich doch selbst als eine sehr intuitive Regisseurin. Stumm merkte dabei an, sie nehme die Zuschauer nicht an die Hand oder führe sie durch die Erzählung, sondern lasse stattdessen viel Raum für Interpretationen und offene Fragen und rege zum Nachdenken an.

Blick in die Zukunft

Im Vergleich zu ihrem bisherigen Werk, wie etwa dem äußerst düsteren Thriller "You Were Never Really Here" mit Joaquin Phoenix (in Deutschland bekannt als "A Beautiful Day"), wirkt ihr nächster Film fast schon untypisch: "Die, My Love" mit Robert Pattinson und Jennifer Lawrence in den Hauptrollen bezeichnete Ramsay als "bizarre Lovestory". Die Dreharbeiten zu dem Film wurden vor kurzem abgeschlossen, der von Lawrence und Starregisseur Martin Scorsese mitproduzierte Film soll 2025 in die Kinos kommen.

Mehr über das Programm und weitere Texte über das 73. Internationale Filmfestival in Mannheim und Heidelberg gibt es in folgendem Artikel:

► 73. Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg 2024