Es ist kurz nach 22 Uhr, als Iris Berben aus dem Kinosaal heraustritt und sich im Foyer des Programmkinos Brennnessel von Menschen umringt sieht. Hier im kleinen Hemsbach hat sie als eine der renommiertesten Schauspielerinnen des deutschen Films die Blaugelbe Brennnessel in Empfang genommen. Hier hat sie ein geplantes Filmgespräch charmant abmoderiert, beziehungsweise es gar nicht erst entstehen lassen. „Treffen wir uns doch zum Austausch draußen“, nimmt sie den Programmmachern kurzerhand das Heft aus der Hand. Sie sagt das mit aller Grandezza, aber auch mit aller Klarheit.
Einsatz für das Arthouse-Kino
Klarheit ist etwas, dass Iris Berben auszeichnet – und handeln lässt. Ausgezeichnet wird sie in Hemsbach für ihren Einsatz für das Arthouse-Kino. „Eine Auszeichnung, die auch gleichzeitig verpflichtend ist, auf dem Weg weiterzugehen. Einzustehen. Haltung zu zeigen. Haltung zu leben. Und zu kämpfen“, sagt Berben in ihrer Dankesrede. Der Kampf ist für sie auch jener für das Kino. „Weil Kino uns zum Denken und Nachdenken zwingt, den Finger in die Wunde legt, Fragen stellt und vielleicht sogar nicht sogleich eine Antwort mitliefert“, sieht sie einen gesellschaftspolitischen Auftrag, den das Kino abbildet.
Geschichte als Auftrag
Es kommt nicht von ungefähr, dass Iris Berben den Preis am 9. November erhält. Ein Tag, der unweigerlich mit Hass, mit Diktatur und mit Tod verbunden ist. Mit Geschichte, die sich beginnt zu wiederholen. „Es ist wichtig, dass Persönlichkeiten wie Sie, liebe Frau Berben, die Verpflichtung aus der Geschichte auch als Auftrag für die Gegenwart sehen“, sagt daher Laudator Romani Rose, Zentralratsvorsitzender Deutscher Sinti und Roma. Iris Berben sieht diese Verpflichtung, sie setzt sich seit Jahren gegen Unmenschlichkeit ein, egal welchen Namen sie trägt. Rose verdeutlicht das, verweist auf den ihr bereits 2002 verliehenen Leo-Beck-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland. Sie erhielt ihn damals „für ihr Lebenswerk, der Toleranz und des Miteinanders für Humanismus und Völkerverständigung sowie für ihr aktives Engagement gegen Rassismus, Antisemitismus und Neoziganismus“.
Stimme erheben für Demokratie
Die Blaugelbe Brennnessel steht in ähnlicher Tradition, darauf verweist der Name des ersten Preisträgers Michael Verhoeven. Er erhielt den Preis 2020 für seinen für Kontroversen sorgenden Film „o.k.“. Auch Iris Berben erhält den Preis nicht einzig als Anerkennung für ihren Einsatz das Arthouse-Kino betreffend. „Wir würdigen mit diesem Preis auch Ihre Persönlichkeit, Ihre Stimme, die Sie erheben für unsere Demokratie, für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit“, führt Bürgermeister Jürgen Kirchner aus.
Anfeindungen wegen Engagement
Wird sie für dieses Engagement angefeindet? Ja, sagt Iris Berben im Gespräch mit den Menschen. „So ist es immer, wenn man Stellung bezieht.“ Die Schauspielerin lässt sich deswegen den Mund nicht verbieten. Im Gegenteil. „Wir sollten uns nie nur an einem einzigen, eingeforderten Tag an die Verbrechen und die damit verbundene Verantwortung erinnern, sondern das ‚nie wieder‘ mit gelebtem Inhalt füllen. Tagtäglich“, fordert Berben mehr als nur den 9. November als Aufhänger, um sich gegen alles zu wehren, was Zusammenhalt gefährdet oder untergräbt und die mühsam erarbeitete Demokratie zur Disposition stellt.
Mitwirkung ohne Gage
Iris Berben nimmt sich dabei selbst in die Pflicht. Im an diesem Abend gezeigten Film „Der Kreis der Wahrheit“, der die Geschichte der Wiener Schwestern Helga und Elisabeth erzählt, die als Kinder nach Theresienstadt deportiert wurden, hat sie ohne Gage mitgewirkt. „Der Regisseur hat angerufen und gefragt ‚Machen Sie mit? Es gibt aber nichts‘“, erzählt Berben später denjenigen, die nach dem Film noch mit ihr ins Gespräch kommen. Sie macht mit. So wie auch Konstantin Wecker.
Begegnung, Austausch und Diskurs
Dass man nach diesem berührenden Film, der einen ganzen Saal zurücklässt mit vielen Gedanken, in kein Filmgespräch geht – für Iris Berben ist das gesetzt. Wichtig ist ihr der Austausch mit den Besuchern. Den will sie, den wünscht sie sich, denn davon gibt es zu wenig, sagt sie. Doch gerade ihr Metier, gerade das Kino, das Theater, kurz: Kunst und Kultur insgesamt, stehen für sie wie auch Bürgermeister Kirchner im Zeichen von Begegnung, Austausch und Diskurs – und damit auch für eine demokratische und offene Gesellschaft. „Wir müssen die Politik immer wieder daran erinnern, welchen hohen Stellenwert Kultur hat“, sagt Iris Berben, um den Menschen im bis zum letzten Platz gefüllten Saal am Ende ihrer Dankworte zuzurufen: „Lange lebe das unverzichtbare, unersetzbare, das lebens- und liebenswerte Kino! Geht alle rein!“
Um kurz vor 23 Uhr ist Iris Berben noch immer im Kino, erfüllt Fotowünsche, schreibt Autogramme, ist im Dialog, nippt am Bergsträßer Rotwein. Eine Frau, die den Charakteristika der Brennnessel nicht unähnlich ist, wie sie selbst zugibt, nachdem Jürgen Kirchner die beschrieben hatte: widerstandsfähig, den Widrigkeiten trotzend und sich schützend gegen Zu- oder Übergriffe.