Erdiger Tonduft, Regale voller Kunstwerke und ein kleiner Brennofen – unweit von Karlsruhe, in einer idyllischen Seitenstraße, befindet sich das Keramikatelier von Myriam Schahabian. Hier schafft die Künstlerin einzigartige Werke: Jedes Stück ist ein Unikat – und ein kulturelles Zeugnis, das persische und europäische Einflüsse vereint. Über zwei Jahre hinweg entstanden in diesem Atelier 13 Objektgruppen und eine Wandinstallation aus 39 Bildplatten für die neue Studioausstellung „Spolia – Vom Gedächtnis der Dinge“ im Badischen Landesmuseum. Ab 13. Juli 2024 können die Besucherinnen und Besucher Schahabians Kunst im Schloss Karlsruhe sehen.
Neue Studioausstellung ab 13. Juli 2024
Skulpturen von Myriam Schahabian im Landesmuseum KA
Karlsruhe. Die einzigartigen Skulpturen von Myriam Schahabian sind Thema der aktuellen Studioausstellung "Spolia" im Landesmuseum KA, vom 13.7.24 bis 27.4.25.
Der Titel der Ausstellung nimmt Bezug auf ein Phänomen der Baukunst. Spolien sind Bauteile oder dekorative Elemente, die aus älteren Gebäuden stammen und wiederverwendet werden. Säulen, Kapitelle, Skulpturen oder Inschriften aus zerstörten oder abgerissenen Bauten finden oftmals sogar an prominenter Stelle einen neuen Platz. Dieses Vorgehen war nicht nur ressourcenschonend, sondern hatte auch eine symbolische Bedeutung, da sie den Fortbestand kultureller Errungenschaften sicherte. Überreste vergangener Kulturen schlagen auf diese Weise in neuen Kontexten eine Brücke zur Geschichte und erhalten dabei eine erweiterte Aussagekraft.
Die treibende Kraft
Reliefplatten, Keramiken mit Tiermotiven, figürliche Skulpturen oder architektonische Formen, die an Sterngewölbe erinnern – in allen Werken der Künstlerin finden sich Spolien. Zusammen bilden sie eine ganze Landschaft der Erinnerungskultur. „Es sind traditionelle Motive aus der persischen Architektur, der Miniaturmalerei, dem Kunsthandwerk und der Kalligraphie, die ich aus ihrem ursprünglichen Kontext herauslöse. Sie entstammen meinem inneren Archiv – Bilder und Texte, die sich im Laufe meines Lebens in meinen Gedanken manifestiert haben. Sie alle vereint die Schönheit – sie ist die treibende Kraft meines Schaffens“, erklärt Schahabian.
Zu den ausgestellten Werken gehört die zweiteilige Skulptur „Punkt für Punkt, Falte für Falte“, die sich ganz konkret auf das Badische Landesmuseum bezieht. Denn dieses Figurenpaar greift ein wiederkehrendes Motiv aus dem persischen Seidensamt der „Karlsruher Türkenbeute“ auf: Ein junger Mann in vornehmer Kleidung trifft auf einen älteren, knienden Mann mit bittend ausgestreckter Hand. Hierbei verkörpern die Figuren den Kontrast zwischen Jugend und Anmut sowie Alter und Armut. Hinter dem sichtbaren Bildinhalt verbirgt sich eine mystisch-religiöse Bedeutungsebene, die auf die innige Liebe zu Gott und die Beziehung des Liebenden zum unerreichbaren Geliebten hinweist. Obwohl das Thema tief in der Geisteswelt des islamischen Sufismus verwurzelt ist, bleibt das Bildmotiv – ähnlich wie viele Elemente in der persischen Dichtung, Literatur und Musik – vieldeutig. Vordergründig religiöse Themen vermischen sich mit philosophisch-mystischer Selbsterkenntnis, Genuss, Schönheit und homoerotischer Liebe.
Dialog zwischen Epochen und Religionen
Myriam Schahabian überträgt dieses Bildmotiv in eine skulpturale Form und verleiht den Figuren körperhafte Präsenz. Ergänzt werden die Skulpturen durch weitere Elemente der persischen Kultur: Die gefächerte Keramik zitiert kunstvolle Bauelemente, sogenannte Moqarnas. Die schwarzen Aufdrucke stammen aus der „Kosmographie des Qazwīnī“, einem berühmten Werk aus dem Jahr 1260. Der Titel und die rote Kalligraphie auf den Figuren sind Zitate aus einem Gedicht von Zarrin Tāj Baraghāni, einer Vorkämpferin für Frauenrechte im Iran des frühen 19. Jahrhunderts. Bekannt unter der religiösen Ehrenbezeichnung Qurrat al-ʿAin, brach sie mit ihrem unverschleierten und charismatischen Auftreten gesellschaftliche Tabus, was letztlich zu ihrem gewaltsamen Tod führte.
So öffnet die Skulpturengruppe den Dialog zwischen verschiedenen Epochen und Regionen. Denn das persische Samtgewebe war einst ein begehrtes Handelsgut der Safawiden-Dynastie (1501–1722), reiste vom Persischen ins Osmanische Reich (1299–1922) und gelangte schließlich im frühen 18. Jahrhundert als Kriegsbeute nach Baden. „Die bewegte Geschichte dieses Samtgewebes erinnert mich an meine eigene Reise. Der Samt hat sich im Laufe der Zeit mit vielen Kulturen verflochten und seine Bedeutung ständig verändert. Nun nutze ich ihn wiederum als Inspiration, um ein neues Kunstwerk zu schaffen. Er ist eine Spolie, die zeigt, wie dauerhaft die Macht der Schönheit ist. Trotz aller vergangenen und verschlungenen Pfade und trotz aktueller gegenwärtiger Entwicklungen hat er überdauert, sich neu verflochten und ist ein Zeichen der Beständigkeit und Widerstandskraft.“ Die Kuratorin der Ausstellung, Schoole Mostafawy, fasst die zentrale Botschaft wie folgt zusammen: „Nur die Resilienz, die Beständigkeit und Schönheit der Kultur kann den aufrührerischen Geist gegen politische Repression, Krieg, Gewalt und Tod wecken.“
Die in dieser Ausstellung präsentierten Werke sind käuflich zu erwerben. Bei Interesse wenden sich Interessierte an: schoole.mostafawy@landesmuseum.de.
Ausstellung in der Innenstadt
Auch in der Karlsruher Innenstadt wird die Künstlerin mit einer Ausstellung vertreten sein: Vom 18. Januar bis 22. Februar 2025 präsentiert die Karlsruher Galerie Yvonne Hohner Contemporary unter dem Titel „The Resilience of Beauty – A Witness“ weitere Arbeiten von Myriam Schahabian.