Der „Tiger“ kam: Sir Tom Jones! Er ist einer der erfolgreichsten Popstars aller Zeiten und gerade auf seiner „Ages and Stages“ Welttournee.
Der Weltstar ist seit mehr als einem halben Jahrhundert, genau seit 56 Jahren, eine feste Größe auf den Bühnen der Welt, eine lebende Legende. Seine Lieder kennt man weit über Landes- und Altergrenzen hinweg.
Am ersten Dienstag im August beehrte der von Queen Elizabeth II zum Ritter geschlagene Sänger Schwetzingen mit einem wunderbaren Konzert im Schlossgarten.
Das Konzert war ausverkauft, der letzte Platz des bestuhlten Open-Air-Events besetzt mit Gästen, die teilweise sehr weit – auch aus dem Ausland – angereist waren.
Tom Jones stellte Lieder aus seinem neuesten Album „Surrounded by Time“ (2021) und ältere Stücke vor. Erwähnenswert an dieser Stelle: Er hat seit 1965 insgesamt 30 offizielle Alben aufgenommen und kann nunmehr aus einem reichhaltigen Repertoire an Liedern und Stilen schöpfen.
Er begann sanft, aber ernst mit einer neuen Ballade und beendete seinen Auftritt fulminant mit Rock ’n’ Roll vom Allerfeinsten.
Alt geht anders
War es eine Entschuldigung oder Vorwarnung oder Koketterie, als der 84-jährige Waliser seine Show mit „I'm Growing Old“ – man könnte es übersetzen mit ‚Ich wird‘ langsam alt‘ - aus seinem letzten Album anstimmte?
Er sah sehr gut aus, seine Stimme war unverkennbar, ein kraftvoller sonorer Bass; mit viel Charme reagierte er auf sein Publikum und führte kurzweilig und mit Augenzwinkern durch das Programm.
Ein Blick auf sein Leben war thematischer und musikalischer Schwerpunkt seines Programms auf der Schwetzinger Freilichtbühne. Und ein zweites wiederkehrendes Thema war der Abschied.
So steht auch das Jahr 1940, Tom Jones‘ Geburtsjahr, im Mittelpunkt dieses ersten Songs. Sein Durchbruch als Sänger hatte er 1965 mit dem damaligen Nummer-1-Hit „It’s Not Unusual“; es war das dritte Lied, das Tom Jones und seine fünfköpfige Band spielten – und es klang neu, aufgefrischt durch die Begleitung eines Akkordeons und einem solistischen Intermezzo der E-Gitarre.
Filmmusik
Lang, lang, lang ist’s her, als Woody Allen den Film „What’s new Pussycat“ mit Peter Sellers, Peter O’Toole und Romy Schneider drehte. Die Filmmusik schrieben damals Burt Bacharach und Hal David, Autoren unzähliger Pop-Songs, und Tom Jones sang den gleichnamigen Titelsong, ein fröhlicher – übrigens Oscar-nominierter - Walzer, das vierte Stück auf dem Programm des Tigers.
Eine zeitlose Komposition aus den 1960er Jahren war „Windmills of you Mind“ von Michel Legrand, der seinerzeit die französische Variante des Titels als „Moulin de mon coeur“ selbst sang. Tom Jones erinnerte bei seiner Ansage an Dusty Springfield und deren international erfolgreichen Interpretation von 1969.
Darauf hatten alle gewartet und standen klatschend und Hüfte schwingend auf, als sie begriffen, welches Lied als nächstes kam: „Sexbomb“; das Stück hatte Tom Jones mit dem deutsch-türkischen Musikproduzenten Mousse-T 1999 aufgenommen.
Hommage an Dylan
Aber wieder zurück in den Nineteen-Sixties, erzählte Tom Jones von einer Begegnung mit Jerry Lee Lewis, der ihn zu Country Musik inspirierte. Heraus kam die herzzerreißende Ballade „Green green grass of home“ um die Kindheitserinnerungen eines zum Tode Verurteilten; es war ein weiterer Nummer-1-Hit und Evergreen des Stars.
Hinreißend: Die gesprochenen Passagen, in denen Tom Jones‘ samtener Bass wohlklingend zur Geltung kam.
Das Lied brauchte einen Stimmungsaufheller und fand ihn – zumindest rhythmisch - in dem Song „One more cup of coffee“ von Bob Dylan, der das Lied inspiriert durch ein Roma-Fest in Saintes-Maries-de-la-Mer in Frankreich geschrieben hatte. Und nach dem Kaffee muss man gehen.
Tom Jones hat den Song in sein bisher letztes Album mit aufgenommen; es handelt bei aller Liebe von Abschied. Dies war bereits das zweite Lied von Bob Dylan, das Tom Jones an diesem Abend spielte; das erste hieß „Not dark yet“, eine weitere Anspielung auf ein Ende: „It is getting there“.
Von Leben und Tod
Apropos Alter. Tom Jones erzählte, wie er vor nicht allzu langer Zeit Willie Nelson getroffen habe; der amerikanische Country-Musiker ist in zwischen 90 Jahre alt und singt immer noch. „Nun ja,“ antwortete Tom Jones darauf hin verschmitzt schmunzelnd, „ich bin ja erst 84. Da habe ich noch ein bisschen Zeit.“
Daraufhin sang er „Across The Borderline“ von Ry Cooder / John Hiatt / Jim Dickinson; es ist eine Metapher zwischen Leben und Tod.
Die Projektion vieler echter TV-Bilder aus News und Commercials vergangenen Zeiten in schneller Abfolge begleiteten das nächste Stück „Talking reality TV blues“ aus dem neuen Album; das Video entsprach weitestgehend dem offiziell veröffentlichten Clip des Sängers.
Musikalisch unterscheidet sich das Stück völlig von seinen anderen Liedern mit einem durchgängigen rhythmischen beschwörenden Pattern, wirkt rockig, ein rauhes E-Gitarren-Solo inbegriffen. – Dann folgten „I won’t crumble you if you fall“ und der Leonhard-Cohen-song „Tower of Song“ – das war die Ruhe vor dem Sturm. Denn nun kam, was alle hören wollten: „Delilah“. Alle sangen mit.
Ungebrochene Spielfreude
Tolle Bühnenperformance mit farbiger Lichtshow und Klangeffekten der slide-Gitarre, Delays und Echos, psychedelisch wie in den wildesten Jahren des klassischen Rock – so präsentierte Tom Jones sein neues Stück des von den Toden auferstehenden „Lazarus Man“ des Soul- und Jazz-Gitarristen Terry Callier.
Leichtfüßig und ausgelassen ging das Konzert weiter mit „You can leave your hat on“ von Randy Newman und „If I only knew“ der amerikanischen Hip-Hop Band Rise Robots Rise. Ein weiteres Highlight war „Kiss“ von Prince, gekonnt begleitet mit gleich zwei virtuosen Gitarren.
Dann wollte sich Tom Jones verabschieden: „Good-bye. God bless you. Kiss“. Die Bühne wurde dunkel. Niemand ging, sondern alle mehr als 4000 Besucher*innen blieben erwartungsvoll.
Elvis und Chuck Berry
Er kam zurück und sang „One hell of live“, eine Ballade des Walisischen Sängers Katell Keineg. Und dann spielte er und seine Band das, was ihm am meisten am Herzen lag: Rock’n Roll-Klassiker aus den 1950er Jahren – und zwar in einer mitreißenden Qualität, so authentisch, wie man sie heute kaum mehr hören und/oder sehen kann: „Strange Things Happening Every Day“, ursprünglich 1944 geschrieben von Sister Rosetta Tharpe, aber mit der Zeit immer mehr aufgefrischt zu einem Boogie Woogie und schließlich zu einem waschechten Rock’n Roll.
Kein Rock’n Roll ohne den King: Bei einem Treffen mit Elvis Presley sagte dieser zu Tom Jones, der King sei Chuck Berry; dies erzählte Tom Jones und spielte „Johnny B Goode“, den Klassiker über den American Dream. Tom Jones liebt diese Musik, und es machte ihm sichtlich Spaß zu spielen.
"Eine coole Socke"
Daher gab er nochmal alles, mit „Big Balls of Fire“ von Jerry Lee Lewis, mit meisterhaft rhythmisch und energiereich gesungenen kurzen Silben, die einen in Trance versetzen konnten – ein mehr als würdevoller Abschluss des Entertainers nach einer Stunde und 45 Minuten und vier Zugaben.
„Eine coole Socke“, sagte Angelika aus Teneriffa anerkennend, „Und das mit 84 Jahren!“ Eine andere Frau, sie kam aus der Schweiz, hatte vier Stunden Anreise, eine Übernachtung und vier Stunden Rückreise in Kauf genommen, um ihn endlich zu sehen. „Es hat sich auf alle Fälle gelohnt“, sagte sie nach dem Konzert und war immer noch überwältigt. (rw)