Ist der ÖPNV im Landkreis Calw nun barrierefrei – oder doch nicht?
Es war eine Anmerkung über den neu gestalteten Busbahnhof (ZOB) in Wildbad, die den Stein ins Rollen brachte. Stadtrat Jürgen Schrumpf (SPD), der selbst Rollstuhlfahrer ist, beklagte sich bei einer Sitzung des Bau- und Umweltausschusses Mitte April über die trotz neugestalteter Haltestellen immer noch mangelnde Barrierefreiheit des Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV). Diese Klage erreichte auch die Verantwortlichen des Landratsamtes, die sich daraufhin mit Jürgen Schrumpf zu einen Ortstermin beim ZOB trafen. Neben Michael Stierle, Abteilungsleiter für Mobilität und ÖPNV beim Landratsamt Calw, waren auch Nahverkehrsplanerin Johanna Albrecht sowie vom Busunternehmen Klumpp (Baiersbronn/Neuweiler) Fahrer Kurt Schmidt mit einem barrierefreien Bus anwesend.
Anforderungen: Niederflurbus mit Rampe und Absenkungsmöglichkeit
Michael Stierle zeigte sich angesichts der Klage von Jürgen Schrumpf, dass die Busunternehmen im Landkreis keine barrierefreien Busse hätten bzw. einsetzen würden, irritiert und überrascht. Die Ausschreibungen für den Betrieb der landkreisweiten Buslinien würden Niederflurbusse mit Rampe und der Möglichkeit zur Absenkung des Busses auf Bussteighöhe vorschreiben. „Allerdings sind noch nicht alle Linien neu vergeben“, schränkte Stierle seine Erklärung ein. Einige Anbieter – speziell auf den Linien Bad Wildbad-Bad Liebenzell und Bad Wildbad-Schömberg – seien noch mit eigenen Fahrzeugen unterwegs, die diesen Anforderungen nicht entsprächen. Dieses Linienbündel wird aktuell aber neu ausgeschrieben, wofür sich auch schon eine Bietergemeinschaft gefunden hätte. „Ab 1. September ist alles nach Vorschrift vergeben“, verspricht Michael Stierle und dann müssten nach einer kurzen Übergangsfrist alle Busse barrierefrei sein. Die Übergangsfrist rührt daher, dass die Bietergemeinschaft teilweise noch neue Busse anschaffen muss, die voraussichtlich im November geliefert werden.
Bus geht in die Knie
Wichtigste Voraussetzung für barrierefreies Einsteigen ist, dass die Busse die Funktion des Kneeling erfüllen können. Kneeling bezeichnet das Absenken eines Straßenfahrzeugs, speziell von Bussen auf der Einstiegsseite, um so den Fahrgästen das Einsteigen zu erleichtern. Der Begriff leitet sich vom englischen „knee“ (Knie) ab – der Bus geht also „in die Knie“.
Um das barrierefreie Einsteigen zu demonstrieren, fährt Busfahrer Kurt Schmidt mit seinem Bus vor. Er hält an der vorgezeichneten Haltelinie und senkt den Bus durch Luftdruck um zirka 5 Zentimeter ab. Er öffnet die hintere Einstiegstür und steigt selbst aus dem Fahrzeug aus. Dann klappt er die Rampe heraus und Jürgen Schrumpf demonstriert, wie man mit dem Rollstuhl über die Rampe ins Fahrzeug kommt. Selbst mit abgesenktem Fahrwerk und damit einem weniger steilen Anstellwinkel der Rampe ist dieses Unterfangen sehr kräftezehrend – aber möglich. Wie Jürgen Schrumpf erklärt, ist es ohne Absenkung des Busses nahezu unmöglich über die Rampe eigenständig ins Fahrzeug zu gelangen, da diese dann zu steil sei und die Gefahr bestünde, dass der Rollstuhl nach hinten umkippt.
Hilfestellung durch Busfahrer
„Es gibt halt sotte und sotte“, sagt Schrumpf ganz offen und meint damit die Busfahrer. Da der Fahrer ja sowieso aussteigen und die Rampe ausklappen muss, stünde dieser dann auch für Unterstützung beim Einsteigen zur Verfügung, erklärt der langjährige Rollstuhlfahrer. Was aber leider nicht immer gegeben sei. Grundsätzlich freut es den Ortsvorsitzenden des VdK und Obmann für Behinderte und Schwerbehinderte, dass mit einem barrierefreien ÖPNV eine wichtige Voraussetzung für die Mobilität von Gehbehinderten geschaffen wird. „Dies bedeutet eine riesige Verbesserung im ländlichen Raum – nicht nur für Behinderte, sondern grundsätzlich für Senioren und auch Eltern mit Kinderwagen“, sagt Jürgen Schrumpf.
Michael Stierle sprach die Verantwortlichkeit der Kommunen für Barrierefreiheit an. Es gäbe im Landkreis Calw noch Haltestellen, die nicht barrierefrei wären. Hier müsste nachgebessert werden. Den Vorschlag von Jürgen Schrumpf diese Haltestellen in einer Übersicht zu kennzeichnen und die Information den Nutzern des ÖPNV zugänglich zu machen, nahm er gerne mit.
„Wir thematisieren die Problematik der Barrierefreiheit deutlich bei den Leistungsträgern, also den Busunternehmen. Diese müssen unsere Anforderungen dann an ihre Fahrer weitergeben“, beschrieb Stierle den Kommunikationsweg zwischen den Beteiligten.
Was tun, wenn es nicht funktioniert?
Wenn man mit Rollstuhl oder Rollator nicht in den Bus einsteigen kann? Wenn die Fahrer Hilfestellungen verweigern oder der Bus nicht für mobilitätseingeschränkte Personen geeignet ist? Grundsätzlich sind die jeweiligen Busunternehmen der erste Ansprechpartner, wenn es Schwierigkeiten im ÖPNV gibt. Ebenso steht das Landratsamt unter der E-Mail-Adresse nahverkehrsplanung@kreis-calw.de für Beschwerden oder Anregungen zur Verfügung. Und auch Jürgen Schrumpf als VdK-Vertreter ist jederzeit ansprechbar.
Was sollte gemeldet werden?
Wenn es Schwierigkeiten mit dem Busfahren gibt, sind folgende Informationen wichtig: An welchem Tag, zu welcher Uhrzeit und auf welcher Buslinie gab es Probleme. Welcher Art waren die Schwierigkeiten? „Nur wenn wir wissen, wann was passiert ist, können wir nachforschen und die Probleme angehen“, erklärt Michael Stierle. „Wir sind froh, um jede Rückmeldung und werden uns kümmern, wenn es Probleme gibt“, verspricht er.
„Nur machen hilft uns weiter“, war das abschließende Resumée von Jürgen Schrumpf, der sich freut, dass die Kommunikation mit den Verantwortlichen im Landratsamt funktioniert und jetzt natürlich hofft, dass man sich auch als mobilitätseingeschränkter Mensch zukünftig ohne Probleme mit dem ÖPNV durch den Landkreis (und darüber hinaus) bewegen kann. (gg)