Mit dieser Wandertour verbindet sich ein geheimnisvoller Name: Hymno. So hieß der Priester, der hier vor 1250 Jahren lebte und wohl längst vergessen wäre, hätte er nicht am 20. März 774 seine „Villa Ailingas“ am Bodensee dem Kloster Sankt Gallen auf der anderen Seite des Schwäbischen Meeres geschenkt. Das war nicht ohne. Dort existierten nämlich schon damals, in frühkarolingischer Zeit, ein Gericht und eine Pfarrei. Der heutige Stadtteil von Friedrichshafen kann also auf eine lange und reiche Geschichte zurückblicken.

Der Bodensee: Ein See, drei Länder, viele Möglichkeiten

Tour mit vielen Landschaftseindrücken

Los geht’s auf dem Platz vor dem Ailinger Rathaus und der Tourist-Info. Die Orientierung bereitet keinerlei Probleme, die Markierung verdient Bestnoten. Es gilt praktisch nur zu entscheiden, ob man mit oder gegen den Uhrzeigersinn wandert. Wobei die erstere Variante den Vorteil hat, dass die „Dramaturgie“ viel besser zur Geltung kommt. Bei der nicht allzu langen Tour sollte man sich ob der vielen Eindrücke am Wegesrand viel Zeit lassen.

Die Mühle von Ittenhausen

MEIN LÄNDLE/Jürgen Gerrmann

Die Rotach trieb einst die Mühle von Ittenhausen an.

Plätschernde Energieriesin 

Schon nach zwei Kilometern taucht das erste kulturhistorische Glanzlicht auf: die einstige Mühle von Ittenhausen, deren Historie bis ins Mittelalter zurückreicht. Wernher und Kuno, zwei Gefolgsleute der Habsburger, schenkten 1198 die Anlage ebenfalls einem Kloster: dem noch jungen Augustiner-Chorherrenstift von Kreuzlingen. Fast 800 Jahre dauerte die rege Geschäftigkeit, erst als Mahl-, dann als Sägewerk und schließlich als Stromerzeugungsbetrieb. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts war es vorbei damit.

Der rauschende Bach, der das Mühlrad so lange klappern ließ, ist die Rotach, die dem Weg über die nächsten Kilometer folgt. Heute würde man sie wohl als „Energieriesen“ bezeichnen, denn sie trieb auf ihren nicht mal 40 Kilometern zwischen Ilmensee im Landkreis Sigmaringen und dem Bodensee einmal sage und schreibe 22 Mahl- und Sägemühlen an – allein auf dem Gebiet der heutigen Stadt Friedrichshafen waren es vor gut 200 Jahren noch acht.

Ein Hund badet in der Rotach

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Die Rotach ist heute Idylle für Wanderer – und Hunde.

Das nächste Zeugnis der Technikgeschichte ein paar Hundert Meter weiter vermag man indes nur noch zu erahnen. Vor etwa 900 Jahren wurde dort in der Nähe des Wehres wohl Eisen­erz verhüttet. Bereits Urkunden des 13. Jahrhunderts erwähnen das jedoch als Vergangenheit und Spuren davon sind nicht geblieben.

Deshalb erinnert nur noch der Flurname dieses romantischen Winkels daran: Hammerstatt. Auf jeden Fall ist „die Hammerstatt“ heute so etwas wie ein „Tor zur Idylle“. Ab hier, wo die erste Quellwasserversorgung Friedrichshafens entstand, welche die Stadt von 1889 bis 1916 versorgte, wird der Ailinger Panoramaweg nämlich zum schmalen Pfad. Ab hier kann man auch den Geräuschen der Zivilisation entrinnen.

Die Sage vom Gehrenmännle

In diese Abgeschiedenheit soll der Sage nach in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges ein Bauer geflüchtet sein, dessen Familie schwedischen Soldaten zum Opfer gefallen war. Der Hunger plagte ihn, und so streifte er in den umliegenden Dörfern umher und fragte dort sowie bei Bauern und Müllern im Rotachtal nach Arbeit – offenbar traumatisiert, wie man heute sagen würde. Denn auf die Frage, wer er sei, sagte er stets, er habe seinen Namen vor Entsetzen über die Kriegsgräuel vergessen.

Er wisse nur noch, dass er vom Gehrenberg komme, dem „Hausberg“ von Markdorf, etwa zehn Kilometer entfernt. Seither wird die Höhle, wo er hauste, das „Gehrenmännleloch“ genannt. Auch die Ailinger Narrenzunft gibt ihm noch heute die Ehre: Ihr Ruf lautet „Ali – Gero!“

Windgesäusel und ­Gedankennüsse

Wer an der Rotach entlangwandert, kann sich an einem Musterbeispiel für gelungene Renaturierungsmaßnahmen freuen: Zwei Wehre (an der Ittenhausener und an der Reinach-Mühle) wurden geschleift und Aufstiegshilfen für die ­Fische installiert, die nun wieder fluss­aufwärts wandern können. Man kann gar nicht anders, als immer wieder den Forellen zuzuschauen, die sich erwiesenermaßen nur in besonders reinem Wasser wohlfühlen. Sie und andere Fischarten wie die Elritze ziehen immer wieder ihre Kreise und Schlingen, während die Wasseramseln umherflattern und die Prachtlibellen ihre Balztänze aufführen, um die Weibchen anzulocken.

Der romantische kleine Pfad schenkt auch ein Hör-Erlebnis: Das Wasser murmelt, die Vögel zwitschern. Und zeitweise wähnt man sich in einem grünen Tunnel, weil sich das Blattwerk der Bäume und Sträucher über dem Weg wölbt und auch an heißen Sommertagen Schatten spendet.

Eine Forelle schwimmt im Fluss

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Forellen fühlen sich im klaren Wasser der Rotach wohl.

Die Wiese an der Furt in der Nähe der Reinachmühle im Schnelltempo zu überqueren, wäre schade. Nehmen Sie sich stattdessen Zeit zum Genießen und lassen Sie auf der kleinen Bank mit Blick auf das Bächlein Beine und Seele baumeln. Oder legen Sie sich ins Gras und betrachten die Wipfel der Eschen, während die Wolken vorüberziehen und der Wind in den Blättern säuselt.

Oben auf der Höhe, kurz vor Unterlottenweiler, warten zwei alte Nussbäume, die während der Rast Geborgenheit vermitteln, wobei der Blick über die Felder schweift und die Gedanken vielleicht darum kreisen können, welche Nuss man im Moment selbst zu knacken hat.

Kleine Rücken, bizarre Zacken

Wenig später wird klar, warum diese Tour den Namen „Panoramaweg“ trägt: Der Horach ist der höchste Punkt der Stadt Friedrichshafen – nur er knackt die 500-Meter-Marke. Und hier ist des Drumlin-Rätsels Lösung buchstäblich zum Greifen nah.

Kuhweide auf dem Horach mit Panoramablick

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Vom Horach schweift der Blick über die ländliche Idylle und den Bodensee bis zu den Alpen.

Denn der Hügel, der eine solch fantastische Sicht bietet, wurde von denselben Gletschern geschaffen wie der Bodensee. Die haben lockere Sedimente unter sich zusammengeschoben, die sich dann tropfen­förmig ablagerten. Solch „kleine ­Rücken“ – so lautet die Übersetzung des gälischen Wortes „Droimnin“, aus dem dann die Bezeichnung Drumlin wurde – finden sich in Mitteleuropa vor allem im Vorland der Alpen, aus denen sich die Gletscher auf den Weg gen Norden machten.

Die Heimat dieser riesigen Eismassen bildet heute bei guter Sicht eine herrliche Kulisse: Die Kombination der bizarren Zacken und der ebenen Wasserfläche des Bodensees ist schlichtweg traumhaft schön. Wenn dann in direkter Nähe noch Kühe gemütlich wiederkäuen, ist die Idylle perfekt.

Ein Kuh-Porträt

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Tierische Begegnung auf dem Horach.

Kurz danach wartet schon der nächste Schatz des Bodensees: Ailingen besitzt nämlich auch eine große Obstbau-Tradition, die schon in der Vergangenheit so bedeutend war, dass das Archiv des Volksstaats Württemberg 1930 den Vorschlag präsentierte, dieses Thema in das Wappen des Dorfes aufzunehmen. Unter mehreren Vorschlägen konnte man sich indes nicht entscheiden, sodass sich die Sache über drei Jahrzehnte hinzog.

Erst 1961 gestand das Innenministerium der Gemeinde das Recht zu, einen „nach unten gekehrten grünen Apfelzweig mit zwei roten Äpfeln“, kombiniert mit dem weißen Kirchturm der Pfarrkirche Sankt Johannes Baptist, als Symbol zu führen. Nur zehn Jahre blieb dies das Wappen einer selbstständigen Gemeinde: Die 1200-Jahr-Feier beging sie noch unter eigener Verwaltung, aber seit 1. Dezember 1971 ist sie (stolzer) Stadtteil Friedrichshafens.

Video: Flug über die Haldenbergkapelle bei Ailingen

Wandernde Kapelle

Als Tüpfelchen aufs i wartet auf der Route nun ein besonderer Ort: die Haldenbergkapelle, die wohl allen Friedrichshafenern und ihren Nachbarn besonders ans Herz gewachsen ist. Sie thront ebenfalls auf einem Drumlin und hat im Grunde dieselbe „Wanderung“ wie wir hinter uns, denn sie stand einst an der Reinachmühle im Rotachtal. 1892 ließen sie dort die Eltern von Johann Eberle erbauen. Der vierjährige Bub war bei einem Unfall ums Leben gekommen, und die beiden wollten so seiner gedenken.

Vom Tal auf den Berg

Nach dem Ersten Weltkrieg bat der Kaplan und Feldgeistliche Alfons Schneider die Mutter Agathe Eberle, das der Muttergottes geweihte Kirchlein der weltlichen Gemeinde zu schenken, als Erinnerungsstätte für die Toten dieses ersten großen Völkermordens im 20. Jahrhundert. Die gab ihre Zustimmung, und so wurde die Kapelle 1919 im Tal abgetragen und droben auf dem Berg vergrößert wieder errichtet. 1921 erfolgte die Weihe, und später schuf der Miltenberger Künstler Kurt Zöller dafür das beeindruckende Glasmosaikbild „Stern im Lebensmeere“.

Einen schöneren Platz für dieses Anliegen hätte man sich kaum aussuchen können: Vor allem am Abend, wenn die Sonne sinkt und See und Berge in ein anrührendes Licht taucht, entsteht ein Bild des Friedens, ein Panorama voller Harmonie, das man noch lange in sich trägt.

Karte Wanderroute Ailinger Panoramaweg

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Die Wanderroute

Der ­Ailinger Panoramaweg

Start und Ziel: Rathaus Ailingen (GPS 47.688444, 9.490317)
Strecke: etwa 10 km
Gehzeit: ca. 3 Stdn.
Höhenunterschied: 150 m Auf- und Abstieg
Schwierigkeitsgrad: leicht
Infos: www.ailingen.de

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