Ein Spaziergang mit der Trompeterin von Säckingen. Mein Ländle-Chefredakteur Wulf Wager erzählt – und lässt sich erzählen:

Mein erster Besuch in der schönen Stadt an der Schweizer Grenze liegt schon lange zurück. Bad Säckingen feierte die Heimattage Baden-Württemberg, und gemeinsam mit Mein Ländle-Autorin Sonja Faber-­Schrecklein moderierte ich Festlichkeiten zu den Heimattagen Baden-Württemberg für das Südwestfernsehen.

Sonja Faber-Schrecklein besucht die Betonnadel in Stuttgart

Schon tags zuvor waren wir für technische Proben angereist. Nach getaner Arbeit feierte das Team im Hotel Goldener Knopf kräftig – wir waren jung. Mit dabei: der Trompeter von Säckingen, oder besser gesagt, die Trompeterin. Denn der erste Trompeter des städtischen Blasorchesters stellt die berühmte Romanfigur für touristische Zwecke dar – und seinerzeit war es eine Trompeterin.

In einer überschwänglichen Weinlaune verabredete ich mich mit ihr für den nächsten Morgen zum Joggen (gschwätzt isch halt glei) und hoffte, dass sie es vergessen würde. Aber um 7.30 Uhr klingelte die Rezeption durch. Also musste ich zu meinem Wort stehen, quälte mich mühsam aus dem Bett und stieg in meine Laufschuhe. Ich hatte einen Kater. Aber der ist in Bad Säckingen omnipräsent. Dazu später mehr. So bekam ich jedenfalls eine exklusive Stadtführung im Laufschritt. Damit war ich bestens gewappnet für das TV-Pas de deux mit Sonja Schrecklein.

Fridolinsmünster in Bad Säckingen

Wulf Wager

Die Gebeine des Heiligen Fridolin ruhen in einem reich verzierten Schrein im Fridolinsmünster.

Heute, Jahre später, gehen wir es gemütlicher an. Ich habe ein Déjà-vu, denn vor dem Fridolinsmünster erwartet mich Melanie Bächle zu einer Führung durch die Kleinstadtperle am Hochrhein. Auch sie ist Trompeterin in der Stadtmusik Bad Säckingen und deshalb die Darstellerin des „Trompeters von Säckingen“. Die meisten haben von dieser Figur gehört, aber kaum jemand kennt die Geschichte, die ein junger Karlsruher Jurist auf der Insel Capri verfasste. Joseph Victor von Scheffel war die Juristerei zu langweilig, deshalb zog es ihn nach Italien, wo er Maler werden wollte. Die finanzielle Ausstattung seiner Familie ließ das zu.

Trompeter von Bad Säckingen: Dichtung, Wahrheit und Seife

Sein „Trompeter von Säckingen“ wurde prompt zum Bestseller und mehr als eine halbe Million Mal verkauft. 1921 erschien die 322. Auflage: Der junge bürgerliche Trompeter Werner verliebt sich in Säckingen in die adelige Margaretha von Schönau. Der Standesunterschied verbietet die Heirat. Verzweifelt wandert der Trompeter von Säckingen nach Rom aus und spielt zum Abschied von der schweizerischen Rheinseite das berühmte „Behüt’ Dich Gott, es wär zu schön gewesen, / behüt’ dich Gott, es hat nicht sollen sein“ – vertont in der gleichnamigen Oper von Victor Ernst Nessler. Sie wurde 1884 in Leipzig uraufgeführt und dort mehr als 1000 Mal gespielt. Das Happy End kommt aber doch: Nach fünf Jahren erhebt ein verständnisvoller Papst den Trompeter in den Adelsstand.

Margarethe erkrankt an der Seele und wird zur Heilung nach Rom geschickt. Dort trifft sie wieder auf Werner, der jetzt der adelige „Marchese Camposato“ ist. Nun steht einer Vermählung mit Margarethe nichts mehr im Wege. Seifiger als Rosamunde Pilcher. Aber es gibt eine historische Vorlage für die Geschichte, von der Scheffel hörte, als er als junger Jurist 1850 aus Karlsruhe nach Säckingen kam. Es war die Liebesgeschichte zwischen Franz Werner Kirchhofer (1633–1690) und der adeligen Maria Ursula von Schönau (1632–1691). Wegen des Standesunterschiedes verbot ihre Familie die Heirat, doch die beiden ließen sich heimlich trauen und lebten gemeinsam im Exil. Maria Ursula kämpfte mit Erfolg um ihr Erbe; das Paar kehrte nach Säckingen zurück, und sie wirkten als wohlhabende und wohltätige Bürger.

Innenstadt von Bad Säckingn

Jean-Claude Winkler

Durch die pittoresken Gassen der Hochrheinstadt führt jedes Jahr eine Prozession zu Ehren des Heiligen Fridolin.

Hiddigeigei liest Leviten

Die Figuren des Scheffel’schen Romans trifft man in der Altstadt an allen Ecken. Es gibt mehrere Trompeter, allein zwei davon im Stadtpark, vor und hinter dem Trompetenmuseum, dem Schloss derer von Schönau.

Ausflugstipp: Hochrheinmuseum Schloss Schönau

Und dann gibt es den Kater Hiddigeigei. Er ist, so die Geschichte, in Ungarn geboren und über Paris nach Säckingen gekommen, ein offenbar sehr ausdauerndes Tier. Hiddigeigei vermittelt als Scheffels Sprachrohr die Zeitanschauung und Skepsis des Dichters. Am eindrucksvollsten ist die Figur zwischen Rhein und Rathaus, wo der Kater direkt auf das Amtszimmer des Bürgermeisters schaut. Aus der Höhe blickt er auf das „Treiben der Parteien“. Kein Wunder also, dass er auch an der Säckinger Fasnet auftritt und der Obrigkeit die Leviten liest.

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Auch Trompeterin Melanie Bächle gehört der Narrenzunft an. Und so führt sie mich zum Gallusturm, direkt am Rhein. Er ist die Heimat der Säckinger Narren und praktisch nicht zu erstürmen, denn die Mauern messen am Fundament vier Meter im Durchmesser, ein Koloss, der dem Rheinhochwasser standhalten sollte. Von dort aus geht es durch die Fischergasse am Fridolinsmünster vorbei zum Narrenbrunnen. Meine Fremdenführerin erklärt mir die Figuren. Herausragend ist das Siechenmännle, das früher auch das Wappen Säckingens zierte, bis es den Stadt­oberen zu destruktiv wurde. Schon früher kamen die Leute von weit her, um in den warmen Quellen Heilung von ihren Zipperlein zu erfahren. Heute lädt die Hochrheintherme Aqualon zum Gesundbaden im 28 bis 34 Grad warmen Wasser der Fridolinsquelle ein.

Narrenbrunnen in Bad Säckingen

Jean-Claude Winkler

Narrenbrunnen in Bad Säckingen.

Tote Zeugen und Stacheldraht

Neben dem Trompeter ist der Heilige Fridolin (538 in Säckingen gestorben) die zweite geschichtsträchtige Gestalt in Bad Säckingen. Der irische Wandermönch legte mit der Gründung des Stiftes Säckingen, dem ältesten Kloster Süddeutschlands auf einer Rheininsel die Grundlage für die Christianisierung des heutigen Baden-Württemberg. Häufig wird der Heilige Fridolin mit einem Skelett dargestellt; dabei handelt es sich um Ursus, von dem er große Teile des schweizerischen Glarnerlandes geschenkt bekam. Nach dessen Tod wollte dessen Bruder Landolf den Grund wieder zurück. Also zog Fridolin vor Gericht, holte den Toten Ursus kurzfristig als Zeugen aus dem Grab und ließ ihn vor Gericht für sich aussagen. Landolf war darüber so erschrocken, dass er Fridolin auch seinen Teil des Glarnerlandes schenkte. Auf diese Weise ging es ganz an das Kloster Säckingen und Fridolin von Säckingen wurde zum Schutzpatron des schweizerischen Kantons Glarus.

Klar, dass alljährlich zur großen Fridolinsprozession am Sonntag nach dem 6. März viele Glarner kommen. Dann wird der prächtige, 350 Kilogramm schwere Schrein mit den Gebeinen des Heiligen aus dem Fridolinsmünster geholt und von acht kräftigen Männern durch die Stadt getragen. Musikkapellen, Trachtenträger, Ritter und Knappen in mittelalterlichen Gewändern begleiten die Prozession. Anschließend wird weltlich gefeiert, unter anderem mit Ziger­krapfen, mit krümeligem Frischkäse (Ziger) gefüllter Quarkblätterteig. Sehr lecker und soft.

Reliquienschrein des Heiligen Fridolin in Bad Säckingen

Wulf Wager

Der Reliquienschrein im Fridonlinsmünster.

Deutlich härter sind die Holzbohlen auf der Brücke, die Bad Säckingen mit der Gemeinde Stein in der Schweiz verbindet. Sie hat auch schon ein paar Jahrhunderte auf dem Rücken. Im Jahr 1272 wurde sie erstmals erwähnt. Mehrfach wurde sie durch Hochwasser und Kriege zerstört. Bis 1979 fuhr sogar der Auto­verkehr über die mit 203,7 Metern längste gedeckte Holzbrücke Europas.

Heute dient sie nur noch Fußgängern und Radfahrern als Überweg, zumindest solange nicht Corona herrscht. Denn in der Anfangszeit der Pandemie sperrte die Schweiz die Brücke auf ihrer Seite mit Stacheldraht ab. Bei manch altem Säckinger kamen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg auf, während dem die Schweiz komplett dichtmachte. Heute verläuft die von Napoleon gezogene Grenze in der Mitte des Rheines. Von dort sieht man auch gut auf das Rheinkraftwerk, das halb deutsch, halb schweizerisch der Stromerzeugung dient. Nachhaltige Energiegewinnung am Hochrhein.

Und man sieht in den Hotzenwald, jene wilde Region, die südlichste des Schwarzwaldes zwischen Wehra- und Albtal gelegen. Die Bewohner verweigerten einst den evangelischen badischen Großherzögen die Unterwürfigkeit und huldigten lieber dem katholischen Vorderösterreich. Mit diesen sturen Hotzenwäldern musste sich Scheffel als junger Rechtspraktikant in Staatsdiensten auseinandersetzen. Verständlich, dass er lieber das dolce vita auf Capri genoss und aus Säckingen nur den Stoff für seinen „Trompeter“ mitbrachte.

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