Wenn man an Schwäbisch denkt, ist Christoph Sonntag nicht weit. Seit vielen Jahren ist der gebürtige Waiblinger in Bad Cannstadt zuhause und regelmäßig zu Gast auf den Bühnen im Land wie im Ländle gleichermaßen: Ob als Bruder Christophorus, der in seiner SWR-Kultsendung und vor Ort in der Alten Kelter zu Fellbach den Mächtigen des Landes die Leviten liest, als schwäbischer Sprachbotschafter im TV und Radio oder mit seinen Kabarett-Programmen, in denen er es schafft, der Welt die Schwaben zu erklären und umgekehrt. Sonntag und Schwaben, das gehört zusammen. Grund genug mit dem Kabarettisten einmal über Heimat zu reden.
LOKALMATADOR.DE: Herr Sonntag, was bedeutet Heimat für Sie?
Christoph Sonntag: Heimat ist ganz einfach die Wurzel. Als studierter Landschaftsplaner weiß ich genau, dass ein gesunder Baum nur dann gesund sein kann, wenn er gut verwurzelt ist. Die Wurzel ist nicht sichtbar, sie gibt aber den Halt. Und der Baum oben ist umso fulminanter, je besser die Verankerung unten ist.
LM: Was ist an Ihnen typisch schwäbisch?
Sonntag: Dieses Wühlen. Ich möchte alles wissen. Auch wenn ein Text leicht und locker daherflattert, muss er doch fundiert sein, die Fakten müssen stimmen. Und was auch typisch schwäbisch ist: Wenn uns etwas anfixt, sind wir ganz bei der Sache. Wenn mich Menschen fragen, wie ich ein Programm schreibe, ringe ich nach einer Antwort. Das Programm ist ein Teil von mir. Es fußt in meiner Weltanschauung und wird kombiniert mit Ereignissen um mich herum oder in mir drin. Das Programm ist im Prinzip eine therapeutische Aufarbeitung, von dem, was um mich herum passiert. Da bin ich durch und durch Künstler.
LM: Also schwäbischer Perfektionismus?
Sonntag: Wenn das Programm dann auf der Bühne ist, wird es ständig verändert und verbessert. Mein Cheftechniker ist auch Schwabe und der gibt auch keine Ruhe. Obwohl der eigentlich nur schauen muss, dass das Licht, der Ton und die Übergänge stimmen, ist er so mit drin, dass er mein bester Spiegel von allen ist. Wenn sich da Stereotypen einschleichen, bekommt er das mit und sagt es mir.
LM: Und wie sieht es mit der vielzitierten schwäbischen Sparsamkeit aus?
Sonntag: Wir arbeiten seit 30 Jahren als einzige Crew mit Akku-Headsets. Allen anderen ist das zu riskant, die machen immer neue Batterien rein, weil sie sagen, das kostet ja nichts. Die halten 14 Stunden, davon wird 4 Stunden gespielt, dann werden sie weggeworfen. Das war uns von Anfang an ein ökologisches Greuel. Also nutzen wir Akkus, was immer mal wieder dazu führt, dass der Strom ausfällt. Dann muss ich auf der Bühne die Batterie wechseln. Das wird dann in die Show eingebaut, da erzähle ich, dass wir mit Ökostrom arbeiten und das gibt Applaus. Diese vermeintliche Schwäche, die andere Kollegen ausmerzen wollen, da machen wir eine Nummer draus.
LM: Also ist Sparsamkeit eigentlich oft auch Nachhaltigkeit?
Sonntag: Sparsamkeit ist eine oft lächerlich gemachte Seite einer wichtigen Medaille. Das hat ja alles auch Vorteile, diese Diversität, dieses ständige Streben nach Verbesserung, dieses Das-muss-auch-anders-gehen. Deshalb haben wir auch dieses Jahr wieder die meisten Patentanmeldungen. Der Schwabe ist auf der Welt, um sie ständig zu verbessern. Man kann ihm vorwerfen, dass er das für sich tut, aber zumindest im Beifang auch für alle anderen.
LM: Liest man bei Christoph Sonntag zwischen den Zeilen, erkennt man einen kritischen Geist, einen, der nachbohrt, manchmal auch konservativ sein kann, aber im positiven Sinn. Man spürt aber auch, da spricht kein Zyniker sondern auch ein Humanist. Ist das auch typisch schwäbisch?
Sonntag: Ich glaube, ja. Sehen Sie, meine Großeltern hatten in Waiblingen eine Holzspielwarenfabrik und eine Ski- und Schlittenfabrik. Unter der Ägide meines Großvaters, so wurde mir erzählt, gab es einen Arbeiter, der den typisch schwäbischen Unfall erlitten hat: Er ist vom Kirschbaum gefallen, damals die zweithöchste Unfallursache. Und zwar so unglücklich, dass er nicht mehr er selbst war. Mein Opa hat gesagt, der hat drei Kinder, das können wir nicht machen. Da haben die Kollegen ihn abgeholt, haben ihn im Werk auf einen Stuhl gesetzt, mit einer Puppe, mit der er den ganzen Tag gespielt hat. Seine Kollegen haben seine Arbeit mitgemacht und abends wurde er heimgefahren, bei vollem Lohnausgleich. Diese soziale Verantwortung, das gibt es heute selten. Es muss ja keiner mehr.
Das haben wir Kinder aber mitbekommen damals. Wir wussten, dass man Geld verdienen darf, oder wie es Jörg Mink - Kult-Gastronom von Schloss Solitude - ausdrückt: Es ist nichts Schlechtes daran, ein bisschen fleißiger zu sein als die anderen, ein bisschen gescheiter zu sein als die anderen, ein bisschen mehr Geld zu verdienen als die anderen, sich deshalb ein Haus zu kaufen und das innen und außen sauber zu halten. Das ist die schwäbische Seele in einem Satz wunderbar dargestellt.
LM: Reden wir nochmal über Heimat. Wenn Sie einen Lieblingsplatz benennen müssten, wo wäre der?
Sonntag: Da fällt mir als erstes Bad Berg ein. Stuttgart ist nach Budapest die zweitmineralreichte Stadt Europas und würde es am liebsten verschweigen. Es könnte ja jemand aus Bayern herfahren und einem Stuttgarter den Parkplatz vor Bad Berg wegnehmen. Bad Berg ist eine Sensation für mich. Das fließt das Mineralwasser direkt aus dem Boden, herrlich. Im Touralltag konnte es früher vorkommen, dass ich eine Tageskarte gekauft habe, eine Runde geschwommen bin und dann als neuer Mensch zur Show gefahren bin.
Und in Bad Berg hat sich eine unglaubliche Szene angesiedelt. Diese Alt-Stuttgarter zu belauschen war ein Traum. Das sind Menschen, die wissen alles. Wenn man sie nur machen lassen würde, wäre nicht nur der Weltfrieden da, sondern auch alles andere. Aber man lässt sie halt nicht und sie verstehen auch gar nicht warum. Diese Haltung: grandios!
LM: Und Ihre Nummer 2 in Stuttgart?
Sonntag: Den Monte Scherbelino. Das ist für mich das eindrücklichste Antikriegsdenkmal, das es geben kann. Und auch das ist nur bei uns möglich, weil man nur hier auf die Idee kommt, jetzt haben wir Kriegsschrott - was machen wir damit? Da machen wir ein Denkmal draus, das kostet nix. Da liegen wunderschöne Fassadenteile und in Stein gehauene Ornamente von den zerbombten Häusern. Und heute können die Kinder drauf rumturnen. Am liebsten würde ich in diesen Tagen Vladimir Putin da hin schicken, das wäre der Ort, an dem er aufwachen könnte!
LM: Sie sind ja gebürtiger Waiblinger. Was verbindet Sie mit Ihrer Heimatstadt?
Sonntag: Mein Vater war Grünplanungschef in Waiblingen. Er hat die Stadt komplett verändert, ohne dass er dafür die Meriten geerntet hätte, weil er kein Mensch der Öffentlichkeit war. Nicht erst seit er letztes Jahr gestorben ist, habe ich sein Lebenswerk aufgenommen und führe das jetzt auch weiter und verweise auf ihn. Zum Beispiel die Erleninsel - ein Naherholungsgebiet in und an der Rems, einstmals Privatbesitz. Mein Vater hat damals aktiv mitgewirkt, dass das die Öffentlichkeit bekommt. Sie hat es bekommen und heute sind die große und kleine Erleninsel der Melting Pot der Naherholung. Man läuft aus der Innenstadt heraus und ist mitten auf einer Insel ...
LM: Da steckt also Familie drin?
Sonntag: Wenn ich durch meine Geburtsstadt laufe, sehe ich eine Stadt, von der ich weiß, dass sie ohne meinen Vater nicht so anmutig aussehen würde. Das ist schon ein schönes Gefühl. Das Witzige ist: Ich habe mal gesagt, Papa, du schaffst einen schönen Platz nach dem anderen, hast aber selbst gar keine Minute Zeit und keine Muse dich darauf zu verweilen. Mein Vater hat Plätze für andere Menschen geschaffen ...
LM: Sind Sie denn ein Mensch, der sich verweilen kann?
Sonntag: Sehr schlecht. Verweilen heißt für mich Bewegung. Wandern, Radfahren oder joggen ...
LM: Also auch niemand, der sich mal auf eine Bank setzt ...
Sonntag: Nein, Sitzen ist ganz schlecht. Wenn im Familienurlaub früher jemand was am Strand vergessen hat, habe ich innerlich immer gejubelt und gesagt ich hol’s. Ich bin relativ rastlos. Mein Job geht eben auch rund um die Uhr. In meinem Kopf sind ständig Prozesse am Laufen - die werden irgendwann gelöst, dann muss ich sie aufschreiben. Mein neuer Buchtitel ist mir nachts eingefallen, ich habe ihn aufgeschrieben und er ist es jetzt.
LM: Ist der schon kommunizierbar?
Sonntag: Es ist eine Art Biografie, die viel über uns Schwaben erzählt - "Eine schwäbische Lebensgeschichte", so lautet der Untertitel. Und der Titel: "Kennsch oin, kennsch älle". Ein alter Spruch, der auf uns Schwaben gut passt.
LM: Warum eigentlich Dialekt?
Sonntag: Warum noch ist eher die Frage. Meine Oma hatte eine Freundin - Frau Neithard, die haben sich gesiezt bis zum Schluss, auch das ist typisch schwäbisch. Die hatte im Nachbardorf Beinstein einen Bauernhof und kam dann immer mit dem Mofa angeknattert um mit meiner Oma einen Kaffee und ein Eierlikörchen zu trinken und das abzugeben, was halt grad wächst. Und diese Frau aus einem drei bis vier Kilometer entfernten Ort, die hatte einen komplett anderen Dialekt. Als Kind habe ich der fasziniert zugehört und dachte, die spricht ganz anders. Das ist erstaunlich. Heute habe ich drei Kinder und keines davon spricht schwäbisch - obwohl ich nie etwas anderes gemacht habe mit ihnen. Alles um mich herum spricht hochdeutsch, und nur ich halte die schwäbische Fahne aufrecht. Allerdings schon immer auf eine international verständliche Art und Weise, ich versuche, dass auch ein Hesse Spaß an meinem Programm haben kann. Würde ich mit dem Dialekt meines Onkels von der Alb auftreten, hätte ich vielleicht ein Publikum von Göppingen bis Aidlingen.
LM: Zum Abschluss: Ein Tag im Remstal: Was empfiehlt der Waiblinger einem Neigeschmeckten?
Sonntag: Park‘ dei Auto am Hallenbad. Und zwar vor der Stang, da musch nix zahle. Dann lauf nei in die Talaue und die Rems auf der einen Seite lang, bis‘d nemmer kannscht. Und dann auf der anderen Seite zurück. Dann weisch, was Schönheit isch ...
Die Fragen stellte Johannes Rehorst
Noch mehr Christoph Sonntag? Bereits vor einiger Zeit haben wir den Kabarettisten in einem Audiopodcast vorgestellt.