Eine Gruppe Jugendlicher aus Mannheim im Käfertaler Wald. Die meisten wären lieber woanders, chillen um die Uhrzeit normalerweise am Paradeplatz oder shoppen im Kaufhaus Q6Q7 nach neuen Klamotten – heute sind sie aber in der Natur, zusammen mit der ganzen Schulklasse im kühlen, feuchten Wald und bauen ein Waldsofa. Aus abgebrochenen Ästen, Reisig und Moos aus dem Wald besteht das improvisierte Möbelstück. Käfer und Ameisen krabbeln zwischen den toten Zweigen.

Die Jungs ekeln sich davor, keiner will sich hineinsetzen – für Daniel Weissgärber vom Waldhaus Mannheim keine große Herausforderung. Er geht mit den Jungs, die sonst nur asphaltierte Straßen und Klimaanlagen gewohnt sind, auf die Suche nach Bodenorganismen in dem Sofa. Das Unterfangen spricht offenbar den Jagdinstinkt an: In Nullkommanichts sind alle total bei der Sache, fassen die Äste an, graben in der Erde mit ihren bloßen Händen. Ohne es zu merken, haben sie ihre Ehrfurcht vor dem Wald überwunden.

Das Waldhaus Mannheim bietet Eingang in die grüne Idylle der Stadt.

ps

Das Waldhaus Mannheim bietet Eingang in die grüne Idylle der Stadt.

Mit pädagogischem Angebot Naturentfremdung entgegenwirken

Geschichten wie diese schreibt das Waldhaus Mannheim täglich. Seit 25 Jahren existiert der außerschulische Lernort, den Felix Reining, Vorstand der ForstBW, als „bedeutendste Einrichtung in der Metropolregion“ bezeichnet. Enge Kooperationen mit der unteren Forstbehörde der Stadt Mannheim und der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) ermöglichen ein breites waldpädagogisches Angebot für die Region um Mannheim und Heidelberg. War es zunächst noch ein Forstpavillon in Plochingen, steht das Gebäude seit 25 Jahren im Käfertaler Wald und wurde durch die hohe Nachfrage sogar ausgebaut. Gerade in Ballungszentren wie der Region Rhein-Neckar sei das Waldhaus besonders wertvoll, betont Daniel Weissgärber, seit Jahren Leiter des Standorts.

In großen Städten sind Kinder und Jugendliche vom Wald entfremdet. Viele verbringen ihre meiste Zeit nicht nur in der Stadt, sondern innerhalb von abgesicherten vier Wänden. Den einzigen Kontakt, den sie mit Natur haben, sind die Bäume und Wiesen im Luisenpark. Dietmar Hellmann, Leitung des Forstbezirks Odenwald, beobachtet zudem ein sehr romantisiertes und verfälschtes, emotionales Verhältnis mit dem Wald, macht unter anderem ein „verwissenschaftlichtes Bildungssystem“ für die „gravierende Naturentfremdung“ verantwortlich.

Das Waldhaus Mannheim bildet Kinder bezüglich des Waldes und der Waldtiere.

ps

Das Waldhaus Mannheim bildet Kinder bezüglich des Waldes und der Waldtiere.
Angehende Förster sollen im Waldhaus Mannheim motiviert werden.

ps

Angehende Förster sollen im Waldhaus Mannheim motiviert werden.
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Waldpädagogik ist als Bildungsauftrag laut §65, Absatz 1 des Landeswaldgesetzes Baden-Württemberg eine der fünf großen Aufgaben der Forstbehörden. Um Kindern und Jugendlichen das Ökosystem Wald näherzubringen, will man Grundwissen zum Wald durch direkte Erfahrungen begreiflich machen und unterdrückte Urinstinkte ansprechen – wie eben bei der Jagd nach Bodenorganismen. Das Waldhaus bietet spielerische Aktivitäten für jüngere Kinder und reifere Team-Building-Maßnahmen für Jugendliche an, Trends unter Jugendlichen wie beispielsweise Bushcraft/Survival oder Escape Rooms finden Berücksichtigung. Das Angebot soll möglichst lebensnah gestaltet sein und die Heranwachsenden somit für das bedeutsame Thema Wald sensibilisieren.

25 Jahre Waldhaus Mannheim

2024 feierte das Waldhaus gebührend sein 25. Jubiläum. Ein interaktiver, barrierefreier Rundgang bot Spaß für Groß und Klein, unzählige Stände informierten Familien und Kinder über Natur und Forstwirtschaft. Spielerische Aktivitäten wie Bogenschießen, eine Schnitzwerkstatt, Vorführungen der Diensthunde – es gab einiges zu entdecken.

Das Upcycling-Orchester des Ursulinen Gymnasiums Mannheim erzeugt rauschende Klänge aus Wiederverwertetem.

ps

Das Upcycling-Orchester des Ursulinen Gymnasiums Mannheim erzeugt rauschende Klänge aus Wiederverwertetem.

Das Upcycling-Orchester des Ursulinengymnasiums begrüßte die Gäste, aus Plastikmüll und wiederverwerteten Gegenständen basteln sie Musikinstrumente und machen damit Musik. Der Nachhaltigkeitsgedanke stand während des Festes generell im Vordergrund: Mannheims erste Bürgermeisterin, Prof. Dr. Diana Pretzell, betonte in ihrem Grußwort, der deutsche Wald verändere sich aufgrund des Klimawandels – auch der Käfertaler Wald bleibe davon leider nicht verschont.

Probleme und Hürden im Käfertaler Wald

In der Tat: Der Wald um Mannheim ist in einem katastrophalen Zustand. Man mag denken, das liege an der Industrie, doch Daniel Weissgärber gibt vor allem dem Klimawandel die Schuld. Die Temperatur steige an, invasive Pilzarten wie der Diplodia-Pilz befalle die geschwächten Bäume. Die spätblühende Traubenkirsche, eine Art aus Amerika, nehme den Kiefern den Platz. Produktiv verwerten kann man nichts von der invasiven Art.

Cocker Spaniel werden schon seit Langem von Förstern im Wald als Diensthunde eingesetzt.

ps

Cocker Spaniel werden schon seit Langem von Förstern im Wald als Diensthunde eingesetzt.

Um solche Veränderungen zu bewältigen, muss ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Probleme geschaffen werden. Leider fehlt das Personal, Weissgärber macht fehlende öffentliche Sichtbarkeit der Forstwirtschaft dafür verantwortlich. Das Jubiläumsfest soll in zahlreichen Infoständen unter anderem für den Beruf des Försters werben. Manche Kinder hüpften begeistert von Stand zu Stand.

Mit Weitsicht in die Zukunft

Das Waldhaus Mannheim ist für die Beteiligten mehr als das eigentliche Gebäude: Im Vordergrund steht das durch Kooperationen entstandene Netzwerk. Die tiefgreifende Zusammenarbeit und Unterstützung von ForstBW und SDW macht die Arbeit des Waldhauses erst möglich. Um den Wald zu retten und zu schützen, braucht es das Problembewusstsein der Bürgerinnen und Bürger, weshalb die pädagogischen Angebote so wichtig sind. Die Schüler, die sich zunächst noch vor dem Waldsofa ekelten, haben ihre Angst offenbar überwunden und dabei viel Neues gelernt – das könnte doch auch bei allen so sein.