Beim Anblick der Bilder, die die Wildkamera im Landkreis Rastatt überträgt, stockt Daniel Schmidt-Rothmund der Atem: Drei Vogeleier mit rötlich-braunen Flecken liegen im gepolsterten Horst der Fischadler. Es ist die erste nachweisliche Brut der imposanten Greifvögel seit mehr als 110 Jahren in Baden-Württemberg – eine Sensation, die dem 59-jährigen Ornithologen Tränen der Freude in die Augen treibt.
Seit 33 Jahren arbeitet der Leiter des NABU-Vogelschutzzentrums Mössingen auf diesen Tag hin. Jetzt endlich stellt sich der ersehnte Erfolg ein, auf einer künstlichen Nisthilfe, die er vor zwei Jahren in der badischen Oberrheinebene im Kreis Rastatt montiert hatte. „Fischadler lieben Wälder mit einzelnen, alles überragenden Baumriesen, auf denen sie wie der König in ihrem Nest sitzen und den gesamten Wald überblicken können. Dazu geeignete Bäume sind ebenso selten wie Fischadler – zusammen sind sie ein Dreamteam“, sagt Schmidt-Rothmund.
Video: Die Rückkehr des Fischadlers
38 Tage Daumen drücken für erfolgreiche Brut
Das erste Ei lag am 15. April im Nest der Fischadlereltern. Das Männchen ist neun Jahre alt und aus Sachsen-Anhalt in den Südwesten gezogen, wie seine Fußringe verraten. Auch das Weibchen ist beringt, ihre Herkunft bisher aber noch unbekannt. Für die beiden ist es bereits das dritte Brutjahr. „Jetzt müssen Vogelfans im Land kräftig die Daumen drücken, damit nach 38 Tagen Ende Mai die drei Küken schlüpfen“, so Schmidt-Rothmund. Und auch dann heißt es für das Fischadlerpaar: wachsam bleiben. „Am ersten Brutplatz des Paares im Elsass wurden gleich beide Bruten in den Vorjahren komplett von einem Habicht oder Uhu geräubert. Das gesamte Fischadler-Netzwerk hofft und bangt nun mit den beiden auf ein Happy End.“ Wenn alles gut geht, beringt der Ornithologe die drei Jungadler Ende Juni, kurz bevor sie das Nest verlassen.
Vogeleltern im Glück
Das Daumendrücken hat sich gelohnt: Bei den baden-württembergischen Fischadlern gibt es Nachwuchs. Nach 115 Jahren Pause folgte damit in der badischen Oberrheinebene die erste nachweislich erfolgreiche Brut der beeindruckenden Greifvögel im Südwesten.
Mit dem Spektiv auf Spurensuche
Davon hat sich Daniel Schmidt-Rothmund jetzt vor Ort überzeugt. „Das Männchen hat dem am Nestrand stehenden Weibchen einen Fisch gebracht, den das Weibchen an den Nachwuchs verteilt hat, das erkennt man eindeutig an den charakteristischen Kopfbewegungen“, berichtet der Leiter des NABU-Vogelschutzzentrums. „Danach ist die frisch gebackene Vogelmutter wieder nah an ihre Küken herangerückt und hat die Flügel ganz typisch etwas hängen lassen, um für Schatten zu sorgen.“ Der Ornithologe hat das aus rund 300 Metern Entfernung vom Boden aus durchs Spektiv beobachtet, um die Vogelfamilie mit den erst wenige Tage alten Jungvögeln keinesfalls zu stören. Nachdem die Wildkamera keine Bilder mehr geliefert hatte, war unklar gewesen, ob aus den rötlich-braunen Eiern tatsächlich Küken geschlüpft sind. Entsprechend groß ist Schmidt-Rothmunds Erleichterung. Wie viele Jungadler es sind, wird er erst wissen, wenn es Ende Juni ans Beringen geht, rechtzeitig bevor sie flügge werden. Dann klettert der Ornithologe zu dem Horst im Wald hinauf, den er vor zwei Jahren selbst auf einem etwa 25 Meter hohen Baumriesen montiert hat.
Hoffnung auf ein Happy End
Bis dahin heißt es: weiter hoffen auf ein Happy End für die Fischadler-Familie im Landkreis Rastatt. Dafür müssen drei Faktoren zusammenspielen: Möglichst trockenes und warmes Wetter, 20 bis 25 Grad Celsius sind ideal, damit es im Nest nicht zu feucht wird. „Zweitens hofft das Fischadler-Netzwerk darauf, dass Habichte und Uhus das Nest verschonen. Und drittens ist der jungen Familie zu wünschen, dass das Männchen keinen Unfall hat“, so Schmidt-Rothmund. „Die Rollenverteilung ist klassisch, das Weibchen bleibt nahezu durchgehend am Nest und das Männchen schafft Nahrung herbei.“ Fischadler können nicht tauchen, sie nehmen den Kopf zwischen die Füße, strecken die Flügel nach hinten und erbeuten so Fische, die maximal einen Meter unter der Wasseroberfläche schwimmen. Auf ihrem Speiseplan stehen meistens Brachsen oder andere Weißfische, die erbeuteten Fische sind durchschnittlich rund 300 Gramm schwer.
Hintergrund
- Der Fischadler ist ein reiner Pescetarier. Oberflächennah lebende Fische wie die Brachse erbeutet er aus der Luft. Als vermeintlicher Nahrungskonkurrent des Menschen wurde der Greifvogel erbarmungslos abgeschossen, seine Gelege wurden geplündert und Horstbäume gefällt, bis zur Ausrottung 1907 im Südwesten. Noch im 19. Jahrhundert war der Fischadler in Baden-Württemberg entlang von Donau, Rhein, Neckar und an Kocher und Jagst beheimatet. Bekannt ist das vor allem, weil aus dem 19. Jahrhundert Jagdstatistiken mit langen Abschusslisten vorliegen. Auch Eiersammlungen in Museen belegen das.
- Seit dreißig Jahren installiert der NABU in Baden-Württemberg Nisthilfen für den imposanten Greifvogel in dessen alter Heimat an Rhein und Donau. Kunsthorste gibt es in mehreren Landesteilen. Im Zuge eines Interreg-Projekts gemeinsam mit der französischen Partnerorganisation LPO (Liga für Vogelschutz) am Oberrhein kamen zehn Nisthilfen beidseits des Rheins zwischen Basel und Karlsruhe hinzu.
- Fischadler sind keine großen Baumeister – sie nutzen gerne immer wieder dieselben Nester, die sie mit Ästen ausbauen und mit Gras auspolstern. Ausgewachsene Fischadler erreichen eine Größe von rund 55 bis 65 Zentimetern und eine Flügelspannweite zwischen 1,60 und 1,80 Metern Länge. Ihr Nest ist dementsprechend groß und misst im Durchmesser 1,20 Meter. Für sein Nest bevorzugt der Fischadler alte Eichen oder Kiefern mit mindestens 25 Metern Höhe und weitem Ausblick.
- Baden-Württemberg war bislang nur eine Zugschneise für die Fischadler auf ihrem Weg zwischen nördlichen Brutgebieten und Winterquartier. Im Spätsommer verlassen sie ihre Nester und fliegen rund 5.000 Kilometer bis nach Westafrika (Senegal, Gambia).