Eine kleine Sensation in der baden-württembergischen Vogelwelt: Am 23. Juni hat der NABU im Landkreis Rastatt zwei junge Fischadler beringt. Seit 1907 ist das die erste nachweislich erfolgreiche Brut der imposanten Greifvögel im Südwesten. „Die Spannung war groß, wir wussten nicht, wie viele Jungvögel uns oben im Horst erwarten. Umso größer ist die Erleichterung darüber, dass sich Balbü und Kju bester Gesundheit erfreuen“, berichtet Daniel Schmidt-Rothmund. Der Leiter des NABU-Vogelschutzzentrums setzt sich seit Jahrzehnten für die Rückkehr der Greifvögel ein. 

NABU-Fischadler-Experte Daniel Schmidt-Rothmund strahlt. Das Gelege der Fischadler in Mössingen ist eine Sensation.

NABU/Daniel Schmidt-Rothmund

NABU-Fischadler-Experte Daniel Schmidt-Rothmund strahlt. Das Gelege der Fischadler in Mössingen ist eine Sensation.

Seit 33 Jahren arbeitet der Leiter des NABU-Vogelschutzzentrums Mössingen auf diesen Tag hin. Jetzt endlich stellt sich der ersehnte Erfolg ein, auf einer künstlichen Nisthilfe, die er vor zwei Jahren in der badischen Oberrheinebene im Kreis Rastatt montiert hatte. „Fischadler lieben Wälder mit einzelnen, alles überragenden Baumriesen, auf denen sie wie der König in ihrem Nest sitzen und den gesamten Wald überblicken können. Dazu geeignete Bäume sind ebenso selten wie Fischadler – zusammen sind sie ein Dreamteam“, sagt Schmidt-Rothmund.

Video:Fischadler-Nachwuchs geschlüpft und beringt

Abseilen, wiegen, vermessen, beringen

Das erste Ei lag am 15. April im Nest der Fischadlereltern. Das Männchen ist neun Jahre alt und aus Sachsen-Anhalt in den Südwesten gezogen, wie seine Fußringe verraten. Auch das Weibchen ist beringt, ihre Herkunft bisher aber noch unbekannt. Für die beiden ist es bereits das dritte Brutjahr. 

Nachdem die Nachkömmlinge geschlüpft sind, war es nun so weit. Profi-Kletterer Georg Bürk holt die Jungvögel unter Anleitung von Schmidt-Rothmund aus ihrem Nest in luftigen 25 Metern Höhe und lässt sie vorsichtig in einem Sack an einem Seil herunter. Dabei fallen die knapp fünf Wochen alten Adler in eine natürliche Schreckstarre. Die Elterntiere sind aufgeflogen, kreisen über dem Horstbaum und beobachten aufmerksam das Procedere. Dabei stoßen sie aufgeregte Warnrufe aus. „Diese charakteristischen Rufe haben eine beruhigende Wirkung auf den Nachwuchs“, erklärt Schmidt-Rothmund.

Daniel Schmidt Rothmund beringt hier Fischadler Balbü.

NABU BW/Ann-Kathrin_Mertz_aR

Daniel Schmidt Rothmund beringt hier Fischadler Balbü.

Am Waldboden nimmt der Ornithologe die Jungvögel behutsam in Empfang. Als erstes steht der Gesundheitscheck auf dem Programm: untersuchen, wiegen und vermessen. „Wir haben hier ein 1.458 Gramm schweres Weibchen und ein 1.178 Gramm schweres Männchen – sehr guter Durchschnitt für die Altersklasse“, erklärt der NABU-Fachmann.

Anschließend werden die Jungadler doppelt beringt, mit je einem etwa fünf Gramm leichten Ring an jedem Bein. Damit kann man sie eindeutig identifizieren. Mit der Beringung erhalten die kleinen Fischadler ihre Namen: „Balbü ist eine Kurzform des französischen Worts für Fischadler, Balbuzard. Kju nimmt Bezug auf den charakteristischen ‚kju-kju-kju‘-Warnruf“, so Schmidt-Rothmund.

Fischadler brauchen Platz. Ihr Nest misst im Durchmesser 1,20 Meter.

NABU BW/aR

Fischadler brauchen Platz. Ihr Nest misst im Durchmesser 1,20 Meter.

Fliegen lernen – und dann ab ins Winterquartier

Nach wenigen Minuten geht es mit dem Seillift wieder sicher nach oben. Kletterer Bürk setzt die beiden Jungadler wohlbehalten in ihrer Kinderstube über den Baumwipfeln mit Rundblick ab. Im Horst, den Schmidt-Rothmund vor zwei Jahren dort im Landkreis Rastatt installiert hatte, kehrt binnen weniger Minuten wieder Familien-Normalität ein. In rund drei Wochen, etwa Mitte Juli, werden Balbü und Kju ihre ersten Flugübungen machen. Im August verlassen sie die badische Oberrheinebene und legen rund 5.000 Kilometer bis ins westliche Afrika zurück, wo sie überwintern.

Drei rötlich-braun gefleckte Vogeleier liegen im Horst der Fischadler.

NABU/Daniel Schmidt-Rothmund

Drei rötlich-braun gefleckte Vogeleier liegen im Horst der Fischadler.

Hintergrund zur Beringung

In ganz Deutschland wird der Fischadlernachwuchs beobachtet und beringt. Ziel ist es, ein umfassendes Bild von Population und Bestandsentwicklung zu gewinnen. Der eine Ring trägt eine kleine individuelle Nummer, wie im Personalausweis, der andere einen großen alphanumerischen Code, ähnlich einem Autokennzeichen, den man auch aus der Entfernung erkennen kann. Die Ringnummern sind in einer Datenbank hinterlegt. Mit ihnen lassen sich die Fischadler eindeutig identifizieren. Mittels Spektiv oder Teleobjektiv kann man die Codes aus bis zu 250 Metern Entfernung ablesen. Eindeutige Ringablesungen können hier oder bei der Beringungszentrale Hiddensee gemeldet werden. Die gemeldeten Beobachtungen liefern wichtige Informationen über Überlebensrate, Wanderwege oder die Erschließung neuer Lebensräume. Letztlich dienen die Forschungsergebnisse einem besseren Schutz der Adler.

Vom badischen Fischadler-Nachwuchs gibt es noch kein Bild. Das Foto zeigt ein circa 5 Tage altes Fischadlerküken in Bayern.

NABU/Daniel Schmidt-Rothmund

Vom badischen Fischadler-Nachwuchs gibt es noch kein Bild. Das Foto zeigt ein circa 5 Tage altes Fischadlerküken in Bayern.

Mit dem Spektiv auf Spurensuche

Entdeckt hatte Schmidt-Rothmund die Brut im Frühjahr. „Das Männchen hat dem am Nestrand stehenden Weibchen einen Fisch gebracht, den das Weibchen an den Nachwuchs verteilt hat, das erkennt man eindeutig an den charakteristischen Kopfbewegungen“, berichtet der Leiter des NABU-Vogelschutzzentrums. „Danach ist die frisch gebackene Vogelmutter wieder nah an ihre Küken herangerückt und hat die Flügel ganz typisch etwas hängen lassen, um für Schatten zu sorgen.“ Der Ornithologe hat das aus rund 300 Metern Entfernung vom Boden aus durchs Spektiv beobachtet, um die Vogelfamilie mit den erst wenige Tage alten Jungvögeln keinesfalls zu stören. Nachdem die Wildkamera keine Bilder mehr geliefert hatte, war unklar gewesen, ob aus den rötlich-braunen Eiern tatsächlich Küken geschlüpft sind. Entsprechend groß ist Schmidt-Rothmunds Erleichterung.

Drei Faktoren 

Damit solch eine Brut bei Fischadlern gelingt, müssen drei Faktoren zusammenspielen: Möglichst trockenes und warmes Wetter, 20 bis 25 Grad Celsius sind ideal, damit es im Nest nicht zu feucht wird. Zweitens müssen Habichte und Uhus das Nest verschonen. Und drittens müsse man immer hoffen, dass das Männchen keinen Unfall habe, so Schmidt-Rothmund. „Die Rollenverteilung ist klassisch, das Weibchen bleibt nahezu durchgehend am Nest und das Männchen schafft Nahrung herbei.“ Fischadler können nicht tauchen, sie nehmen den Kopf zwischen die Füße, strecken die Flügel nach hinten und erbeuten so Fische, die maximal einen Meter unter der Wasseroberfläche schwimmen. Auf ihrem Speiseplan stehen meistens Brachsen oder andere Weißfische, die erbeuteten Fische sind durchschnittlich rund 300 Gramm schwer.

Video: Die Rückkehr des Fischadlers

Hintergrund

  • Noch im 19. Jahrhundert war der Fischadler in Baden-Württemberg entlang von Donau, Rhein, Neckar und an Kocher und Jagst beheimatet. Bekannt ist das vor allem, weil aus dem 19. Jahrhundert Jagdstatistiken mit langen Abschusslisten vorliegen. Auch Eiersammlungen in Museen belegen das. Als vermeintlicher Nahrungskonkurrent des Menschen wurde der Greifvogel jedoch erbarmungslos abgeschossen, seine Gelege wurden geplündert und man fällte Horstbäume, bis zur Ausrottung 1907 im Südwesten.
  • Seit dreißig Jahren installiert der NABU in Baden-Württemberg Nisthilfen für den imposanten Greifvogel in dessen alter Heimat an Rhein und Donau. Kunsthorste gibt es in mehreren Landesteilen. Im Zuge eines Interreg-Projekts gemeinsam mit der französischen Partnerorganisation LPO (Liga für Vogelschutz) am Oberrhein kamen zehn Nisthilfen beidseits des Rheins zwischen Basel und Karlsruhe hinzu. Finanzielle Unterstützung erhielt das Projekt von der Schweizerischen Stiftung Pro Pandion und von der Artenschutzstiftung des Zoos Karlsruhe sowie durch private Einzelspenden.
  • Fischadler sind keine großen Baumeister – sie nutzen gerne immer wieder dieselben Nester, die sie mit Ästen ausbauen und mit Gras auspolstern. Ausgewachsene Fischadler erreichen eine Größe von rund 55 bis 65 Zentimetern und eine Flügelspannweite zwischen 1,60 und 1,80 Metern Länge. Ihr Nest ist dementsprechend groß und misst im Durchmesser 1,20 Meter. Für sein Nest bevorzugt der Fischadler alte Eichen oder Kiefern mit mindestens 25 Metern Höhe und weitem Ausblick. 
  • Baden-Württemberg war bislang nur eine Zugschneise für die Fischadler auf ihrem Weg zwischen nördlichen Brutgebieten und Winterquartier. Im Spätsommer verlassen sie ihre Nester und fliegen rund 5.000 Kilometer bis nach Westafrika (Senegal, Gambia). 
  • Für Daniel Schmidt-Rothmund ist die Wiederansiedlung der Fischadler im Südwesten ein Herzensthema und Lebenswerk, das viel Zeit, Energie, Geduld und nicht zuletzt Geld erfordert. Er hat im Land mehr als 30 Plattformen auf hohen Bäumen installiert, Nistmaterial hochgeschafft und die Standorte regelmäßig besucht. Dank einem großen Netz aus Ehrenamtlichen, vogelbegeisterten Spenderinnen und Spendern sowie der Bereitschaft von Forst BW, Gemeinden und Privatwaldbesitzenden, ihre Flächen zur Verfügung zu stellen, erzielte das Projekt jetzt einen ersten großen Erfolg.

Video: Geschickter Fischjäger

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