Alles auf einmal findet man auf dem Schwarzwälder Genießerpfad um die Hornisgrinde und den Mummelsee.

Der Mummelsee ist sagenhaft. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Denn die Sage von den Geistern am Mummelsee zählt sicher zu den berühmtesten alten Geschichten aus dem Ländle. Die Spukgestalten benehmen sich manchmal wie die Heinzelmännchen von Köln, wenn sie den Menschen im Tal allerlei Gutes tun (sie putzen etwa die Küche, backen nachts Brot und kümmern sich um Schaf- und Rinderherden, die deswegen prächtig gedeihen). Manchmal erinnern sie auch an die „saligen Frauen“ des Alpenraums, die mit Hirten traute Zweisamkeit pflegen, aber ihnen strikt verbieten, sie zu verfolgen. Die halten sich aber nicht dran – und schon ist der Zauber dahin.

Mummelsee Wanderung

Mein Ländle / Jürgen Gerrmann

Folgen des Sturms "Lothar"

Mein Ländle / Jürgen Gerrmann

Die Folgen des Sturms „Lothar“ sind noch nach 15 Jahren unübersehbar.
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„Sie wittern, sie haschen mich schon!“

Eduard Mörike hat 1829 „Die Geister am Mummelsee“ in eine regelrecht dämonische Szenerie eingebettet, in der der See, wie oft in der Romantik, zum Sinnbild von Dunkelheit und Tod wird: „Es orgelt im Rohr, und es klirret im Schilf. Nur hurtig, die Flucht nur genommen! Davon! Sie wittern, sie haschen mich schon!“ Ein ähnliches Motiv taucht auch im ersten deutschsprachigen Abenteuerroman auf: Der Barock-Poet Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, der auch Bürgermeister im nahen Renchen war, schickt seinen etwas tumben Helden Simplicius Simplicissimus in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges durch die Tiefen des Mummelsees zum Mittelpunkt der Erde – natürlich auch wieder unter Geisterbegleitung.

Heute schaudert es wohl keinen mehr am Mummelsee. Anders als früher, da er nur schwer erreichbar mitten im Wald lag, ist er nunmehr durch die B 500, die Schwarzwaldhochstraße, bestens erschlossen – was Vor- und Nachteile hat. Die Menschen, die auf dem barrierefrei ausgebauten Weg den See umrunden, freuen sich an der harmlosen Seite der Romantik. Sie spiegelt sich nicht zuletzt in der Nixe am Ufer wider, die fast die Schwester der kleinen Meerjungfrau von Kopenhagen sein könnte. Ein Kunstpfad mit modernen Skulpturen mutet wie ein Dialog der Gegenwart mit all den Mummelsee-Geschichten aus vergangenen Jahrhunderten an. Gerade an sonnigen Wochen­enden ist hier viel los: Tausende strömen zu dem idyllischen Platz, von dem sogar Österreichs Kaiserin Sissi so fasziniert war, dass sie während ihrer Kuren in Baden-Baden gleich mehrmals hierherkam. Doch der Trubel sollte einen nicht abhalten, auf dem Genießerpfad dort zu wandern.

Es wurde Licht

Wenn man unter der Woche die Stiefel schnürt oder sich nur ein paar Hundert Meter vom Menschengewirr entfernt, kann man durchaus in Stille und Einsamkeit eintauchen. Und sich auch konditionell fordern. Denn der Anstieg vom Wanderparkplatz Seibelseckle hoch zum Dreifürstenstein erfordert durchaus Kondition, zumal wenn man ihn zügig angeht. Er hat ein nachgerade alpines Profil, obwohl man sich „nur“ um die 1000-Höhenmeter-Marke herum bewegt. Vielleicht liegt es ja an dieser gewaltigen Steigung, dass man dort so viele Steinmännle sieht, die man sonst eher von Bergen gewohnt ist, die zwei- bis dreimal so hoch sind.

Und man begegnet immer wieder der Urkraft der Natur. Beziehungsweise deren Folgen. Auch hier könnte man sagen: Das hat Nach- und Vorteile. Vor gut 15 Jahren wütete hier der Sturm „Lothar“ und schlug riesige Schneisen in den Baumbestand. Für die Waldbesitzer war es eine Katastrophe, für die Natur hingegen eher ein Segen. Das spürt man auf diesem Genießerpfad besonders intensiv, zumal hervorragend gestaltete Infotafeln auf diesen Aspekt hinweisen.
Unter den Fichten, die „Lothar“ wie Streichhölzer umknickte, war es nämlich zuvor rechtschaffen dunkel. Nur wenige Pflanzen und Tiere fühlten sich in der Finsternis wohl. Diese Verhältnisse krempelte der Sturm von einem Moment auf den anderen um. Es wurde Licht! Und es wurde licht. Das tat Fauna und Flora gut: Farne, Kräuter und Gräser konnten endlich sprießen, und da man an vielen Stellen darauf verzichtete, die geknickten Bäume zu entfernen, vermochte sich der „Lebensraum Totholz“ zu entfalten. Pilze, Asseln und Insekten fühlen sich nämlich just dort wohl – und gerade die sind wiederum wertvolle Nahrung für die Vogelwelt. „Lothar“ setzt auch für Wanderer das Tüpfelchen aufs i: Wo man früher den Wald vor lauter Bäumen nicht sah, eröffnete sich plötzlich freie Sicht. Die Landschaft wurde erlebbar. So ist der Weg hinauf zum Dreifürstenstein zwar schweißtreibend, aber interessant und kurzweilig. Und es gibt ja auch einen Lohn für die Mühen.

Steinmännle am Wegesrand

Mein Ländle / Jürgen Gerrmann

Wie in den Alpen – Steinmännle am Wegesrand
Sagenhafter Mummelsee

Mein Ländle / Jürgen Gerrmann

Von der Hornisgrinde kann der Blick in die Ferne schweifen.
Sagenhafter Mummelsee

Mein Ländle / Jürgen Gerrmann

Grenzmarkierung aus dem Jahr 1722 auf dem Dreifürstenstein
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Württembergs Spitze

Oben auf der Hochebene steht man zwar nicht auf dem höchsten Gipfel Württembergs – das ist der Schwarze Grat bei Isny –, aber auf dem höchsten Punkt des einstigen Herzogtums und Königreichs. Mit 1154 Metern übertrifft er seinen Kontrahenten im Allgäu um 25 Meter. Freilich: Wäre dort nicht im Jahr 1722 eine Grenze gezogen worden, wäre dieser „Rekord“ vielleicht niemand aufgefallen. Doch zu Beginn des 18. Jahrhunderts gab es an dieser Ecke ständig Streitereien. Nicht nur, dass sich Grundstückseigentümer in den Haaren lagen – in der damaligen deutschen Kleinstaaterei konnten auch ein paar Hundert Meter hin oder her darüber entscheiden, welches Recht denn nun angewendet werden sollte (oder musste). Also raufte man sich auf der Hornisgrinde zusammen, guckte einen markanten großen Stein aus und legte von dort aus die Trennlinien fest. Dreifürstenstein heißt dieser Punkt übrigens deswegen, weil hier nicht nur das Herzogtum Württemberg und die Markgrafschaft Baden zusammenstießen, sondern auch noch das Fürstbistum Straßburg – mit dem es indes schon im Jahr 1803 vorbei war.

Im Moor

Ganz in der Nähe des Dreifürstensteins beginnt ein weiterer spektakulärer Abschnitt des Genießerpfads: der Bohlenweg durch das Hochmoor auf der Hornisgrinde. Vermutlich ist es gerade dieser Kontrast zwischen steilem Anstieg und weiter Ebene, zwischen dichtem Wald und fast baumlosem Lebensraum, der einen so in den Bann schlägt. Auf 6000 Jahre wird das Alter dieses Biotops geschätzt, das wie ein gewaltiger Schwamm den Abfluss des Regenwassers verhindert hat. Das Moos dort kann das 25-Fache seines Trockengewichts an Wasser speichern – ein System, das über Jahrtausende hinweg funktionierte, dann aber durch den Menschen bedroht war, der versuchte, der Natur seinen Willen aufzuzwingen. Die Entwässerungsmaßnahmen waren alles andere als segensreich: Die hoch spezialisierten Pflanzenarten dort, die mit niedrigen Temperaturen, viel Niederschlag und wenig Nährstoffen auskommen, mussten ums Überleben kämpfen. Doch glücklicherweise hat man mittlerweile erkannt, welchen Wert diese ganz eigene Welt, in der nur kleine Blütenpflanzen gedeihen, für das Ökosystem und auch für die Seele des Menschen hat.

Wanderwegemarkierung

Mein Ländle / Jürgen Gerrmann

Die Wege zu Hornisgrinde und Mummelsee sind ausgezeichnet markiert.
Mummelsee Wanderung

Mein Ländle / Jürgen Gerrmann

Steil und steinig geht’s bergauf.
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Spionage im Grünen

Man sollte indes den Blick nicht nur auf den Boden richten, sondern die Chance nutzen und ihn in die Höhe schweifen lassen. Ob vom 1840 erbauten und nur sieben Meter hohen Signalturm (von den meisten Bismarckturm genannt) oder vom 1910 auf Initiative des Schwarz­waldvereins errichteten Hornisgrinde­­­­t­urm (der bringt es immerhin auf 23 Meter), ist eigentlich völlig egal – die Aussicht raubt einem bei klarem Wetter fast den Atem: Vogesen, Pfälzer Wald, Schwäbische Alb, Alpengipfel und natürlich zahllose Gipfel des Schwarzwalds. Man weiß manchmal gar nicht, wo man hingucken soll.

Bei aller Begeisterung vergisst man fast, dass man noch vor 20 Jahren diese Aussicht nicht hätte genießen können. Die Nazis hatten die Hornisgrinde schon im Jahr 1938 als militärisches Sperrgebiet deklariert und 1942 eine Flugabwehrstellung eingerichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es mit der Tabuzone für Zivilisten noch lange nicht vorbei: Die französische Luftwaffe installierte dort für den Auslandsgeheimdienst der Pariser Regierung eine Abhörstation, später mischten auch noch Bundeswehr und NATO mit. Erst seit 1997 kann man auf diesem Terrain wieder die Freuden des Wanderns genießen.

Mummelsee-Hornisgrinde-Pfad

Strecke: 6,4 km
Gehzeit: gut 2 Stunden
Niedrigster Punkt: 933 m
Höchster Punkt: 1162 m
Höhenunterschied: knapp 300 m, Auf- und Abstieg
Schwierigkeit: Oft wandert man auf schmalen, steilen Wegen. Daher sind gutes Schuhwerk und etwas Kon­­­di­tion unbedingt erforderlich.

 

Wanderkarte Mummelsee und Hornisgrinde

Mein Ländle

Trialog für Genießer

Und zu denen gehört auch eine gemütliche Einkehr. Dazu bietet auf diesem Genießerpfad das Berghotel Mummelsee für alle Ansprüche beste Bedingungen: Ob man im Erdgeschoss auf die Schnelle nur eine Kleinigkeit verzehren oder sich im ersten Stock einem leckeren Menü hingeben möchte, das Team um Bärbel und Karl-Heinz Müller bietet auf jedem Niveau Qualität. Gerade der Trialog aus schwäbischer, badischer und Elsässer Küche, quasi die kulinarische Variante des Dreifürstensteins, vermag einen da zu begeistern. „Regionale Küche“, das ist hier am Mummelsee nicht wie leider so oft nur ein Schlagwort, sondern wird gepflegt und gelebt. Und zwischen den einzelnen Gängen kann man sich auch am Blick auf die Wände erfreuen. Dort hängen nämlich ebenso moderne wie witzige Varianten der guten alten Schwarzwalduhr.

Dem Glücklichen schlägt bekanntlich keine Stunde. Und so dürfte die eine oder der andere auf diesem sagenhaften Genießerpfad auch deutlich länger unterwegs sein als im Streckenprofil offiziell angegeben.

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