Früher sollen Hexen mit dem Teufel im Bunde gestanden haben, später erlangten sie in der Fasnet geradezu Kultstatus. Im schönen Achertal standen sie Pate für einen idyllischen Qualitätswanderweg: Der „Hexensteig“ führt durch die Heimat einer Hexe, die Weinfreunde besonders mögen …

Beschilderung am Kappelrodecker Hexensteig

MEIN LÄNDLE/Jürgen Germann

Die Beschilderung weist den Weg.

Der Spätburgunder zählt zu den ältesten heute noch populären Weinsorten. Schon vor 2000 Jahren soll er angebaut worden sein. Und so dreht sich möglicherweise auch eine uralte Sage (datiert auf 1356) um den Pinot noir, wie er auch genannt wird: Der Burgherr von Rodeck – er gehörte wohl zur Adelsfamilie Röder, die im Jahr 1225 in der ersten urkundlichen Erwähnung der Anlage genannt wird – soll seine Tochter verstoßen haben, weil die sich in einen Bauernburschen aus dem Tal „verguckt“ hatte.

Sie wollte es nicht bei einem Flirt belassen, sondern nahm die Sache ernst. Vor die Wahl gestellt, sich diese unangemessene Beziehung aus dem Kopf zu schlagen und weiter das angenehme Leben auf der Höhe zu genießen oder sich davonzumachen, entschied sie sich für Letzteres.

Blick auf Kappelrodeck

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Eingebettet in Weinberge liegt Kappelrodeck mit der berühmten Lage Dasenstein.

„Die Arme haust’ im Dasenstein …“

Es hätte alles so schön werden können, ein Schmachtfetzen zum Dahinschmelzen für Hollywood oder Netflix. Aber leider wurde nichts daraus, denn der Angebetete hatte plötzlich kein Interesse mehr. Vielleicht, weil die große Liebe kein großes Vermögen mehr mitbringen konnte. Kein Wunder, dass sie sich verbittert und traurig in eine Höhle zurückzog, von der aus sie über die Ach zu ihrem einstigen Domizil blicken konnte. Untätig blieb sie trotzdem nicht: „Die Arme haust’ im Dasenstein / Und pflanzte ringsumher sich Wein“, heißt es in einem Heimatgedicht, das im Achertal wohl jeder kennt.

Obwohl sie ihre Heimat weithin bekannt machte, dankte man es ihr nicht. Sie blieb zeitlebens eine Außenseiterin. Und: „Als sie hässlich war und alt, man eine Hexe sie gar schalt.“ Sie wurde immer menschenscheuer und rächte sich, indem sie den Leuten im Achertal so manchen „losen Streich“ spielte, wie es Adolf Hirth in seinen „Achertalsagen“ formulierte. Was immer das konkret bedeuten mag. Auf jeden Fall hat hier jemand, der dem edlen Rebensaft zu sehr zugesprochen hat, keinen Rausch, er hat „die Hex“.

Wahrheitsgehalt hin oder her, dass die Geschichte der Hex vom Dasenstein zumindest gut erfunden ist, zeigt sich schon nach rund einem Kilometer auf dem Kappelrodecker Hexensteig. Er wurde nicht ohne Grund für die Wahl zu Deutschlands schönstem Wanderweg 2022 nominiert und landete am Ende auf Platz 13 bei den Ein-Tages-Touren.

Wer auf dem „Hexensessel“ Platz nimmt, kann den Blick nicht nur über Schloss Rodeck schweifen lassen – 1879 im Neorenaissancestil gebaut, ersetzte es die Burg –, sondern sieht auf der anderen Talseite auch die riesigen Weinberge am Dasenstein. Fels und einstiger Adelssitz liegen etwa auf gleicher Höhe, Vater und Tochter könnten mithin durchaus Sichtkontakt gehabt haben …

Hexensessel am Hexensteig Achertal

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Platz nehmen auf dem Hexensessel

… kein Spaziergang

In Kappelrodeck und im Ortsteil Waldulm wächst auf jeden Fall höchste Qualität; die Lage, entlang der man kurze Zeit später wandert, heißt „Pfarrberg“. Der Winzerkeller „Hex vom Dasenstein“, in dem sich so gut wie alle Weinbauern des Hauptortes zusammengeschlossen haben, und die Nachbarn von der Genossenschaft „Waldulm“ sammeln Auszeichnung um Auszeichnung. Allein für die „Hex“ regnete es in diesem Jahr 45 Gold- und neun Silbermedaillen bei den verschiedensten Prämierungen.

Aber über eins muss man sich klar sein: Ein weinseliger Spaziergang ist der Hexensteig nicht. Die Tour hat mit 745 Meter Auf- und Abstieg ein durchaus sportliches Profil, das mit einer alpinen Bergwanderung vergleichbar ist. Und anders als die Namensgeberin, die immer wieder als Symbol vom Wegesrand grüßt, sausen Wanderer nicht auf einem Besen durch die Lüfte, sondern müssen mit Schusters Rappen vorliebnehmen. Allerdings muss man in der Nationalparkregion Schwarzwald nicht alles „auf einen Rutsch“ bewältigen, die Steigung ist sanfter, und zwischendrin geht’s auch mal bergab.

Schön im Sommer: Das Freibad Kappelrodeck

Aussichtspunkt mit Ruhebank am Hexensteig

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Ob Hexensessel oder Ruhebank: Immer wieder laden schöne Rastplätze zum Verweilen ein

Für den herrlichen Weg sollte schon ein ganzer Tag Zeit sein. Die sechs Stunden, die die offizielle „Marschtabelle“ angibt, dient eher als Untergrenze oder als grobe Orientierung, denn auf den rund 18 Kilometern zu hetzen, wäre eine Wander-Sünde ersten Ranges.

Zu viele schöne Ausblicke, nicht nur übers Acher- und ins Renchtal, sondern bei guten Bedingungen auch über die Rheinebene zu den Vogesen und nach Straßburg – zu viel Schönes und Interessantes will angemessen gewürdigt werden.

Paragliding im Schwarzwald über dem Renchtal

Sagenhaft

Der Kappelrodecker Hexensteig eignet sich durchaus für Familien. Gerade Kinder dürften die Holzskulpturen und Hexenhäuschen am Wegesrand begeistern, und die wild-romantischen Schrofen und Felsen im zweiten Teil sorgen für abenteuerliches Ambiente.

Unterwegs warten allerlei Geschichten. Nicht nur die „Ur-Sage“ des verschmähten Ritterfräuleins von der Burg Rodeck. Im Hexenwald geht es zum Beispiel um das weiß gekleidete Mädchen, das einem jungen Burschen befahl, seine Schuhe aufzumachen, und dadurch Macht über ihn erlangte. Am Hexentanzplatz erfährt man indes von einer Hexe, die zunächst ein ums andre Mal einen Knecht in ein Ross verwandelte, um auf ihm zur nächtlichen Party jener Tage zu reiten, dann aber selbst übers Ohr gehauen wurde. Und das Hexenbänkle beim Heidenhof erinnert an eine Vertreterin ihrer Zunft, die einem Mann, der es wagte, an ihrer Existenz zu zweifeln, eine Lehre erteilte.

Darüber hinaus gibt es an der Buchwaldhütte und am Blaubronn schöne Grillplätze.

Wider den Durst

Ein weiterer großer Pluspunkt dieses Qualitätswanderwegs: Verdursten muss keiner. Dafür sorgt ein halbes Dutzend Getränkebrunnen am Wegesrand, wo auch die Leckereien der nahen Höfe zum Probieren bereitstehen, sei es mit oder ohne Alkohol. So ziemlich genau in der Mitte der Strecke, an der Grenze zwischen Acher- und Renchtal, liegt der „Fiesemichel“, eine Bergvesperstube voller Tradition am Spitzenberg; sie ist mit dem Auto nur schwer zu erreichen.

In dem denkmalgeschützten Bauernhaus aus dem Jahr 1856 kümmert sich im Moment die sechste Generation der Familie Fies um das leibliche Wohl der Wanderer. Und die schwärmen von Klassikern wie sauren Bohnen mit Speck, Bibiliskäs (eine Quarkvariation) oder Dummis (ein Pfannkuchenteig) mit Apfelmus.

Heidenhöfe entlang des Kappelrodecker Hexensteigs

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Idyllisch inmitten von Beerensträuchern, die wichtigen Rohstoff zum Schnapsbrennen liefern, liegen die Heidenhöfe.

Schwärmen lässt sich auch angesichts der abwechslungsreichen Szenerie: Von den Weinbergen im Tal geht es in den dunklen Tann auf dem Berg, in dem sich zwischen bemoosten Steinen links und rechts des idyllischen Pfades wohl niemand mehr fragt, warum der Schwarzwald so heißt, wie er heißt. Dazwischen öffnen sich immer wieder Ausblicke auf Wiesen mit herrlichen alten Obstbäumen, die nicht nur das Auge erfreuen, sondern auch den „Rohstoff“ für die zahlreichen ausgezeichneten Brennereien in dieser Region liefern, allen voran natürlich das weltberühmte Schwarzwälder Kirschwasser.

Der schöne Schwarzwald

Aber auch Birnen und Mirabellen, Äpfel und Zwetschgen, Weintrester und Sauerkirschen werden von über 400 Kleinbrennern allein auf dem Gemeindegebiet gebrannt. Eine besondere lokale Spezialität ist das „Zibärtle“, destilliert aus der Zibarte, einer kleinwüchsigen, fruchtfleischarmen Unterart der Pflaume, die schon Hildegard von Bingen erwähnte. Das Brennen ist sehr aufwendig und das Endprodukt entsprechend hochpreisig.

Dorfurlaub im Schwarzwald

Hexentanzplatz mit Hexenhäusle

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Vor allem bei Kindern kommt auf dem Hexentanzplatz „Hänsel-und-Gretel-Feeling“ auf.

Schatten aus ganz Deutschland

Bei aller Schönheit sind aber auch die Schatten der Vergangenheit gegenwärtig, und das ist gerade in Zeiten wie diesen auch gut so: Am 17. April 1945, in den letzten Tagen des Krieges also – das nahe Karlsruhe war schon am 4. April besetzt –, trafen auf einem malerischen Fleckchen auf der Schwend deutsche und französische Soldaten aufeinander. Was heute noch (oder wieder) unfassbar ist: Man ließ es nicht einfach dabei und setzte dem Wahnsinn ein Ende, sondern lieferte sich ein erbittertes Feuergefecht – um Nichts.

Elf Männer aus dem letzten Aufgebot Nazi-Deutschlands und eine unbekannte Zahl Franzosen fanden hier den Tod. Die meisten waren über 40 Jahre alt und sahen ihre Heimat nicht mehr. Sie kamen aus allen Regionen Deutschlands: Cuxhaven, Plößberg und Obernburg in Bayern, Borstel im Alten Land, Stuttgart, Darmstadt, Nieder-Werbe in Hessen, Grooß-Lasch in Mecklenburg-Vorpommern und Hedwigsdorf in Schlesien – diese Orte stehen auf den einfachen Grabkreuzen, deren Anblick unter die Haut gehen kann.

Verzauberte Riesenbank am Hexensteig

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Ob die Hexe hier gezaubert hat? Auf der XXL-Bank – etwa auf der Hälfte der Wanderstrecke – kommt man sich auf jeden Fall ganz klein vor.

Der liebevoll gepflegte Friedhof ist Mahnung, aber auch Impuls zur Dankbarkeit. Denn gerade von hier auf der Schwend schweift der Blick in die Weite – übers Rheintal hinüber nach Frankreich.

Und zwischen Baden und Elsass, zwischen Schwarzwald und Vogesen, sieht man keine Grenze mehr. Die Wanderer aus dem Nachbarland sind genauso begeistert von dieser herrlichen Tour und prosten beim Fiesemichel mit einer Hex vom Dasenstein fröhlich: „Santé!“ Auch das kann tief berühren. Der (Spät)Burgunder verbindet halt.

Wanderkarte Kappelrodecker Hexensteig Achertal

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Der Kappelrodecker Hexensteig

Start und Ziel: Zuckerbergschloss Kappelrodeck (GPS 48.584810, 8.124219)
Strecke: ca. 18 km
Gehzeit: ca. 6 Stdn.
Höhenunterschied: 745 m Auf- und Abstieg
Schwierigkeitsgrad: Grundkondition erforderlich, mit ausreichend Zeit aber kein Problem

Infos: www.achertal.de