Durch mehr als 1800 Fernsehpräsenzstunden in diversen Dokumentationen und Tiersendungen ist Reinschmidt einem breiten Publikum seit Jahren bekannt. In der Nacht vor diesem Gespräch kommt der Direktor des Zoologischen Stadtgartens Karlsruhe gerade von Dreharbeiten mit Frank Elstner aus Mallorca zurück. „Wir haben dort mit einem Boot Pflastikmüll aus dem Meer gefischt und Schildkröten vor den Kanaren ausgewildert“, erzählt er vom Inhalt der neusten Artenschutz-Doku.

Artgerecht vs. tiergerecht

Seine Leidenschaft für den Erhalt der Biodiversität setzt er auch im Zoo um – so wird aus vier Anlagenteilen eine große Afrikasavanne, in der Zebras, Giraffen und Antilopen zusammen leben und viel mehr Platz genießen. „Wir können sie nicht artgerecht, aber tiergerecht halten“, erklärt der 58-Jährige. Artgerecht sei nur die Natur, dabei müsse ein Tier sich jedoch ständig gegen Feinde wehren, Hunger- und Durstphasen durchleben und Krankheiten durchmachen, die nicht behandelt werden. „Bei uns sind sie in einem Fünf-Sterne-Hotel, mit Animateuren und Beschäftigung durch die Tierpfleger.“ Die Bedürfnisse der Tiere würden erfüllt, der ständige Überlebenskampf in der Natur entfällt. „Deshalb werden die Tiere hier auch viel älter. In meiner Zeit hatten wir hier den ältesten Elefanten und den ältesten Löwen Europas – das zeigt doch, dass die Tiere sich bei uns wohlfühlen“.

Schneeleopard bei der Siesta

tjs/LM-Archiv

Der Artenschutz und das Thema Biodiversität stehen bei Reinschmidt ganz oben auf der Agenda. Exemplarisch hierfür stehen unter anderem die seltenen Schneeleoparden im Karlsruher Zoo.

Schutz der Genome

Reinschmidt hält nicht viel von den plakativen Vorwürfen der Tierrechtsorganisatoren: „Ein Eisbär hat nicht das Bedürfnis, 50 Kilometer am Tag zu laufen, er macht das nur, wenn er muss, um zum Beispiel an Nahrung zu kommen.“ Er plädiert für eine differenzierte Sicht der Dinge und „dass man sieht, was wir wirklich machen: genetische Reservepopulationen für viele Tierarten aufbauen.“ Allein im Karlsruher Zoo gebe es sieben Tierarten, die völlig ausgestorben sind oder waren. Drei davon konnten auch mit Karlsruher Tieren wieder in der Natur angesiedelt werden: die Säbelantilope, das Przewalski-Pferd und der Wisent. Zwei Vogelarten leben nur noch in Zoos. „So sind wir als Zoo der Missing Link und können die Zeit bis zu einer möglichen Auswilderung überbrücken.“ Das Anliegen: die Tierarten bewahren. Denn neben der Klimakrise steht das Schrumpfen der Biodiversität, der zu Artenverlust führt. „Da können wir nur einen kleinen Teil des Ganzen retten, aber wir können ein Beispiel geben.“ Wenn man den Lebensraum der Uran-Utans in Borneo schütze, rette man damit auch die dort lebenden Insekten.

Lebensräume als Paten

„Die beste Idee, die wir hatten, war die Gründung der Artenschutzstiftung Zoo Karlsruhe im Jahr 2016 – denn ich kann die tollsten Ideen haben, ohne Geld läuft da nichts.“ In fünf Jahren kamen dadurch bereits 2,5 Millionen Euro zusammen, die in Artenschutzprojekte fließen. Dafür wird auch mal Elefantenmist verpackt und als Tomatendünger verkauft. „Kreative Ideen kann man überall haben“, schmunzelt Reinschmidt. „Jeder Lebensraum in unserem Zoo braucht ein Projekt da draußen. Dabei stehen die Tiere jeweils als Botschafter ein.“ Der Altersresidenz für Asiatische Elefanten in Karlsruhe steht beispielsweise einer Auffangstation für Jungtiere in Sri Lanka gegenüber. Der Australienbereich ist Pate für ein Koala-Projekt auf dem Kontinent, der von den verheerenden Buschbränden tiefe Narben davongetragen hat. Durch seine vielen Reisen hat Reinschmidt zudem unzählige Projekte kennengelernt, die auch als Inspiration für den Zoo dienten.

Matthias Reinschmidt zeigt seinen Papagei Henry.

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Matthias Reinschmidt weiß zu unterhalten. Seinen Papagei Henry zeigt er dabei stolz in die Runde.

Papageien-Liebe

Während er das alles erzählt, hören Henry und Indigo interessiert zu. Die Voliere der zwei Hyazinth-Aras grenzt genau an das Büro des Zoodirektors. Auf der anderen Seite stehen Besucher ein Stockwerk tiefer und betrachten die beiden Papageien, die Reinschmidt nacheinander mit der Hand aufzog. Der Tiergarten Nürnberg kam vor drei, beziehungsweise zwei Jahren auf den ausgewiesenen Experten mit der Bitte zu, die Küken zu retten. Das Elternpaar hatte jeweils drei Eier ausgebrütet, die Art kann aber immer nur zwei Jungvögel aufziehen. Das dritte Ei ist in der Natur sozusagen eine Reserve, falls bei den ersten etwas passiert. Reinschmidt konnte nicht nein sagen. Doch woher kommt diese Leidenschaft für Papageien? „Gucken Sie sich diese Tiere doch an“, sagt er, als würde das alles erklären. „Mit sechs Jahren wollte ich Zoodirektor werden, da hatte ich Meerschweinchen. Mit acht kamen zwei Wellensittiche hinzu, die haben mich fasziniert.“ Als er ein Nistkästchen in den Käfig hängte, brütete das Paar drei Küken aus, die der gebürtige Bühler in der Küche seiner Mutter beim Großwerden beobachtete.

Später baute er auf dem Dachboden eine Voliere für seine immer größer werdende Wellensittich-Population. „Ich habe mich immer mit Tieren umgeben, das hat mich geprägt.“ Im Fernsehen liefen nur drei Programme, es gab keine Handys, also beobachtete er Fische im Bach und sah Kaulquappen beim Entwickeln zu.

Loro Parque auf Teneriffa

Als er mit Ach und Krach sein Abitur schaffte, ging er erstmal zur Bundeswehr – als Bedienung im Offizierscasino. Um die Wartezeit auf sein Biologiestudium zu verkürzen, absolvierte Reinschmidt ein siebenmonatiges Praktikum im Karlsruher Zoo. Eine Zeit, die seinen Wunsch nur verstärkte, als Zoodirektor zu arbeiten. Nach dem Abschluss des Studiums mit einer Diplom-Arbeit über – natürlich – Papageien, arbeitete er zunächst als Redakteur bei einer Fachzeitschrift über Vögel. Nach fünf Jahren organisierte er Leserreisen zum Loro Parque auf Teneriffa, wo der Besitzer des Parks auf ihn aufmerksam wurde. So avancierte er zum Zuchtmanager der weltgrößten Papageienanlage und wurde später der Leiter des Parks, in dem auch seine Popularität begann, als die ersten Kamerateams vor der Tür standen. 2010 folgte „Palmen, Papageien und Co.“, eine ARD-Serie, die noch immer in der 35. Wiederholung läuft.

Zurück in der Heimat

Der Haken: sein Arbeitsplatz lag 4000 Kilometer von Deutschland entfernt. „Es lässt sich dort super Urlaub machen, aber wenn ich immer in den Flieger sitzen muss, um auf einen Kongress oder nach Hause zu fliegen ... es ist eben eine Insel.“ Seine Freundin, die er aus der Schule kannte, wollte da zunächst nicht mitkommen, bekam ein Jahr später bei einem Besuch einen Heiratsantrag, den sie annahm. So baute sich das Ehepaar dort ein Leben auf, auch ihr Sohn kam auf der kanarischen Insel zur Welt.

Nach 15 Jahren erreichte Reinschmidt die Ausschreibung des Karlsruher Zoos: Direktor gesucht! „Das war meine Chance, auch noch in meinem Zoo!“ Seine Augen leuchten noch immer. Er setzte sich gegen 120 Bewerber durch und ist „bis heute dankbar.“ Mit seiner Berufserfahrung und besonderen Art weckte er den Karlsruher Zoo aus seinem Dornröschenschlaf und nutzt seine Medienpräsenz, um den Artschutz weiter voranzubringen.

Die tägliche Arbeit eines Zoodirektors

Dabei bestehen seine Aufgaben hauptsächlich aus Schreibtisch- und administrativer Arbeit, „die lange nicht so viel Spaß machen wie die Planung von Gehegen oder die Besprechung von Artenschutzprojekten und mit Tierärzten.“ Dazu kommen Personalpolitik und Problemlösungen von Mitarbeitern. „Man plant den Tag und es kommt ganz anders.“ Er versuche dennoch, jeden Tag bei den Tieren vorbeizuschauen.

Reinschmidt will mindestens bis zur Rente weitermachen. „Ich kann nichts anderes“, lacht er, „das ist mein Traumberuf. Ich war sechs Jahre alt, als ich meiner Mutter sagte: Ich werde Zoodirektor!“

Über die Person:

Matthias Werner Reinschmidt kam am 28. Mai 1964 in Bühl zur Welt. Nach seinem Abitur in Sasbach absolvierte er seinen Wehrdienst in Bad Bergzabern und Bruchsal. Von 1986 bis 1995 studierte er Biologie in Tübingen. Er arbeitete von 1993 bis 2001 als Redakteur, erst für die Fachzeitschrift „Papageien“, dann für „Cyanopsitta“, die sich inhaltlich mit den Naturschutzprojekten der Loro-Parque-Stiftung beschäftigt. So kam Reinschmidt zum Loro Parque nach Teneriffa, wo er zuerst Zuchtmanager war, bevor er im Juni 2001 zum Kurator ernannt wurde. Ab Dezember 2010 war Reinschmidt Zoologischer Direktor des Loro Parques. Am 1. Juli 2015 übernahm er die Leitung des Karlsruher Zoos. Er hat einen 13-jährigen Sohn.

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