Ein Haus in malerischer Lage im Herzen des kleinen Odenwaldes, verbirgt ein einzigartiges Hobby. Klaus Kaufmann aus Reichartshausen hat sich ganz einer beeindruckenden Handwerkskunst verschrieben, die in der heutigen Zeit selten geworden ist: Das Modelstechen.
Hoch über Reichartshausen am Hang wohnt Klaus Kaufmann, der mich mit festem Händedruck empfängt. Der Blick schweift über die Terrasse weit in die Hügel des kleinen Odenwaldes, aber wir gehen in den Keller …
Im Förmchen-Reich
Auf wenigen Quadratmetern hat Klaus Kaufmann hier sein eigenes kleines Reich geschaffen. Und regiert es mit Stechbeitel, Schnitzmesser, Hobel und Säge. Mit ihnen schafft er seine Miniatur-Kunstwerke: Model. Die kleinen, mit filigranen Schnitzereien verzierten Holzbrettchen waren früher in beinahe jeder Bäckerei, aber auch in vielen Küchen zu finden. Als Negativformen dienen sie dazu, Motive auf Lebkuchen, Spekulatius oder hierzulande vor allem Springerle, das traditionelle Anisgebäck, zu stempeln.
Handarbeit
Model-Herstellung war lange Zeit Handarbeit und in früheren Jahrhunderten weitverbreitet. Früher war das Schnitzen Teil der Konditorausbildung, später etablierte sich der Modelstecher als eigener Beruf. Mit der modernen Fabrikfertigung hatte er ausgedient, Model wurden meistens aus Metall gefertigt und heute ist das Handwerk in Vergessenheit geraten. Nicht aber bei Klaus Kaufmann.
Herausforderung angenommen
Alles begann damit, dass dessen Frau Ulrike in den frühen 1970ern bei einem Reichartshausener zwei Model zum Backen kaufte. Der damals schon betagte Mann hatte das Modelmachen noch von der Pike auf gelernt. Für Klaus Kaufmann, der als Hobby-Schreiner bereits auf einige Expertise in Sachen Holzbearbeitung zurückblicken konnte, damals eine neue Herausforderung: „Jetzt schau' ich mal, ob ich das auch kann“, meinte er zu seiner Frau, griff zu Beitel und Messer und kopierte die beiden Model. Und zwar so gut, dass ihn das filigrane Hobby nie mehr losgelassen hat.
Expertise
Inzwischen, rund 50 Jahre später ist Kaufmann ein richtiger Model-Experte. Wie viele er von den Holzförmchen bereits geschnitzt hat, weiß er nicht. Ein Blick in Hausflur und Küche verrät: Sehr viele. Heute kennt man Springerle vor allem als Weihnachtsgebäck, früher gab es die kleinen Kekse mit Anisgeschmack und Eischaum aber zu jeder Jahreszeit und zu jedem Anlass: Zu Hochzeiten, zu Ostern, zur Erstkommunion, zum Geburtstag oder einfach so.
So finden sich an den Wänden im Hause Kaufmann auch Herzen, barocke Reiter, alte Handwerksberufe, Tiere, Sternzeichen oder Fabelwesen. Aus Heimatmuseen leiht sich der Hobby-Modelstecher alte Formen aus, um sie akribisch zu kopieren. „Vieles liegt in Schränken, ist wurmstichig und nicht mehr nutzbar“, erzählt Kaufmann. Diese kleinen Schätze wieder zum Leben zu erwecken ist seine Mission. Oder er entwirft selbst eigene Motive. Inspiration bekommt er dabei auch von Briefmarken oder aus dem Netz. Nur mit dem Zeichnen hat er es nicht so – das erledigt dann seine Frau für ihn.
Vom Brett in die Küche
In seiner Werkstatt im Keller findet sich auf wenig Raum viel Werkzeug. Ein Model „made by Kaufmann“ ist von vorn bis hinten Handwerk im Wortsinne. Das Holz, Apfel- oder Birnbaum, hat Kaufmann selbst geschlagen und die Bretter von einem lokalen Sägewerk zusägen lassen. Inzwischen lagern sie seit vielen Jahren, je älter das Holz, desto besser. Doch bis der Rohling, ein kleines Brett, zum Model wird, davor hat Gott den Schweiß gesetzt.
Holz ist nicht gleich Holz
Klaus Kaufmann spannt eine bereits begonnene Arbeit in den Schraubstock. Der ist, wie so vieles hier, Marke Eigenbau. Auf den richtigen Schnitt kommt es an: Denn Holz ist nicht gleich Holz. Kaufmann muss genau schauen, wie er seine messerscharfen Beitel ansetzt, um das harte Material nicht zu beschädigen. „Immer quer zur Faser“, erklärt er. Mit ruhiger Hand führt er dann das Messer, schnitzt kleine Blätter. Eine mühsame Arbeit, die hohe Konzentration erfordert. „Ein falscher Schnitt und die Arbeit war umsonst“, weiß Kaufmann. Mehr als zwei Stunden pro Sitzung sind auch deshalb nicht drin.
Ruhepol
Die Arbeit ist ruhig und geht langsam, fast Zen-artig vonstatten. In seiner Zeit als Förderschullehrer war das Schnitzen deshalb ein willkommener Ausgleich für den stressigen Alltag, erzählt er. Und auch heute findet der Rentner hier seine Ruhe, wenn er sie mal braucht. In der Tat: Man verliert schnell das Zeitgefühl hier unten. Zwischendurch greift Kaufmann immer wieder zu einem Stück Knetmasse und prüft, ob das Relief stimmt, oder ob die Kanten sauber sind. Schließlich darf später kein Teig hängenbleiben. Wenn alles fertig ist, kommt noch die Signatur drauf – wie bei einem Künstler üblich. So weiß jeder, wer hier am Werk war. Das aktuelle Stück hat seine Frau bestellt, für die Weihnachts-Springerle.
Gewerblich macht Kaufmann das alles übrigens nicht. Die Schnitzerei ist für ihn immer noch ein reines Hobby. Nur auf den Weihnachtsmarkt nach Brühl verschlägt es ihn alljährlich, wo er sich bei der Arbeit über die Schulter blicken lässt und auch Stücke verkauft. Und mailen kann man ihm auch. Ob er sich eigentlich schonmal geschnitten hat, frage ich ihn am Schluss: Kaufmann grinst und schüttelt den Kopf. Eine ruhige Hand ist eben das A und O.