Vor der Kulisse des Schwarzwalds, in den Hügeln des Kraichgaus oder der Schwäbischen Alb auf einer Parkbank ein Buch zu lesen, ist ein poetisches Idyll. Baden-Württemberg bietet aber nicht nur eine attraktive Kulisse für Literatur, es war jahrelang ein Hot-Spot für die größten Schriftsteller, die die deutsche Sprachlandschaft je hervorgebracht hat – und ist es immer noch. Ob Klassiker oder Bestseller, historische Manuskripte oder Poetry-Slams – das Bundesland zeigt, dass Literatur hier nicht nur geschrieben, sondern aktiv gelebt wird.
Schätze der älteren Poesie
Schon im Mittelalter blühte in Baden-Württemberg die Dichtkunst. Bedeutsamen “Sängern” wie Hartmann von Aue beispielsweise sagt man nach, von der Swâben lande, also aus dem Schwabenland zu sein. Er schrieb einst den Erec und den Iwein, bedeutsame Ableger des Sagenkreises rund um König Artus und die Ritter von der Tafelrunde.
Romantische Verse, Rittergeschichten und Liebesklagen – ein Schatz der Poesie befindet sich heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg. Der berühmte Codex Manesse aus dem 14. Jahrhundert, eine der bedeutendsten Handschriften der älteren deutschen Literatur, bewahrt Minnelieder von bedeutenden Autoren wie Walther von der Vogelweide und anderen Troubadouren. Der Minnesang ist im Mittelalter eine hoch ritualisierte Form der Liebeslyrik gewesen.
Schiller nicht nur in Weimar
Dann kam Friedrich Schiller – ein echter Star der deutschen Klassik. Jeder deutsche Schüler kennt die berühmte Apfel-Szene in Wilhelm Tell oder musste sich in einer Klassenarbeit wegen Maria Stuart den Kopf zerbrechen. Geboren in Marbach am Neckar bei Ludwigsburg, bereicherte der Dichter die deutsche Literatur mit berühmten Dramen wie Kabale und Liebe oder Die Räuber.
Letzteres wurde 1782 im Nationaltheater in Mannheim uraufgeführt, denn die Stadt war unter Kurfürst Carl Theodor ein attraktives Zentrum der Kultur. Genauso wie der württembergische Hof in Stuttgart – nicht zuletzt durch den maßgeblichen Einfluss von Herzog Carl Eugen, der allerdings kein großer Fan von Schiller war und ihm sogar ein Schreibverbot erteilte. In der Hohen Karlsschule am Schloss Solitude verbrachte Schiller seine Kindheit.
Wer mehr über ihn erfahren will, kann im Schiller-Nationalmuseum in Marbach in seine Welt eintauchen. Hier befinden sich Lebenszeugnisse, Texte und Dokumente bedeutender Schriftsteller der neueren deutschen Literatur – allen voran natürlich Friedrich Schiller. Gleich daneben befindet sich das Deutsche Literaturarchiv: Der Nachlass unzähliger Autorinnen und Autoren wird hier aufbewahrt.
Goethe kotzt in Tübingen
Johann Wolfgang von Goethe war ein großer Fan vom Heidelberger Schloss. Zur Zeit der literarischen Strömung „Sturm und Drang“, an der sich auch Goethe mit der Ballade Prometheus und dem Briefroman Die Leiden des jungen Werther beteiligte, befand er sich vor Ort und schwärmte von den anmutigen Ruinen des Schlosses.
Auch Tübingen brüstet sich damit, ein Besuchsort des großen Dichters gewesen zu sein. Eine Marmortafel am Cottahaus erinnert an ihn, ein Holzschild am Studentenwohnheim daran, dass er eines ereignisreichen Abends wohl zu viel getrunken und gebrochen haben soll. Er war in Tübingen aber nicht nur zum Vergnügen: Er lernte hier vor allem den berühmten Verleger Johann Friedrich Cotta kennen.
Tübingen als Mittelpunkt
Neben Ludwig Uhland, einem der ersten Germanisten, lebte in Tübingen Johann Friedrich Cotta. Er war ein entscheidender Förderer der Literatur im ganzen deutschsprachigen Raum und verlegte die Ausgaben letzter Hand von Goethe und Schiller sowie vielen anderen Größen der deutschen Literatur. Ohne die Cotta’sche Verlagsbuchhandlung wäre die Verbreitung klassischer Werke in Deutschland und darüber hinaus kaum denkbar gewesen.
Wichtige Schriftsteller aus der literarischen Epoche des Biedermeiers wurden von Cotta herausgebracht. In seiner Heimat im Schwarzwald ließ sich Johann Peter Hebel von der alemannischen Mundart inspirieren und veröffentlichte sodann die Alemannischen Gedichte, in denen er die Lebensart des Volkes darstellte. Auch Annette von Droste-Hülshoff war eine wichtige Vertreterin des Biedermeiers, sie wohnte bis zu ihrem Tod im Alten Schloss Meersburg und machte sich mit der Judenbuche bekannt. Ihr Sterbezimmer kann man heute besichtigen.
Nicht zu vergessen: Friedrich Hölderlin. Er ist in Lauffen am Neckar geboren und verbrachte prägende Jahre in Tübingen. Seine Hymnen und Elegien, darunter Hälfte des Lebens und Der Archipelagus sowie allen voran sein Roman Hyperion, haben die Poesie nachhaltig beeinflusst. Der berühmte Hölderlinturm am Neckarufer in Tübingen ist heute eine Pilgerstätte für Literaturbegeisterte. Hier verbrachte er die letzten Jahrzehnte seines Lebens.
Baden-Württemberg in der Moderne
Das Ländle hat auch einen Literaturnobelpreisträger hervorgebracht: Hermann Hesse kam 1877 in Calw im Schwarzwald auf die Welt. Mit Bestsellern wie Steppenwolf, Narziß und Goldmund oder Siddhartha erlangte er weltweite Berühmtheit und wurde 1946 mit dem Nobelpreis geehrt. Bis heute ist er einer der meistgelesenen deutschsprachigen Autoren.
Seinen Geburtsort in Baden-Württemberg nannte er einst die „schönste aller Städte“. In seinem Gerbersauer Erzählzyklus gibt er einen einmaligen Blick in die schwäbische Kleinstadt, die Literaturliebhaber mit vielen Hesse-Attraktionen anlockt. Sein literarisches Erbe lebt im Hesse-Museum in Calw weiter, in der Stadt gibt es zudem literarische Rundgänge und Ausstellungen zu dem Schriftsteller. Eine Zeit lang lebte er auch in einem Haus in Gaienhofen am Bodensee.
Literatur in Bewegung
Doch Baden-Württemberg ist nicht nur Geschichte – die Literatur lebt! Einige der bekanntesten zeitgenössischen Autoren kommen aus dem Ländle oder wohnen hier. Saša Stanišić ist zum Beispiel in Heidelberg-Emmertsgrund aufgewachsen und studierte an der dortigen Universität Deutsch als Fremdsprache und Slawistik. Mit seinem Werk Herkunft konnte er den deutschen Buchpreis gewinnen, Träger des Jugendliteraturpreises ist er ebenso.
Eine weitere Absolventin der ältesten Universität Deutschlands ist Jagoda Marinic. Sie ist Theaterkritikerin sowie Trägerin mehrerer Literaturpreise. Ähnliches gilt für die junge Caroline Wahl: Auch sie wuchs in Heidelberg und nahe Stuttgart auf und studierte in Tübingen Germanistik. Mit ihren Spiegel-Bestsellern 22 Bahnen und Windstärke 17 war sie 2024 in aller Munde.
Literatur erleben
In Baden-Württemberg gibt es so viel Literarisches zu Bestaunen, dass man gar nicht damit fertig wird. Jedes Jahr finden in der Literaturstadt Heidelberg die Heidelberger Literaturtage statt – ein Festival mit Strahlkraft, das schon die größten Namen der Szene wie Juli Zeh oder Ilija Trojanow anziehen konnte. 2025 findet es zwischen dem 29. Juni und dem 12. Juli statt.
Im 2017 eröffneten Literaturhaus in Freiburg kann man regionale, überregionale und internationale Literatur entdecken. Wer Lust hat, Baden-Württemberg als Literaturland zu erkunden, kann auch das Literaturmuseum der Moderne in Marbach besuchen. Hier gibt es alte Manuskripte von Hesse, Kafka oder Döblin zu sehen.