Die Fahrt nach Bad Rippoldsau-Schapbach ist kurvig, die Temperaturen sind für die Jahreszeit ungewöhnlich hoch. „Hier oben muss es sich ganz angenehm leben“, denke ich, als wir die kleine Steigung zum Eingang des Alternativen Wolf- und Bärenparks laufen, ringsum nur Grün. Ich bin zum zweiten Mal hier, und heute habe ich meinen Kollegen Dimitri mit seiner Kamera dabei.
► Zu Gast im Reich von Wolf, Luchs und Bär: Der Alternative Wolf- und Bärenpark als Ausflugsziel
Wir hoffen, einen Blick auf meine tierische Namensvetterin Catrina erhaschen zu können, für die ich vor zwei Jahren eine Tierpatenschaft übernommen habe. Naturgemäß ist die Luchsdame scheu und fühlt sich nachts viel wohler als am Tag. Aber wer weiß, vielleicht haben wir ja Glück ...?
Zurück zur Natur
Persönlich getroffen habe ich Catrina vor einigen Jahren, damals wusste ich aber noch nicht, dass sich unsere Wege noch einmal kreuzen würden. Es war an einem lauen Sommerabend in Straßburg, wo ich mir bei einer Runde durch die Orangerie die Beine vertrat. An diesem Abend bog ich in den Minizoo des Parks ab, in dem eine Reihe von Säugetieren und Vögeln ein sehr tristes Dasein fristen. Eigentlich vermeide ich den Anblick dieser traurigen Geschöpfe, weil er mich jedes Mal entweder traurig oder wütend stimmt. Aber diesmal führte mich mein Weg am Gelände des Luchsgeheges entlang.
In der friedlichen Stille des Abends blieb ich stehen und blickte in die Augen einer Wildkatze, die auf einem der wenigen Äste in ihrem beengten Zuhause lag. Unter ihr Betonpflaster, sonst nichts.
Ich bin kein esoterischer Mensch und auch nicht überdurchschnittlich tierverbunden. Aber als ich da stand, allein mit diesem Tier, zwischen uns zwei grüne Gitterreihen, spürte ich ganz deutlich seinen durchdringenden Blick, seine Präsenz – und seine Traurigkeit. Damals durchfuhr mich eine tiefe Melancholie, die mich noch mehrere Tage lang verfolgte.
Aus dem Zoo in den Schwarzwald
Einige Zeit später, im Sommer 2017, wurde Catrina zusammen mit ihrem Bruder Charlie in den Schwarzwald gebracht. „Die beiden Luchse waren im Zoo geboren“, erklärt mir die Leiterin des Wolf- und Bärenparks Sabrina Reimann. „Sie waren umringt von Affengeschrei und Vogelgezwitscher, was eine furchtbare Reizüberflutung für ihr empfindliches Gehör bedeutete.“
Im Einvernehmen mit den Zoobetreibern kamen Catrina und Charlie in den Schwarzwald, wo sie zum ersten Mal ein annähernd natürliches Leben erwartete.
Der Luchs
Der Eurasische Luchs (Lynx lynx) ist in Europa beheimatet, wurde aber jahrhundertelang vom Menschen vertrieben. Heute gilt er als stark gefährdet. Seit den 1950ern kommt der Luchs zurück nach Europa und wird gezielt angesiedelt. Heute gibt es freie Luchse wieder in den Vogesen, den Alpen und mehreren deutschen Wäldern.
Nicht nur Luchse im Schwarzwald
Zwei Luchse, sechs Wölfe und acht Braunbären leben auf dem zehn Hektar großen Gelände, etliche stehen auf der Warteliste. Es sind Tiere, die nie oder vor so langer Zeit in freier Wildbahn gelebt haben, dass sie ihre natürlichen Instinkte nie gelernt oder längst vergessen haben. Es sind Bären, die im Zirkus Kreise fuhren, Wölfe, die als Attraktion gehalten wurden oder eben Luchse aus fragwürdigen Zoos.
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„Die Tiere sind so auf den Menschen fixiert, dass sie bei Auswilderung ihre Nahrung immer in seiner Nähe suchen würden – und das ist gefährlich. Hier bei uns erleben sie endlich ein Stück Natur“, sagt Wildtierökologin Sabrina Reimann. Und weiter: „Wir sind kein Tierpark, sondern ein Tierschutzprojekt.“ Der Park ist auf Besucher und Spenden angewiesen. Das rund 25-köpfige Team wird unterstützt von vielen Ehrenamtlichen. Ohne sie wäre es nicht möglich.
All das in Verbindung mit meiner Geschichte hatte mich bei meinem ersten Besuch hier so sehr berührt und mit Respekt erfüllt, dass ich mich entschied, die Patenschaft für Catrina zu übernehmen. Sie heute zu Gesicht zu bekommen, wäre eine echte Ehre...
Von Mensch und Tier
Es zeigen sich die Wölfe. Gaia ist erst vor Kurzem in den Schwarzwald gekommen und erkundet neugierig ihren neuen Lebensraum. Als eine Besucherin mit einem Hund vorbeiläuft, wird die Wölfin aufmerksam. „Bei ihr sind wir uns nicht sicher, wie hoch ihr Wolf- und wie hoch der Hundeanteil ist“, erklärt Reimann. „Leider gibt es diesen Trend, Wölfe und Hunde zu kreuzen. Wir sprechen dann von Wolfshybriden. Diese Tiere haben oft einen starken Bezug zum Menschen, allerdings steckt eben auch ein wilder Wolf in ihnen.“
Das grosse Warten auf den Luchs
Dann unterbricht Reimanns Funkgerät unser Gespräch und sie eilt davon. Kollegen haben die „neue“ Braunbärin Daria gesehen, wie sie sich in einen bestimmten Bereich der Anlage getraut hat. Hier läuft sie nun durchs Dickicht und flößt nicht nur den Beobachtern Respekt ein, sondern auch den anderen Bären.
Über Funk verständigen sich die Parkmitarbeiter und verfolgen, soweit es das Gelände zulässt, jeden ihrer Schritte. Ab und zu steigt ein tiefes Grollen aus dem kleinen Tal hinauf. „Etwas weiter den Rundweg hinunter befindet sich der Bereich, in den sich die Luchse zurückziehen. Irgendwo dort im Gebüsch liegt vermutlich die 16 Jahre alte Catrina und döst gemütlich vor sich hin. Wer mag es der betagten Luchsdame übelnehmen, dass sie den Mittagsschlaf im Schatten vorzieht … Hoffnungsvoll warten wir am Zaun. Vielleicht schaut sie ja doch noch hinterm Gebüsch hervor? Als Dimitri schmunzelt, gebe ich nach. Heute wird das wohl nichts mehr. Schade.
Aber irgendwie auch beruhigend, dass sie hier die Freiheit besitzt, sich vor mir zu verstecken. Denn eigentlich gehöre ich schließlich ganz und gar nicht in Catrinas natürlichen Lebensraum...