Die Städte in Baden-Württemberg haben meist eine sehr lange Geschichte: Weil der Stadt erhielt um 1230 die Stadtrechte, Neubulach entstand ebenfalls im 13. Jahrhundert und der Stadtteil Villingen war von 1218 bis 1283 eine selbstständige Reichsstadt im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Gemein haben diese drei und sieben weitere Städte im Ländle, dass sie ihre Entstehung im Mittelalter mit einem besonderen Erlebnis heute noch feiern: Den Nachtwächterführungen. Hier sind die schönsten zehn zusammengetragen.
Mittelalter erleben: Weil der Stadt
Wer in einer Nacht in das mittelalterliche Leben in Weil der Stadt eintauchen will, für den sind die Nachtwächterführungen in der knapp 20.000 Einwohner Stadt im Landkreis Böblingen genau richtig. Sie starten in den Frühjahrs- und Sommermonaten um 21 Uhr, ab September beginnen die Führungen eine Stunde früher. Zwei alteingesessene Nachtwächter führen die Gäste mit reichlich Pointen und Anekdoten durch die historische Altstadt. Höhepunkte sind die Begehung der Stadtmauer und die Besichtigung des Verlieses im Roten Turm.
„Seid gegrüßt in Calw“
Zu nächtlicher Stunde sorgte der Nachtwächter einst für Ordnung in der Stadt, warnte vor Feuer oder Angreifern. Das war eine Aufgabe mit viel Verantwortung, aber auch eine Tätigkeit, bei der man viel erleben konnte. Umso mehr hat der Nachtwächter bei seinen Führungen auch in Calw den Besuchern zu berichten: In geselliger Runde spricht er von 20 bis 22 Uhr über seine Erlebnisse und regionale Sagen, die die Menschen sich einst erzählten. Die Calwer Altstadt bietet zu später Stunde eine besondere Kulisse dafür. Mit „Seid gegrüßt ihr wanderndes Volk“ werden traditionell die wartenden Gäste begrüßt. Auch schaurige Geschichten über Hinrichtungen gehören zum Repertoire des Nachtwächters.
Besigheimer Seelen in der Nacht
In Besigheim berichtet der Nachtwächter von seinen Aufgaben und Pflichten. In der kargen Nachtstunde teilte er einst sein Schicksal mit dem Turmwächter. Heute berichtet der Nachtwächter Touristen von Geschehnissen in der Oberstadt und erklärt die Geschichte der wichtigsten Gebäude in der Kleinstadt bei Ludwigsburg. Manchmal sollen die Gäste auch Besigheimer Seelen, die keine Ruhe finden, in der Nacht begegnen. Die Führungen finden einmal im Monat statt. Im Sommer ab 19 Uhr, im Herbst und Winter um 18 oder schon um 17 Uhr. Treffpunkt ist der Marktplatz vor dem Rathaus.
Nichts für schwache Nerven - Heidelberg
Gleich vier besondere Nachtwächter-Formate werden in Heidelberg ganzjährig angeboten: Im Mittelalter herrschte in der Stadt am Neckar reges Treiben von Menschen aller Art. Aus diesem Grund wird neben der klassischen Nachtwächterführung, wo die Lieblingsgeschichten über die Stadt erzählt werden, auch eine Führung mit einer Henkerstochter angeboten. Die Axt in der Hand berichtet sie von schaurigen Verbrechen und mittelalterlich-drakonischen Strafen.
Auch die kriminelle Nachtwächterführung mit einem „Commissar“ führt in die Schatten- bzw. Nachtseiten der Vergangenheit. Zudem gibt es in einer weiteren Führung nächtliche Exkursionen zu Schauplätzen von grausigen Erscheinungen wie Vampiren oder Werwölfen. Heidelbergs Nachtwächter – nichts für schwache Nerven.
► Nachtwächterführung in Heidelberg
Großbottwar – auf den Spuren von Jakob Friederle
Der historische Nachtwächter in Großbottwar trägt den Namen Jakob Friederle. Der Fuhrmann und Händler lebte der Legende nach im 18 Jahrhundert und soll im Kälblingswald um Großbottwar sehr tragisch ums Leben gekommen sein. Zu den Nachtwächterführungen erwacht Friederle zu neuem Leben und unterhält die Besucher mit Geschichten rund ums frühere Leben in der Kleinstadt. Gespielt werden die Führungen von der örtlichen Theatergruppe. Sie dauern etwa anderthalb Stunden und sind auch für Kinder ab zwölf Jahren geeignet.
Bekanntes und Neues - Stuttgart
Die Leonhardskirche, die Kreuzigungsgruppe, das Bohnenviertel, das Alte Schloss mit Fruchtkasten und Stiftskirche, die Altstadt oder das Herzog-Christoph-Denkmal an der Königstraße – viele Stuttgarter kennen die Bedeutung dieser Orte für die historische Stadt. Besucher sollen sie bei den Nachtwächterführungen, die von „k3 stadterlebnisse“ angeboten werden, kennenlernen. Der Nachtwächter oder eine andere historische Figur entführt die Gäste der Landeshauptstadt in eine Welt voller Erzählungen mit stimmungsvoller Atmosphäre. Die Führungen können im Voraus auch individuell für Gruppen gebucht werden.
Kundiger Nachtwächter – Villingen-Schwenningen
Vor dem Franziskaner Kulturzentrum in Villingen treffen sich an festen Terminen über das ganze Jahr Nachtschwärmer aus der Stadt selbst und Touristen, um mehr über das Leben in der Stadt beziehungsweise den beiden Städten im Mittelalter zu erfahren. Denn beide Stadtteile, einer schwäbisch, einer badisch – beide durch die Gebietsreform der 1960er Jahre vereint, haben eine lange Geschichte. Der Nachtwächter erzählt von Hygienemängeln, von Prostitution und von Belagerungen, aber auch von den traditionsreichen Stätten und Gebäuden in der Stadt.
Fachwerk und Geschichten - Neubulach
In Fachwerkstädten wie Neubulach war die Gefahr von Bränden im Mittelalter besonders hoch – gerade deshalb brauchte es einen Nachtwächter und sein waches Auge, um rechtzeitig reagieren zu können. Besucher der Nachtwächterführung, die es erst seit dem vergangenen Jahr in Neubulach gibt, haben die Möglichkeit, mehr über das Städtle im Schwarzwald zu erfahren – über die alte Zugbrücke ebenso wie über die Judengasse. Wer die Bergwerkstadt näher kennenlernen möchte, ist bei der Nachtwächterführung in jedem Fall gut aufgehoben.
Geschichte einer Reichsstadt - Aalen
Seit rund 20 Jahren gibt es in Aalen Nachtwächterführungen. Interessierte erfahren bei den Führungen so einiges über die Sage des Napoleonfensters oder den Journalisten und Komponisten Friedrich Daniel Schubart. Besonders spannend ist auch die Vereidigung der Nachtwächter auf ihren Dienst, die vom Oberbürgermeister vorgenommen wird. Begleitet wird die Zeremonie vom Spielmannszug der Feuerwehr und vom Aalener Theater. Aalen, einst Reichsstadt, blickt auf eine lange Geschichte und eine bedeutende Rolle im Mittelalter zurück.
„Seyed gegrüßed“ – Tour durchs mittelalterliche Ulm
„Erster Nachtwächter der freien Reichsstadt zu Ulm“, so nennt sich der Ulmer Nachtwächter, der Einheimische und Touristen durch die mittelalterliche Altstadt inklusive Ulmer Münster. Die heutige Universitätsstadt an der Donau hatte im Mittelalter eine große Bedeutung.
„Heimleuchten ist meine Berufung“, sagt der Ulmer Nachtwächter von sich selbst und schlüpft bei den Führungen auch in zahlreiche Rollen aus verschiedenen Zeiten. „Seyed gegrüßed!“