Wolfgang Ohlhäuser ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Und zwar im eigentlichen Wortsinn: Groß gewachsen, lange, wallende Kleidung, ebenso lange wallende weiße Haare und einen weißen Rauschebart. Auf dem Kopf eine Mütze, die an einen Turban erinnert, Erinnerung an eine seiner zahlreichen Asien-Reisen, in dem Fall an Indonesien. Hinter den Brillengläsern, von Lachfältchen umrahmt, wache, leuchtend blaue Augen, die die Welt aufmerksam wahrnehmen.

Zauberhaft

Ein wenig hat das etwas von einem Zauberer – und das trifft ja auch durchaus zu: Was der 80-Jährige mit traditionellen Maltechniken auf die Leinwand zaubert, ist wahrhaft magisch und meisterlich zugleich. Genauer eigentlich altmeisterlich – denn so wie Hieronymus Bosch, die Brueghels oder Van Eyck, die Ohlhäuser als seine Vorbilder nennt, ihre Werke vor 500 Jahren anfertigten, so macht das der Künstler noch heute: Eitempera, also ein Ei-Öl-Gemisch ist das Mittel der Wahl, mit dem er seine Visionen festhält. In leuchtenden Farben, 136 umfasst seine „Farborgel“, mit einer Harzöl-Lasur überzogen wirken seine Gemälde wie Zeugen einer langen kunsthistorischen Geschichte, ihre Bildsprache aber ist modern und zeitgemäß.

Wolfgang Maria Ohlhäuser in seiner Ausstellung im Schwetzinger Palais Hirsch

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Wolfgang Maria Ohlhäuser in seiner Ausstellung im Schwetzinger Palais Hirsch

Weltenbummler

Dazu bedarf es Präzision, Erfahrung und Wissen – Wissen, das Ohlhäuser gerne weitergibt: Lehraufträge führten und führen den Weltenbummler immer wieder an Kunstakademien und Universitäten in Asien, nach Nepal, Kathmandu und Thailand. Als Bergsteiger war Ohlhäuser im Himalaya unterwegs in eisigen Höhen: Gebirge und die Landschaften Asiens prägen seine Werke ebenso wie die Bewohner jener oft kargen, wilden Regionen der Welt, die mit wenig glücklich sind, und mit noch weniger auskommen müssen.

Geschichtenerzähler

Und zu jedem Bild gibt es eine Geschichte. Mit leuchtenden Augen erzählt Ohlhäuser von Begegnungen mit Sadhu-Wandermönchen in Indien, von Höhlen in Thailand, Opiumrauchern in China, Bergvölkern in Myanmar und Lamas aus Ladaksh. Mit den Schilderungen des Künstlers erwachen sie zum Leben, geben Details preis, die vorher verborgen blieben: Das Gesicht in der Höhlenwand, der Buddha im Stein, der Drache im Wasser.

Alles lebt

Denn für Ohlhäuser ist alles belebt: Sein Animismus, der Glaube an eine belebte Natur, an lebendige Steine, an Geister und lebende Bäume, ist Dreh- und Angelpunkt seiner Kunst. Seine Bilder sind Reisen, der Künstler selbst, wie der Titel der aktuellen Schwetzinger Ausstellung besagt, ein „Wanderer ferner Welten“. Und zwar sowohl der Außen- als auch der Innenwelt.

Schwetzingen: Wolfgang Maria Ohlhäuser - Wanderer ferner Welten

Ohlhäuser

Das Titelbild der Schwetzinger Ausstellung zeigt ein Mädchen vom Volk der Yao, das in der Grenzregion von China, Laos und Myanmar zuhause ist
Wolfgang Maria Ohlhäuser - Ausschnitt aus „Expedition zum Geisterberg Tschung Schan“

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Das Geheimnis liegt im Detail, wer genau hinschaut entdeckt vieles (Ausschnitt aus „Expedition zum Geisterberg Tschung Schan“)
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Zwischen Welten

Die Kunst sei es, verrät er, beim Malen bei klarem Bewusstsein nichts zu denken. Eine Technik, die den, der sie beherrscht, rasch an die Schwelle zum Traum trägt, und die auch Surrealisten wie Edgar Ende und Max Ernst, in deren Tradition Ohlhäuser steht, bemühten, um ihre phantastischen Bildwelten zu schaffen. Denn dort, an der Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit, entsteht die Vision, verbinden sich Erinnerung und Imagination zu einer Synthese.

Wirklichkeit des Traumes

Ohlhäusers Bilder sind also immer eine Fusion von real Erlebtem und im Traum Geschautem: Die Bäuerin in Laos, die mit tief zerfurchtem Gesicht auf ihren Stock gestützt in die Ferne blickt, das kleine Yao-Mädchen mit dem Schirm, das zum Titelbild der Ausstellung wurde, oder den Sadhu-Mönch im Kulu-Valley – allesamt ganz reale Begegnungen, wie Ohlhäuser sie erlebt hat. In seinem Unterbewusstsein, auf der Schwelle zum Traum verbinden sie sich mit Landschaften und Strukturen, werden durch die Technik der Frottage – ebenfalls eine Reminiszenz an Max Ernst – lebendig und Teil einer Vision, die der Künstler akribisch und mit viel Liebe zum Detail festhält.

Visionär

Früher habe er manchmal bis zu 16 Stunden am Stück gemalt – aus Angst, die Vision zu verlieren. Heute geht das nicht mehr, das Alter fordert seinen Tribut, nach wenigen Stunden lässt die Kraft nach. Aber die Vision bleibt konstant. Dank Meditationstechniken, die er sich auf seinen Streifzügen durch Tibet angeeignet hat, kann er sie jederzeit abrufen, bis das Bild fertig ist. Im Schnitt dauert das drei Monate.

Schwetzingen: Vernissage Wolfgang Ohlhäuser - "Wanderer ferner Welten"

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Das Palais Hirsch am Schwetzinger Schlossplatz war zur Eröffnung der Ausstellung "Wanderer ferner Welten" gut besucht.

Vom Odenwald …

23 Jahre hat er auf Schloss Langenzell im Kleinen Odenwald residiert: Die schönste Zeit seines Lebens, wie er heute sagt. Der kleine Ortsteil von Wiesenbach war lange Zeit Sitz einer ebenso aktiven wie kreativen Künstlergemeinschaft. 2010, als das Schloss verkauft wurde, packte er dann die Koffer und zog nach Weinheim um. 

… an die Bergstraße

Berlin hätte es durchaus auch werden können, meint er, doch eigentlich gefällt es ihm hier in der Region ganz gut. Von seinem Atelier mit der großen Staffelei, die sein Vater Walter, selbst Bildhauer und Holzschnitzer, für ihn gebaut hat, hat er den Weinheimer Marktplatz vor Augen. Ein durchaus inspirierender Ausblick. Manchmal auch unmittelbar stimulierend für den Künstler selbst: Das Bild „Kälteeinbruch“, erzählt er, habe er gemalt, als der Marktplatz in Folge des Corona-Lockdowns verödet und leer war – hier begegnen sich Traum und Realität in kalten Farben und düsteren Details: Totenschädel, Augenhöhlen, Fratzen werden sichtbar, je länger man hinschaut

Düstere Szenarien

Erschreckend visionär: Das „Räderwerk“. Das Bild zieht in der Schwetzinger Ausstellung besonders viele Blicke auf sich. Entstanden eigentlich 1988, vor dem Hintergrund des ersten Irak-Krieges, ist seine Botschaft auch heute noch traurigerweise brandaktuell: Erbarmungslos geiselt das Gespenst der Rüstungsindustrie den Soldaten, der eine Menschenmühle aus Öltanks antreibt, die alles Leben zermalmt – ein Bild, das vor dem Krieg in der Ukraine aktueller denn je scheint. Als politischen Künstler sieht sich Ohlhäuser dennoch eigentlich nicht, eher als Mahner und Chronisten.

Wolfgang Maria Ohlhäuser: Räderwerk

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Erschreckend aktuell: Ohlhäusers „Räderwerk“ ist ein düsterer Kommentar zu Krieg und Vernichtung.

Diszipliniert

Ohlhäuser war nicht immer Künstler: Mit 16 ließ er sich zunächst zum Grafiker ausbilden, wandte sich danach aber immer mehr der Malerei zu. 1975 dann der Schritt in die Welt der Kunst, das internationale Renommee folgte auf dem Fuß, heute zählt er zu den Großen seines Genres. Was er aus dem Beruf des Grafikers mitgenommen hat? Disziplin – die Antwort kommt rasch. Und Präzision. Und auch ganz praktisch: Die Retusche.

Unverkennbar

Und am Ende stehen dann eben Werke, wie die in Schwetzingen ausgestellten. Bunte, aber manchmal auch abgründige Szenarien, die mal an Boschs Garten der Lüste, mal an Max Ernsts bizarre Welten oder Ernst Fuchs‘ Figurinen erinnern – aber immer unverkennbar Ohlhäuser sind. Ein flüchtiger Blick zeigt oft nur das Oberflächliche, doch wer genauer hinsieht, taucht ein in einen Kosmos voller Wunder, Figuren, filigranen Formen und Märchen. Und der Künstler selbst hat immer noch eine kindliche Freude, wenn er in seinen Werken selbst Details wiederentdeckt, die er dort teils vor vielen Jahren eingearbeitet hat. Das hält ihn jung, und macht ihn gleichzeitig so sympathisch.