Wenn ein Pflegefall in der Familie auftritt, stellen sich jede Menge Fragen. Woran muss ich jetzt denken und wen sollte ich informieren? Welche Formulare muss ich ausfüllen und wo bekomme ich sie her? Was ist rechtlich zu beachten, darf ich jetzt einfach alles entscheiden?
Wie organisiere und vor allem - wie finanziere ich den Pflegealltag?
Auf einen Blick: Plötzlicher Pflegefall – Was ist zu tun?
- Pflegebedarf ermitteln (Pflegetagebuch führen)
- Pflegeberatung in Anspruch nehmen (Pflegestützpunkt, privat, kirchlich)
- Pflegegrad beantragen (Pflegekasse via Krankenkasse)
- Rechtliche Vertretung klären (Vorsorgevollmacht etc.)
- Finanzierung sicherstellen (Altersvorsorge des/der Betroffenen?)
Tritt die Pflegebedürftigkeit plötzlich auf und im Zusammenhang mit einem Krankenhausaufenthalt, erhält man bei bzw. vor der Entlassung bereits wichtige Infos. Trotzdem sollte man als ersten Schritt die behandelnden Ärzte konkret nach ihrer Einschätzung fragen.
Wichtig: Pflegebedürftige Person einbeziehen
Je nach Schwere der Beeinträchtigung und wenn es körperlich und geistig (noch) möglich ist, sollte man unbedingt mit dem oder der Betroffenen über Wünsche und Erwartungen an die Pflege sprechen. Es macht einen großen Unterschied, ob es sich um eine Person mit Demenz (Demenz: Wie Sie eine Erkrankung erkennen) handelt, die nicht mehr selbst entscheiden kann, oder es um Einschränkungen oder Gebrechen geht, die sich noch bewältigen lassen und für die vielleicht nur minimale, stundenweise Unterstützung notwendig ist.
Welche Wünsche hat der oder die zu pflegende Angehörige? Wie sieht eine optimale Lösung aus, mit denen sich alle wohlfühlen? Ist eine Langzeitpflege notwendig, stellt sich die Frage:
Die meisten Menschen möchten so lange wie möglich in ihrem vertrauten Umfeld bleiben. Seien Sie sich bewusst, dass die Pflege eines Angehörigen ein immenser körperlicher, aber auch psychischer Aufwand ist. Ihr Leben wird sich dadurch grundlegend ändern.
Ist das Zuhause überhaupt geeignet, sind beispielsweise die Türen breit genug, um mit einem Rollator oder Rollstuhl hindurch zu kommen? Wie sieht es im Badezimmer aus? Nicht jede Wohnung ist für eine solche Situation geeignet (mehr rund um Barrierefreiheit im Haus finden Sie hier).
Bei häuslicher Pflege gibt es die Option einer 24-Stunden-Betreuung. Wird dies benötigt, oder reicht eventuell auch eine stundenweise Betreuung? Kommt eine Assitenzpflege in Betracht, oder betreutes Wohnen? Es gibt viele Möglichkeiten, die sich natürlich auch immer nach den Rahmenbedingungen der Angehörigen, finanziellen Aspekten und dem eigentlichen Bedarf richten.
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Der Alltag muss jetzt auf jeden Fall anders organisiert werden, egal wie viel Unterstützung von Außen man dazuholt. Deshalb ist es wichtig, untereinander zu delegieren und nicht alles einer Person zu überlassen. Sonst kommt es schnell zum Burnout und es gibt "zwei Patienten" in der Familie. Die Angehörigen sollten unbedingt miteinander im Gespräch bleiben, sich absprechen und füreinander da sein.
Video: 5 Tipps mit Juliane von der Caritas: Plötzlich Pflegefall
1. Pflegebedarf ermitteln
Legen Sie ein Pflegetagebuch an: Hier halten Sie den täglichen Pflege- und Betreuungsaufwand fest. Was haben Sie wann gemacht, wie lange hat es gedauert, was waren Probleme, die aufgetreten sind? Für das weitere Vorgehen und im Falle einer Ablehnung des Pflegegrads ist so ein Pflegetagebuch eine gute Argumentationshilfe.
Außerdem verschafft man sich einen Überblick, wo tatsächlich Unterstützung benötigt wird. So wird auch die Planung des neuen Alltags einfacher. Mit einem Pflegegrad-Rechner kann man vorab ermitteln, um welchen Pflegegrad es sich voraussichtlich handelt.
→ Zum Pflegerad-Rechner von pflege.de (extern)
2. Pflegeberatung in Anspruch nehmen
Jeder pflegebedürftige Mensch verfügt über ein gesetzliches Recht auf Pflegeberatung. Das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) hat übrigens dafür gesorgt, dass die Pflegeberatung (nach § 7a SGB XI) auch per Video online stattfinden kann.
Die Pflegeberatung muss ab Pflegegrad 2 halbjährlich, ab Pflegegrad 4 vierteljährlich verpflichtend in Anspruch genommen werden. Bei der Pflegeberatung wird die Pflegesituation eingeschätzt. Außerdem gibt es konkrete Hilfestellungen und Lösungsansätze für Probleme. Es werden Möglichkeiten aufgezeigt, an die man als Laie niemals denken würde. Deshalb ist eine Pflegeberatung immer zu empfehlen, auch wenn es sich um einen Fall handelt, bei dem sie nicht verpflichtend wäre.
"Pflegeberatung" ist kein geschützer Begriff. Es gibt Pflegeberaterinnen und Pflegeberater bei den Pflegekassen (den Krankenkassen angegliedert) und private Pflegeberatungen. Auch kirchliche Träger bieten Pflegeberatung an. Die meisten melden sich zunächst bei der Krankenkasse oder recherchieren via Google nach dem nächstgelegenen Pflegestützpunkt.
3. Pflegegrad beantragen
Der Pflegegrad bestimmt über die Höhe der Zuschüsse, die Sie für die Pflege Ihres Angehörigen erhalten. Deshalb sollte der Antrag so früh wie möglich gestellt werden. Dazu wendet man sich an die Pflegekasse. Diese ist der Krankenkasse des Betroffenen angegliedert, also einfach direkt bei der Kasse anrufen!
Der Antrag auf den Pflegegrad kann auch formlos erfolgen, sogar per Mail und Telefon. Trotzdem sollte man, um seine Bemühungen lückenlos nachweisen zu können, alles in schriftlicher Form erledigen. Die Formulare gibt es direkt bei der jeweiligen Krankenkasse zum Download. Nach dem Antrag findet eine Pflegebegutachtung beim Betroffenen zu Hause statt.
Bei gesetzlich Versicherten kommt ein Gutachter der MDK (Medizinischen Dienstes), bei privat Versicherten von MEDICPROOF zum Pflegebedürftigen nach Hause und nimmt eine Analyse der Situation vor. Dann erstellt er ein Gutachten für die Pflegekasse. Die Entscheidung wird dort getroffen und schriftlich per Bescheid mitgeteilt, hiergegen kann man dann vier Wochen lang Einspruch einlegen.
Außerdem ist es sinnvoll, sich zu überlegen, ob der Betroffene einen Schwerbehinderten-Ausweis benötigt. Bereits mit einem Grad der Behinderung von 20 kann man einen Steuerfreibetrag in Anspruch nehmen.
4. Rechtliche Vertretung klären
Wenn der oder die Betroffene wichtige Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann, sind die Angehörigen in der Verantwortung. Eine umfassende rechtliche Vorsorge erleichtert die Pflegesituation ungemein. Denn hat sich die Person vor der Pflegebedürftigkeit nicht darum gekümmert, dürfen die Angehörigen nicht einfach automatisch „alles“.
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Sind keine Vorkehrungen getroffen, kann man beim Amtsgericht bzw. Vormundschaftsgericht einen Betreuer bestimmen lassen.
5. Finanzierung sicherstellen
Mit der Pflege eines Angehörigen sind hohe Kosten verbunden. Nicht selten bereitet dieser Aspekt die meisten Bauchschmerzen. Es muss nicht nur für medizinische Pflege, sondern auch für den regulären Lebensunterhalt gesorgt werden. Die näheren Angehörigen sollten sich zusammensetzen, um über die Situation zu reden und sich ggf. zu unterstützen. Es ist wichtig, an einem Strang zu ziehen und den Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen.
Gut, wenn es eine Altersvorsorge gibt!
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Die Leistungen der Pflegekasse orientieren sich am Pflegegrad. Es werden nur Leistungen bezahlt, die offiziell als Pflegeleistung anerkannt sind. Auch ohne Pflegegrad übernimmt die Krankenkasse bestimmte Hilfsmittel ganz oder anteilig, wenn eine medizinische Notwendigkeit besteht.
Sozialhilfe und Elternunterhalt
Wenn die Leistungen aus der Pflegekasse in Kombination mit dem Privatvermögen nicht ausreichen, um die Pflege zu bezahlen, kann man Sozialhilfe beantragen (Hilfe zur Pflege nach SGB XII). Dies geht aber nur, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Verdienen Verwandte 1. Grades mehr als 100.000 Euro im Jahr, sind sie zum sogenannten Elternunterhalt verpflichtet.
Die Situation, wenn jemand aus der Familie plötzlich pflegebedürftig wird, kann emotional sehr belastend sein. Deshalb ist es wichtig, auch auf sich selbst zu achten, denn nur, wenn es mir gut geht, kann ich für die Person da sein, die mich braucht. Auch eine professionelle psychologische Beratung kann infrage kommen. Hier wird dann nicht auf das konkrete Procedere bei Pflegebedürftigkeit eingegangen, sondern auf die eigene psychische Verfassung – was sehr wichtig ist.