Hier gibt es Zauberhaftes Fachwerk, einen berühmten Torschützen, eine noch berühmtere Torte – und einen Riesen.

Video: Imagefilm der Stadt Riedlingen

Zünftige Rufe unterm Bussen

Riedlingen klingt an manchen ­Tagen so: „Gooooole!“ Wenn es in der Narrenhochburg so durch die Straßen schallt, wird aber nicht etwa ein Fußballtor auf Spanisch bejubelt – obwohl Mario Gomez, einer der größten Torjäger des deutschen Fußballs, tatsächlich hier geboren wurde. Nein, „Gole“ ist ein Narrenruf; so heißt die Hauptfigur der Riedlinger Fasnet und der Namensgeber der ortsansässigen Narrenzunft.

1865 gegründet, zählt sie heute etwa 1400 Mit­glieder. Die Gole fallen durch ihre riesigen, bis zu 70 Zentimeter hohen Masken auf. Ihr Name leitet sich angeblich vom biblischen Riesen Goliath ab, der laut einem Fastnachtslied in Riedlingen geboren und von hier aus über die Donau zum Schwarzen Meer gezogen sein soll.

Schließlich gibt es auch ein imposantes Gole-Tor, eine noch riesigere Nachbildung des Riesen, dessen Maul als Torbogen dient, durch das die Narren springen. Es wird jedoch nur zu besonderen fastnächtlichen Anlässen aufgebaut.

Fastnachtsfigur Gole aus Riedlingen

MEIN LÄNDLE/Wulf Wager

Hauptfigur der Riedlinger Fasnet ist der Gole, der an den Riesen Goliath erinnert.

Wasser, Berge, ­verschlungene Namen

Riedlingen ist nah am Wasser gebaut. Aber hier plätschert nicht irgendein Bächlein durch Oberschwaben, sondern der zweitgrößte Strom Europas: die Donau. Sie ist an der Stelle noch recht jung und schlank. Zwar hat sie ihre Versinkung und das enge Durchbruchstal schon hinter sich, Schiffe fahren hier aber noch nicht. Dank eines Kanals gibt es immerhin eine idyllische Donauinsel.

Die Stadt berührt mit ihren Ausläufern, dem Österberg und dem Tautschbuch, im Westen und Norden auch die Schwäbische Alb. Der Hausberg ist aber der Bussen; der „Heilige Berg Oberschwabens“ misst 767 Meter am höchsten Punkt.

Natur wird hier großgeschrieben. Fünf Naturschutzgebiete zählt die Stadt, und sie gehört darüber hinaus anteilig zu weiteren Landschaftsschutzgebieten sowie sogenannten FFH-Gebieten (Fauna-Flora-Habitaten), für die eine entsprechende Naturschutzrichtlinie der EU gilt. Donauwiesen oder Riedlinger Alb gehören dazu. Ebenso wie die geschmeidig benannten Gebiete Ofenwisch, Ehebach oder Blinder See; einzig an der etwas holprigen Bezeichnung „Altwässer und verlandete Flussschlingen der Donau“ könnte man vielleicht noch feilen. Riedlingen an den Donau­schlingen oder so.

Naturpark obere Donau

Donauwehr in Riedlingen

MEIN LÄNDLE/Jean-Claude Winkler

Blick über das Donauwehr auf die einst gut gewappnete Stadt. Von zwölf Türmen ist heute nur der Zellemeesturm übrig (im Hintergrund), der früher als Gefängnis diente.

Riedlingen war einst Oberamt im damaligen Königreich Württemberg und wurde 1870 an das Streckennetz der Königlich Württembergischen Staats-­Eisenbahnen angeschlossen. Somit hätte der Text von „dr schwäbscha Eisabahna“ auch „Stuagert, Ulm und Ehinga, Sigmaringa, Riedlinga“ heißen können – wäre das Bäuerle samt „Goiß“ ab Ulm bloß statt in den Zug nach Meckenbeuren in den anderen gestiegen, der heute „Donautalbahn“ heißt.

Schwarzwälder ­Kirschtorte und Schnellkochtopf

Kurz nach dem Streckenanschluss gründeten Christian Schmidt und Heinrich Stoll die „Mechanische Werkstätte zur Herstellung von Strickmaschinen“. Das ist deshalb erwähnenswert, weil Riedlingen damit später um ein Haar Sitz eines renommierten Motorrad- und Autoherstellers geworden wäre, hätte man dafür seinerzeit genügend Platz und Energie gehabt. Weil dem nicht so war, zog die Firma 1880 nach Neckars­ulm und benannte sich später um in NSU-Motorenwerke. Die Silitwerke hingegen haben ihren Sitz bis heute in der Donaustadt und sind jedem ein Begriff, der beim Kochen schon mal auf das Erscheinen des zweiten Ringchens gewartet hat. Von Silit stammt nämlich der ikonische Schnellkochtopf, der Sicomatic.

Vom Kochen zum Backen und damit zur weltbekannten Lieblingstorte der Deutschen: der Schwarzwälder Kirsch­torte. Wer gedacht hat, die stamme aus dem Schwarzwald, wird enttäuscht sein. Es handelt sich offenbar um eine oberschwäbisch-rheinländische Kreation. Der Riedlinger Konditormeister Josef Keller, den die Einheimischen liebevoll „den süßen Josef“ nannten, hat 1927 ein Rezept dokumentiert, das er bereits 1915 kreiert hatte. Zuvor hatte es ihn nach Bad Godesberg ins berühmte Caféhaus Ahrend verschlagen. Angeregt durch ein Dessert, das zu der Zeit in jener Region schwer in Mode war, nämlich Kirschen mit Sahne, kam der süße Josef auf die Idee, diese auf einem in Kirschwasser getränkten Mürbteigboden zu servieren und mit Schokoraspeln zu garnieren. Fertig war seine Kreation, die er „Schwarzwälder Kirschtorte“ nannte.

Hier finden Sie das Rezept für Schwarzwälder Kirschtorte zum Selberbacken!

Schwedenbrunnen in Riedlingen auf dem Haldenplatz

MEIN LÄNDLE/Jean-Claude Winkler

Der Schwedenbrunnen ist im gotischen Stil gestaltet, steht aber erst seit 1866 auf Riedlingens ältestem Markt, dem Haldenplatz.

Fachwerkhäuser und schwebendes Grün

Angesichts so berühmter Schaffer sei festgestellt, dass hier sogar der Bürgermeister schafft. Beziehungsweise so heißt: Marcus Oliver Schafft ist seit 2014 im Amt und leitet die Stadtverwaltung im schmucken Rathaus. Es wurde 1447 bereits erwähnt, aber als Kaufhaus. Es macht den historischen Marktplatz Riedlingens zum Hingucker. Auch die gut erhaltenen, herausgeputzten Bürgerhäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert tragen dazu bei. Und nicht zuletzt steht hier auch Riedlingens Wahrzeichen, die katholische Pfarrkirche Sankt Georg mit ihrem weithin sichtbaren, markanten Turm und einer unter Orgelliebhabern berühmten Attraktion: der 1996 erbauten Orgel von Hartwig Späth.

Das bedeutendste Fachwerkgebäude der Stadt ist allerdings ein Ackerbürgerhaus aus dem Jahr 1556, das nach seinem auffallendsten Merkmal, einer besonders „Schönen Stiege“, benannt wurde. Es zählt bauhistorisch und dem Erhaltungszustand nach zu Oberschwabens Vorzeige-Fachwerkhäusern. Heute ist hier das Heimatmuseum der Stadt untergebracht.

Von den Steinen zum Grünen: Im Teilort Neufra findet sich der sogenannte Hängegarten, ein Renaissancegarten, der im 16. Jahrhundert vom Grafen ­Georg von Helfenstein errichtet und 1988 nach einer alten Zeichnung rekonstruiert und saniert wurde. Genau genommen hängt er aber gar nicht, sondern steht für die bessere Aussicht auf einer rund neun Meter hohen Gewölbekonstruktion. Was genau daran „hängen“ soll, ist nicht ganz klar. Heute immerhin kann man „ganz gechillt darin abhängen“, was notfalls zur Erklärung des Namens ausreichen könnte. Der tatsächliche Namenspate dürfte jedoch der Urtyp des hängenden Gartens gewesen sein, und der ist biblischer Herkunft: Die „Hängenden Gärten der Semiramis“ gehörten zu den sieben Weltwundern und erreichten auf Palisaden und Säulen eine Höhe von bis zu 30 Metern, weshalb sie auch „schwebende Gärten“ genannt wurden.

Ausflugstipp in der Nähe von Riedlingen: Kloster Heiligkreuztal

Zweifaltertor in Riedlingen bei Nacht

MEIN LÄNDLE/Jean-Claude Winkler

Das Zwiefalter Tor war einst Kapelle und wurde erst 1804 mittels Durchbruch zum Tor umfunktioniert.

Viele Wege …

Zurück von Babylon nach Riedlingen – viele Wege führen durch die kleine Perle, die Oberschwäbische Barockstraße ebenso wie die Deutsche Fachwerkstraße. Für Fahrradbegeisterte bieten sich der Donau-Radweg oder der Radwanderweg Donau-Bodensee an, und für spirituelle Wanderer macht der Oberschwäbische Pilgerweg extra eine Schleife durch Riedlingen. Wer die kürzeren Wege bevorzugt und es auch im Sommer gerne kühl mag, der findet mit der Zwiefaltendorfer Tropf­steinhöhle auf Riedlinger Gemarkung die kleinste Schauhöhle Deutschlands; sie ist nur um die 20 Meter lang.

► Auf dem Kloster-Felsenweg durchs Obere Donautal

Zu guter Letzt wollen wir aber doch noch mal ein Tor erwähnen: keines von Gomez, sondern das Zwiefalter Tor, das als Eintrittspforte zum schon genannten Markplatz dient. 1358 fand das Gebäude als Michaelskapelle bereits die älteste Erwähnung. Der zugehörige Friedhof wurde aber im 18. Jahrhundert verlegt und die Kapelle entweiht. Erst 1804 wurde der Rundbogen durchgebrochen, und das Gebäude erhielt als Stadttor seinen neuen Verwendungszweck. Man möchte fast rufen: Tor! Äh … Gooooole!

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