Achtsamkeit auf die Rückengesundheit bezogen ist mehr als nur Fitness und Funktionstraining. Der gesamte Lebensstil steht im Fokus. Die Rückengesundheit hängt nicht nur mit Bewegung oder körperlichen Verletzungen, sondern auch mit der Psyche zusammen.
Regelmäßige Achtsamkeitsübungen stabilisieren die psychische Gesundheit, fördern die Körperwahrnehmung und reduzieren Stress. Deshalb haben sie auch für die Rückengesundheit einen wichtigen Stellenwert.
In sich gehen und Körperbewusstsein schulen
Zu viel Belastung ist genauso schädlich wie zu wenig. Die Ablenkungen in unserer schnelllebigen Zeit sind vielfältig und deshalb haben die meisten Menschen gar kein Gefühl mehr für ihren Körper und ihre Haltung. Wie fühlt es sich an, zu sitzen, zu stehen, zu gehen? Achtsamkeit sorgt dafür, dass man sich Bewegungsmuster und Körperhaltung bewusst macht – denn nur dann kann man daran arbeiten und Verhaltensprävention betreiben. Es gilt, ein individuelles Gleichgewicht zwischen Bewegung und Entspannung zu finden.
Im Alltag ist es deshalb wichtig, öfter in sich zu gehen und den Moment wahrzunehmen: wie fühlt sich mein Körper gerade an? Bin ich überhaupt „da“, konzentriere ich mich auf das, was ich gerade tue, oder schweifen meine Gedanken umher? Und wie sieht es in meinem Umfeld aus: habe ich die richtige Matratze und den richtigen Lattenrost? Ist mein Schreibtischstuhl bzw. mein Arbeitsplatz ergonomisch?
Körper und Seele im Einklang
Rückengesundheit hat viel mit Balance zu tun – Körper, Geist und Seele müssen im Einklang sein. Eine gesunde, gerade Körperhaltung tut nicht nur dem Rücken gut, sondern hilft auch der seelischen Gesundheit. „Unsere Analysen haben ergeben, dass sich eine zusammengesunkene Körperhaltung auch negativ auf die Psyche auswirken kann“, sagt Johannes Michalak, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke. Mit seinem Team hat er den Zusammenhang von Psyche und Haltung jahrelang intensiv untersucht.
„Eine Menge schultern müssen“, „buckeln“, „die Last auf den Schultern tragen“ – diese Redewendungen und Ausdrücke sind nicht ohne Grund entstanden. Die Menschen scheinen intuitiv zu ahnen, was Forschende nun bestätigen: Eine ungünstige Körperhaltung und eine niedergedrückte Psyche hängen eng zusammen. So konnte Prof. Johannes Michalak von der Uni Witten/Herdecke in Zusammenarbeit mit Forschenden der Universität Aarhus in Dänemark in einer Meta-Analyse herausfinden, dass Menschen mit einer zusammengesunkenen, gekrümmten Körperhaltung negativer gestimmt sind.
Video: Rolle d. Psyche bei Rückenschmerz o. erkennb. Ursache
In diese Meta-Analyse gingen 70 Studien zum Thema Psyche, Körperhaltung und Bewegung ein. Zusätzlich führte der Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie eigene Studien zu den Auswirkungen von Körperhaltung und Bewegung auf depressive Patienten durch. Das erstaunliche Ergebnis: Menschen mit einer ungünstigen Haltung und einem gebeugten Gang behielten vermehrt negative Dinge im Gedächtnis.
„Sie erinnerten sich zum Beispiel an mehr negative Wörter als Menschen, die aufrecht gegangen sind“, sagt Michalak. Die Untersuchungen führte das Team unter anderem auf einem Laufband durch, doch auch beim Sitzen steigerte ein gerader, aufrechter Rücken die Tendenz, sich an positive Wörter zu erinnern. Untersuchungen mit der Bewegungs- und Meditationsform Qigong zeigten, dass aufrichtende Bewegungen besser für die Psyche depressiver Patienten waren als nach unten gerichtete.
Aufrecht und stark für Rücken und Psyche
- Ausschlaggebend für die Haltung ist unter anderem das Becken. Es bildet die Basis der Wirbelsäule und sollte sowohl stabil als auch mobil sein.
- Für einen aufrechten Oberkörper heben Sie Brustbein stolz an, ziehen Sie Ihren Hinterkopf am gedachten „Goldenen Faden“ nach oben. Es entsteht ein „kleines Doppelkinn“.
- Ein Soforteffekt ist gleich spürbar, wir fühlen uns wacher und positiver.
Sorgt eine gekrümmte Körperhaltung für schlechte Laune?
„Unsere Studien weisen in die Richtung, dass eine zusammengesunkene Körperhaltung nicht nur Folge einer Depression ist, sondern dass auch umgekehrt eine negative Stimmungslage durch eine zusammengesunkene Körperhaltung verstärkt werden kann“, erklärt der Psychologieprofessor. Auch ihre Faszien sind steifer und weniger flexibel. „Wir konnten zudem zeigen, dass eine Faszienübung bei depressiven Patienten dazu geführt hat, dass sie sich mehr an positive Dinge erinnerten“, sagt Prof. Michalak. All das deutet darauf hin, dass Psyche und Körperhaltung zusammenhängen und dass ein gerader Rücken und eine aufrechte Haltung hilfreich sein können. Ein starker Rücken lohnt sich also – für Körper und Seele.
Rückenschmerzen bio-psycho-sozial betrachten
Wer also erhobenen Hauptes und mit starkem Rücken durchs Leben geht, fördert wahrscheinlich auch seine seelische Gesundheit. „Der Mensch ist eine Einheit aus Körper, Geist und Seele. Rückenschmerzen können daher nicht isoliert betrachtet werden, sondern immer nur im Zusammenhang mit einem Gesamtbild des Gesundheitszustandes – auch der Psyche“, betont Prof. Michalak.
Bei Rückenproblemen Hilfe in Anspruch nehmen
Oft sind Verspannungen nicht nur auf körperliche Belastungen, sondern auch auf psychischen Stress zurückzuführen. Wer unter Stress steht, ist angespannt - nicht nur seelisch, auch körperlich. Es gilt, Stressfaktoren zu identifizieren und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Mediziner, Sportwissenschaftler, Heilpraktiker und Physiotherapeuten, aber auch Fitnesstrainer und Yogalehrer oder Coaches für Entspannung sind die richtigen Ansprechpartner, wenn man sich nicht sicher ist, wie sich mehr Achtsamkeit in Bezug auf die Rückengesundheit im Alltag umsetzen lässt.
Sei es durch eine Anpassung der Ergonomie bei der Arbeit und zu Hause, beim Umgang mit Smartphone und Tablet oder durch das Erlernen von Entspannungs- und Achtsamkeitstechniken: mit mehr Bewusstsein für den eigenen Körper und das eigene Befinden lässt sich ein wichtiger Beitrag zur Rückengesundheit leisten.