Wann waren Sie das letzte Mal ordentlich außer Puste? Sonja Faber-Schrecklein lädt Sie ein zum Schnaufen, Schauen und Staunen: auf dem höchsten Kirchturm in Ulm und um Ulm und – weltweit – um Ulm ­herum.

Der höchste Kirchturm der Welt

War ja klar, das musste so kommen. Hätte ich nur gleich g’scheite Schuh angezogen! Aber nein, die gnädige Frau will ja schick sein, da sind natürlich Sandälchen die perfekte Wahl. Und dann möchte die Tochter aufs Ulmer Münster steigen, auf den höchsten Kirchturm der Welt. Mit Sandalen? Prima. Läuft.

Ausflugsziel Ulmer Münster

In der Tat: Laufen können ist wichtig, denn es gilt 768 Stufen hochzusteigen. Und wieder runter. Mit gutem Schuhwerk geht’s natürlich leichter. Gerade die Abwärtstour unterschätzen viele. Doch auch, wenn man mächtig schnaufen muss, die Aussicht macht alle Torturen wieder wett: atemberaubend schön. Bei guter Sicht erkennen Sie Schwarzwald und Vogesen, die Österreichischen und Schweizer Alpen und das bayerische Hochgebirge. Schneebedeckte Gipfel sind doch jedes Mal aufs Neue eine Augenweide. Unsere Tochter Jeny kam aus dem Staunen auch nicht mehr heraus. Und das, obwohl sie schon sehr lange in Frankreichs hügeligem Südwesten bei Pau lebt und die Pyrenäen ihre Hausberge sind. Den Besuch auf dem Ulmer Münster wird sie wohl nie vergessen. Hier lag ihr ihre alte Heimat erstmals zu Füßen, und sie hatte Tränen in den Augen. Das rührt das Mutterherz …

Ulm trifft Geschichte auf Moderne

Das Ulmer Münster

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Immer nach oben: Das Ulmer Münster erreicht mit seinem architekturgeschichtlich bedeutsamen Turm himmlische Höhen.

Wer die Stufen wie wir bis zur ersten Plattform auf 70 Meter Höhe erklimmt, hat einen wundervollen Blick auf Ulm, Neu-Ulm und die Donau und erfährt Interessantes über die Arbeit der Turmwächter. Die hatten wegen des Weitblicks die Aufgabe, die Bürger von Ulm vor anrückenden Feinden und Angriffen zu warnen. In ihrer „Wohnung“, einem Zimmer, hausten sie mit der ganzen Familie noch bis weit ins 20. Jahrhundert.

Jetzt aber weiter hoch, auf zur zweiten Plattform. Hier wartet außer einem ziemlich kräftigen Lüftchen bei schönem Wetter die besagte Fernsicht. Wer sich traut, kann sich auch noch das letzte Stückchen in das Turmdach hinaufschrauben – übrigens die einzige Stelle, an der sich Auf- und Absteiger begegnen. Subber Sach, keine Engpässe!

Superlative & Steinmetzhelden

Man fragt sich natürlich unweigerlich, was die Ulmer dazu veranlasst haben mag, im 14. Jahrhundert ein Großprojekt zu starten, das nach Fertigstellung in ferner Zukunft wohl bis zu 20 000 Menschen Platz bieten sollte. Es war wohl ein reiner Sicherheitsgedanke, vermuten Fachleute. Die ursprüngliche Pfarrkirche lag außerhalb der Stadtmauern; ihr Besuch bedeutete ein Risiko, weil zu dieser Zeit kriegerische Auseinandersetzung an der Tagesordnung waren. Und rund um das Bauwerk gibt’s gleich mehrere Superlative: Das Ulmer Münster ist die größte evangelische Kirche Deutschlands. Mit 161,53 Metern, wie schon erwähnt, besitzt sie den höchsten Kirchturm der Welt, und seit seiner Grundsteinlegung 1377 waren und sind die Meister der Münsterbauhütte immerwährende Bauherren, Ausbesserer und Restauratoren.

Ein Besuch bei den Steinmetzen ist zu empfehlen. Sie sind wahre Künstler, halten das riesige Objekt in Schuss und freuen sich, wenn ihre Arbeit wertgeschätzt wird. Die meisten Besucher sind nämlich nach dem Aufenthalt in der Kirche und auf dem Turm so aus dem Häuschen, dass sie von den Handwerkern, die die Steine und Kunstwerke Stück um Stück erneuern und ersetzen, kaum Notiz nehmen. Dabei sähe es ohne ihre Arbeit traurig aus: Wind und Wetter, Kriege und Brände setzten dem Bau über Jahrhunderte zu. Um den Absturz von korrodiertem Gestein vorzubeugen, ist die Münsterbauhütte heutzutage wichtiger denn je.

Reine Bürgersache

Übrigens wurde 1543 der Bau aus Geldmangel eingestellt. Das Münster finanzierten ausschließlich Bürger der Stadt; das ging eben mal besser, mal schlechter. Erste Mitte des 19. Jahrhunderts ging es weiter: zuerst das Kirchenschiff stabilisieren, dann die Chortürme fertigstellen und schließlich, 513 Jahre nach Beginn der Arbeiten, auch den Hauptturm vollenden. Ein gigantisches Monument, in jeglicher Hinsicht.

Mittlerweile kommen auch viele Pilger nach Ulm: Zwei Jakobs-Weg-Routen treffen sich dort, der östlichere, fränkische, von Nürnberg her und der westlichere, der schwäbisch-fränkische, von Rothenburg über Lonsee. Der Oberschwäbische Pilgerweg, der beide gen Süden und zu anderen spirituellen Orten im Oberland führt, beginnt am Pilgerknotenpunkt Ulmer Münster.

Pilger- und Besinnungswege in Baden-Württemberg

In Ulm, um Ulm und um Ulm herum führt eigentlich kein Weg dran vorbei: Schauen Sie sich’s an, das Münster „Unserer Lieben Frau“, wie die Kirche auch heißt. Außen und natürlich innen! Aber vergessen Sie gutes Schuhwerk nicht …

Sonja Faber-Schrecklein

MEIN LÄNDLE

Sie kennt das Ländle wie ihre Westentasche: Sonja Faber-Schrecklein. Nicht nur durch ihre Arbeit als Journalistin und Moderatorin für den SWR, sondern auch ganz privat. Für Mein Ländle hat sie ihre schönsten Erlebnisse an den originellsten Plätzen gesammelt.

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