Wer kennt ihn nicht, den freundlichen alten Herrn mit Rauschebart und roter Zipfelmütze, der mit Geschenken bepackt durch den Winterwald stapft? Pünktlich zum Advent – und meist schon früher – schmunzelt er von Plakatwänden herab auf das geschäftige Treiben oder blinzelt uns aus Schaufenstern und von Illustriertenseiten entgegen.
Leibhaftig trifft man ihn in Einkaufspassagen und auf Weihnachtsmärkten – kurz: seine wundersame Allgegenwart betrachten wir längst als Selbstverständlichkeit.
Woher kommt der Weihnachtsmann?
Der alte Mann besitzt erstaunliche Vitalität, immerhin ist er seit Jahrhunderten als populärste Brauchfigur der Vorweihnachtszeit unermüdlich im Einsatz. Wir nennen ihn Nikolaus oder einfach Weihnachtsmann und als solcher lässt er Kinderherzen höherschlagen und noch bei den Erwachsenen ruft er wohlige Kindheitserinnerungen wach.
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Nikolaus ist uns großväterlich vertraut und willkommen – doch kennen wir ihn wirklich? Wo kommt er eigentlich her und wie wurde er zum weihnachtlichen Geschenkelieferanten?
Bei näherer Betrachtung stellen sich viele interessante Fragen. Geht man ihnen kulturhistorisch nach, so offenbart sich das Bild eines bemerkenswerten Verwandlungsprozesses – Vom Heiligen zur profanen Identifikationsfigur. In ihrer Radikalität und Wirkungsweise steht diese Metamorphose einzigartig innerhalb der abendländischen Kultur und sie verrät letztendlich vieles über die Geschichte unserer Lebensverhältnisse und die Veränderung unseres Denkens.
Nehmen wir also die Spur des neuzeitlichen Weihnachtsmannes auf und verfolgen wir sie zurück zum historischen Nikolaus.
Und schon wird’s kompliziert!
Nikolaus als historische Person
Nach Befragung der frühesten griechischen Textdokumente ergibt sich nämlich, dass die Figur des Hl. Nikolaus, wie sie in der späteren Legende aufscheint und wie sie uns bis heute vorschwebt, in der Realität so nie existiert hat.Vielmehr handelt es sich um eine Zusammensetzung aus zwei Personen:
Aus dem geschichtlichen Bischof Nikolaos von Myra im kleinasiatischen Lykien, der wahrscheinlich dem 4. Jh. angehört, und einem gleichnamigen Abt von Sion, der Bischof von Pinora war und der am 10. Dezember 564 ebenfalls in Lykien starb.
Aus beider Lebensbeschreibung ist schließlich die überragende Heiligengestalt des großen Wundertäters von Myra erwachsen, der im 6.Jh. erstmals in der griechischen Überlieferung sichtbar wird. Ab dieser Zeit bis etwa zum 9.Jh. erlebte der Nikolauskult im byzantinischen Reich im Anschluss an Erzählungen von den Wundertaten des Heiligen bereits einen Höhepunkt.
In der Ostkirche überstrahlte der Hl. Nikolaus alle übrigen Heiligen und stand in der Verehrung gleich hinter der Gottesmutter. Schon damals wurde der 6. Dezember als sein Todes- oder Begräbnistag gefeiert.
Will man indes zusammenfassen, was es an wirklich historisch gesicherten Fakten über jenen Hl. Nikolaus gibt, der von der griechischen und bald auch von der römischen Kirche gleich hohe Wertschätzung erfuhr, so fällt das Resümee äußerst dürftig aus.
Im Grunde haben wir es bei der Figur des Hl. Nikolaus mit einem rein geistigen Konstrukt zu tun, genährt aus wenigen Tatsachen und einer Vielzahl von Legenden. Man schrieb ihm alle erdenklichen Tugenden sowie Berichte von Wundertaten und Hilfeleistungen gegenüber den Armen und Verfolgten zu.
In Anbetracht der undeutlichen Konturen des tatsächlichen historischen Nikolaus, staunt man heute über die Vorstellungskraft der Menschen des Hohen- und Späten Mittelalters, die nicht nur an Nikolaus als himmlischen Nothelfer glaubten, sondern die auch das klassische optische Erscheinungsbild des Heiligen formten. So wie es im Prinzip bis heute idealtypisch ist: Nikolaus in bischöflichem Ornat mit Mitra, Krummstab und den Attributen der drei goldenen Kugeln auf einem Buch.
Jungfrauenlegende
Was hat es mit den drei Kugeln auf sich? Sie entstammen der wohl bekanntesten Nikolaus-Geschichte, der sog. „Jungfrauenlegende“. Sie hat das Brauchtum mit am nachhaltigsten geprägt.
Die Legende besagt, dass ein verarmter Vater seine drei Töchter zur Prostitution freigeben will, um ihren und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Nikolaus, dem diese Pläne bekannt sind und der Erbe eines großen Vermögens ist, erscheint nachts vor dem Fenster der Mädchen und wirft drei Goldklumpen durch das Fenster. So ermöglicht er den Jungfrauen ein ehrsames Leben.
Vor allem dieser Legende ist es zu verdanken, dass Nikolaus am 6. Dezember als Schenkender auftritt.
Und wenn er im angelsächsischen Raum seine Gaben sogar heimlich durch den Kamin in die Zimmer befördert, während die Kinder noch schlafen, so folgt diese Gewohnheit den Details der Legende besonders genau.
Die Jungfrauenlegende hat nicht nur den Brauch wesentlich beeinflusst, sondern ihr verdankt der Bischof von Myra also auch sein häufigstes Attribut – die drei goldenen Kugeln (zuweilen werden sie auch als Goldklumpen, Brote oder Äpfel dargestellt)…
Der pädagogische Aspekt und woher der Spekulatius seinen Namen hat
In den mitteleuropäisch-katholischen Ländern war und ist es vielerorts üblich, dass der Nikolaus am Vorabend des 6. Dezember in der Würdentracht eines Bischofs auftritt und Kinder einer Wissensprüfung unterzieht.
Begleitet wird er von Schreckgestalten, Teufeln und Tieren (Belzebub, Knecht Ruprecht oder Belzenickel), die den pädagogischen Aspekt dieses Einkehrbrauchs besonders deutlich werden lassen.
Während die Jungen und Mädchen, die ein gefordertes Gebet aufsagen oder ihr religiöses Bekenntnis auf andere Weise ordentlich unter Beweis stellen, mit Geschenken belohnt werden, bekommen die weniger vorbereiteten Kinder Verwarnungen, ja Bestrafungen von den teuflischen Begleitern mit der Rute zu spüren.
Der mächtige Nothelfer der gesamten Christenheit verwandelt sich (spätestens seit der Barockzeit) Schritt für Schritt in einen schlichten Glaubensvisitator und überirdischen Schulinspektor. Der Hl. Nikolaus wird zum inspizierenden Bischof, zum „Episcopus speculator“.
Diese Eigenschaft hat wohl auch dem beliebten Adventsgebäck – den Spekulatius – zum heute noch gebräuchlichen Namen verholfen.
Der heilige Nikolaus wird zum weltlichen Weihnachtsmann
Kennzeichen für den Säkularisierungsprozess der Heiligengestalt sind eine permanent fortschreitende Loslösung vom ernsthaften Andenken an den Bischof von Myra und eine wachsende Herauslösung der Heiligenfigur aus ihren religiösen Bezügen. Die Pontifikalgewänder des Kirchenfürsten mutieren zu Mantel und Mütze Es kommt zu der Kreation einer neuen Brauchgestalt:
Der Weihnachtsmann tritt erstmals auf den Plan, im Aussehen möglicherweise angelehnt an eine Darstellung des „Herrn Winter“ von Moritz v. Schwind aus dem Münchner Bilderbogen von 1847. Ebenfalls beeinflusst wurde die Genese des Weihnachtsmannes 1862 von einer Zeitungs-Illustration des Karikaturisten Thomas Nast, der einst von der Pfalz nach Amerika ausgewandert war. Als Vorbild diente ihm der aus seinen Kindertagen bekannte „Belzenickel“. (Andernorts auch Benzenickl genannt - Lesen Sie hier mehr dazu!)
Die wesentlichste Neuerung besteht aber wohl darin, dass die für den alten Einkehrbrauch typische, strenge personelle Trennung zwischen den Prinzipien der Belohnung und Bestrafung aufgehoben ist. Der Weihnachtsmann vereinigt auf sich fortan sowohl Eigenschaften des himmlischen Kinderfreundes St. Nikolaus als auch Wesenszüge des dämonischen Kinderschrecks Knecht Ruprecht. Ab jetzt ist er wohlwollender Gabenbringer und warnende Schreckgestalt in Personalunion.
Geschenkelieferant auf Bestellung
Das Thema „Geschenke“ und vorweihnachtliches Konsumverhalten prägen den Nikolausbrauch immer stärker, zumal im 19.Jh. erstmals eine florierende Spielzeugindustrie existiert.
Seit dem Biedermeier pflegen die Kinder ihre „Wunschzettel“ an den Weihnachtsmann zu adressieren, und der sieht in der pünktlichen Anlieferung der so „bestellten“ Waren inzwischen seine vordringlichste Pflicht. Und das bis zum heutigen Tag.
► Wo wohnt der Weihnachtsmann und was ist seine Adresse?
Die materielle Seite des Einkehrbrauchs hat die ideelle längst in den Schatten gestellt.