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Hübsch verpackt

NATURANA Museum

Miedermuseum Gomaringen

Jean-Claude Winkler, Mein Ländle

Eine hautnahe schwäbische Erfolgsgeschichte

Das Mieder: Mal verrucht, mal bieder, spiegelt es auch die Rolle der Frau in der jeweiligen Epoche wider.

Heute wieder nur Lachs“, soll Carl Dölker seufzend auf die Frage „Was gibt’s?“ geantwortet ­haben – und meinte dabei nicht das Essen, sondern die Farbwahl seines Korselett-Entwurfes. Man kann sich gut vorstellen, wie er grübelnd an seinem Schreibtisch sitzt, denn der steht im neuen Miedermuseum von Naturana, als ob der Firmengründer ihn gerade erst verlassen hätte. Dabei spielte sich die Szene in den 1930er-Jahren ab, als man um die frische und natürliche Farbe Lachs einfach nicht herumkam. Der in vielen Museen obligatorische Hinweis „Bitte nicht berühren“ fehlt hier nicht nur, er ist ausdrücklich ins Gegenteil verkehrt: Man darf die Schubladen aufmachen und reinspickeln! Auch an anderer Stelle, zum Beispiel bei einer antiquierten Presse, darf man Hand anlegen und erlebt, wie damit die „Körbchen“ in den Stoff des Büstenhalters gepresst werden. 

Miedermuseum Gomaringen der Fa. Naturana

Jean-Claude Winkler, Mein Ländle

Der BH im Maschinenbau?

Die Geschichte der Wäsche vom Korsett bis hin zu den modernsten Dessous ist hier anhand der gut 100-jährigen Firmengeschichte des schwäbischen Wäscheherstellers Naturana chronologisch dargestellt. Was die Wenigsten wissen: Auch diese Branche entsprang dem Pioniergeist unserer schwäbischen Vorfahren. „Württemberg war ein ­armes Land“, erklärt Kerstin Hopfensitz, die das Museum mit konzipiert hat und deren Schwerpunkt als Kulturwissenschaftlerin Kleider und Mode ist. „Die Menschen lebten von der Landwirtschaft, und weil das oft nicht gereicht hat, verdienten sie sich ein Zubrot mit dem Spinnen von Flachs und Nähen von Stoffen.“ Etliche Fabriken entstanden. Als im Zuge der industriellen Revolution die Engländer Baumwolle maschinell verarbeiten konnten, wollte die Leinenstoffe von hier keiner mehr haben. Darauf reagierte Mitte des 19. Jahrhunderts der württembergische König Wilhelm und warb französische Korsett-Spezialisten an, die ihre moderne Technik und Ideen mitbrachten. Bald schossen vor allem um Cannstatt, Stuttgart und Göppingen die Korsettfabriken wie Pilze aus dem Boden. Ende des Jahrhunderts wurden Hunderttausende Korsetts allein in die USA exportiert. Dass Württemberg heute als Musterländle für Maschinenbau gilt, führt Kerstin Hopfensitz übrigens ebenfalls auf diese Entwicklung zurück: „In der Textil­industrie waren Maschinen gefragt, man profitierte von dem Know-how aus dieser Branche und entwickelte es weiter.“

Miedermuseum Gomaringen

Jean-Claude Winkler

Selbst Hand anlegen darf man bei dieser Maschine, die die „Körbchen“ in den Stoff presst.

Da wundert es nicht, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerade die Württemberger ganz weit vorne waren, als daran getüftelt wurde, der Frau mit neuen Miedern mehr Bewegungsfreiheit zu bescheren. So entwickelte der Korsettmacher Wilhelm Meyer-Ilschen in der damaligen Oberamtsstadt Cannstatt 1904 eine „Bruststütze ohne Unterteil“, sprich: den BH. Ähnliche Patentanmeldungen gab es zeitgleich auch in Frankreich, den Durchbruch schaffte jedoch erst Meyer-Ilschens Schwiegervater Sigmund Lindauer, ebenfalls aus Cannstatt, als er 1912 in einer Böblinger Fabrik unter der Marke „Prima Donna“ den ersten Büstenhalter in Serie produzieren ließ. Auch Carl Dölker stammte aus einer der Keimzellen der Korsettfabrikation: aus Heubach auf der Ostalb. Seine Lehre absolvierte er dort in der Schneider & Sohn Corsettfabrik, heute bekannt als „Susa“; dann zog er über Frankfurt und Öhringen nach Gomaringen, wo er 1917 die Carl ­Dölker Korsettfabrik, gründete. Auch er gehörte zu jenen Pionieren im Ländle, die daran arbeiteten, die Frau vom Korsett zu befreien. Sein Ansatz war dabei der gesundheitliche. Zusammen mit dem Stuttgarter Mediziner Dr. Richard ­Haehl entwickelte er das Reformmieder ­„Natura“. Aus „natürlich“ und „gesund“ (im Lateinischen sana) entstand der Markenname „Naturana“.  

Miedermuseum Gomaringen

Jean-Claude Winkler

Erster Push-up aus den 1930er-Jahren; darüber wurde ein normaler BH getragen.

Vorkriegs-Push-ups

Das Lieblingsthema der Mode-Kulturwissenschaftlerin erlaubt verblüffende Einblicke: „Jeder hat dazu einen Bezug, und man kann das wunderbar in den Kontext der Kulturgeschichte setzen“, verrät sie, „besonders, was das Rollenverständnis der Frau angeht.“ Was das heißt, erklärt sie anhand der Exponate aus verschiedenen Epochen: „Während bis zum Ersten Weltkrieg das Korsett für Frauen unerlässlich war, konnten diese nun in den 1920er-Jahren im doppelten Sinn aufatmen: Die moderne Wäsche stützte, ohne einzuengen.“ Wespentaille war out, bequem war „in“. Dagegen rückten in den 1930er-Jahren die weiblicheren Formen wieder in den Vordergrund, jetzt gab’s aber Gummi! Mieder waren nun elastisch. Es entwickelte sich eine ganze Fülle von Schnitten, die davor nicht vorstellbar waren. Korseletts wurden zur zweiten Haut. „Damals gab es sozusagen schon den ersten Push-up!“ Hopfensitz weist auf einen BH, der ähnlich einer Rose durch viele „Stoffblüten“ merkwürdig aufgeplustert wirkt: „Man hat ihn unter einem weiteren BH getragen.“ In den mageren Jahren während und nach dem Zweiten Weltkrieg war alles knapp, „doch Not macht erfinderisch. Also wurden Büstenhalter kurzerhand aus alten Schürzen oder Tischdecken genäht“, erklärt die Wissenschaftlerin, „natürlich mit Einbußen im Tragekomfort.“

Die Power des Atombusens

Perlon hieß dann der „In“-Stoff in den 1950er-Jahren, daneben galt ein neues Weiblichkeitsideal: Frauen übten mit Gute-Manieren-Büchern das richtige weibliche Gebaren und demonstrierten ein neues Selbstbewusstsein – der „Atombusen“ kam in Mode. „Frau wollte Kraft demonstrieren“, so Hopfensitz, „und wie man an den spitz zulaufenden BHs erkennt: Da lag schon ordentlich Power drin.“ Die Stilikone war Marilyn Monroe – auf dem Werbeplakat von Naturana prangt jedoch ein Junge im Unterhemd mit Strapsen. Kerstin Hopfensitz kommentiert kundig: „Da gab es noch keine Strumpfhosen, und man befestigte die Strümpfe am Unterhemd – für die Jungs eine schlimme Zeit, weil’s unheimlich uncool war, aber sie kamen nicht drumrum.“ (Die späteren Jungs fanden auch Strumpfhosen alles andere als cool. Anm. d. Autors)

Miedermuseum Gomaringen

Jean-Claude Winkler, Mein Ländle

Hier darf und soll man auch anfassen – zum Beispiel den Schreibtisch des Firmengründers.

Etwas später kam die Befreiung von der Doktrin der Scham. Hatte man Nacktes zuvor nicht zeigen dürfen, weshalb Werbung für Wäsche meist gezeichnet war, setzte nun Sophia Loren das Ausziehen in Szene. Es gab freizügige Bilder – und erste Wäschemodels. Man trug fesche Wäsche unter dem Cocktailkleid, weil frau in den 1960ern modisch und schick sein wollte und „sich das gönnte“, so die Mode-Kulturwissenschaftlerin. Auch hier spiegelt die Dessousmode den Zeitgeist: bunte Fliesen in den Bädern, knallige Farben bei Autos – und in der Wäsche. Sogar rot und schwarz gab es jetzt. „Ursprünglich waren das die Farben der Prostituierten, keine anständige Frau hätte zuvor so etwas getragen“, erläutert Kerstin Hopfensitz. Dem neuen, mageren Mode-Ideal einer Twiggy (was im Englischen „fein, dünn, zart“ bedeutet) half man mit Lycra und Elastan nach: „Den flachen Bauch hatte manche Frau nicht, aber mit entsprechendem Höschen konnte man da etwas zurücknehmen.“

Die wilden 70er versetzten der Branche dann einen erheblichen Dämpfer: Unisex, wallende Gewänder, oben ohne – also entweder gar keinen BH oder einen praktisch unsichtbaren –, die Frauen wollten sich vom Mieder befreien. Dafür entdeckten sie den Sport für sich. „Vorher hatte die Frau die sportliche Figur der Miederindustrie überlassen, jetzt fühlte sie sich selbst dafür verantwortlich“, bemerkt Kerstin Hopfensitz dazu. Aerobic und Bodybuilding waren bald die Hits, und der Sport-BH war gefragt. Auch Bade­kleidung erlebte den Durchbruch. „Da steckt viel Entwicklung drin, die man nicht sieht. Ein Badeanzug war in den 1930ern aus Wolle, nass wog der drei Kilo“, so die Modewissenschaftlerin. „Wie man da aus dem Wasser kam, möchte man sich heute nicht vorstellen.“ Ab den 90ern galt es, Medienstars nachzueifern, „mehr Schein, als Sein dank Push-up.“ Offenbar hat man heute davon eher genug. Zumindest das jüngste Ausstellungsstück tendiert ins Gegenteil: Es ist ein Minimizer.

Hinweis

Führungen können telefonisch vereinbart werden. Eingang über den Werksverkauf.