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Am 9. Juni wird der Gemeinderat gewählt

Der Ton in Diskussionen wird rauer - vor allem im Internet

Rathaus Eislingen

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Während die Eislinger Kommunalpolitiker selten beleidigt oder bedroht werden, berichten die Mitarbeiter des Rathauses von einer zunehmenden Verrohung.

Das gesellschaftliche Klima ist härter geworden. Während Spitzenpolitiker vor allem im Netz beleidigt und bedroht werden, sind Kommunalpolitiker und Mitarbeiter der Stadtverwaltung vor Ort präsent - beim Einkaufen, im Verein oder in der Kirchengemeinde. Wie erleben sie den Wandel?
Die Kommunalpolitiker sind es, die vor Ort zuhören, Streit schlichten, Interessen ausgleichen, nach Kompromissen und pragmatischen Lösungen suchen – gemeinsam mit den Mitgliedern der Stadt- und Gemeindeverwaltungen. Der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier sagte vergangene Woche während einer Gesprächsveranstaltung mit dem Titel „Demokratie beginnt vor Ort“ mit ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Schloss Bellevue: „Sie sind es, die sich mitten in den Wind stellen und stellen müssen, um Dinge voranzubringen, damit das Miteinander der Verschiedenen gelingt und Ihre Kommune Zukunft hat. Und Sie sind es, die auf diese Weise unsere Demokratie von Grund auf stärken.“ Wie ist die Situation in Eislingen? Die Eislinger Zeitung hat sich bei den Fraktionsvorsitzenden des Gemeinderates und im Rathaus umgehört.
Beleidigungen und Bedrohungen
Dass der Ton in den vergangenen Jahren rauer geworden ist, das berichtet der Oberbürgermeister Klaus Heininger. Die Beschäftigten im Rathaus würden häufiger als früher beleidigt. „Auch bei ganz banalen Dingen“, sagt er. Bereits bei kleinen Problemen, wenn beispielsweise Unterlagen nicht vollständig seien, werde der Ton gegenüber den Rathausmitarbeitern schnell aggressiv. „Respekt und Anstand nehmen ab“, sagt Heininger. Zuweilen gebe es sogar Bedrohungen gegenüber Verwaltungsmitarbeitern. „Das kommt schon vor. So selten ist das nicht“, berichtet der Rathauschef.
Eine Erklärung, was die Ursache der zunehmend aggressiveren Stimmung sein könnte, hat Heininger nicht. Die Veränderung könne nur festgestellt werden. Um die Mitarbeiter auf die schwieriger werdenden Gespräche vorzubereiten, würden Anti-Aggressionstrainings angeboten.  Gleichzeitig gebe es aber auch die andere Seite, Menschen, die den Verwaltungsmitarbeitern bei Hilfe dankten oder ihre Wertschätzung zum Ausdruck brächten. „Das hat auch zugenommen“, so Heininger.
Die Mehrheit der Stadträte hat keine negativen Erfahrungen gemacht. „Frau Schuster, Herr Eisele und ich haben Anfeindungen, Drohungen oder Ähnliches bisher nicht erlebt“, schreibt der Fraktionsvorsitzende der Eislinger Demokratischen Mitte (EDM) Manfred Strohm. Gespräche mit Einwohnern zu bestimmten kommunalpolitischen Themen gebe es immer wieder. „Dass unschöne Worte fallen, ist die Ausnahme“, sagt der langjährige Stadtrat. Es komme im Gegenteil eher vor, dass man für die ehrenamtliche Arbeit Wertschätzung erfahre, berichtet Strohm. Man mache die Arbeit nicht für sich, sondern für die Stadt und die Einwohner, betont er.
Entscheidungen würden mehrheitlich gefällt. Danach gelte es, die getroffenen Entscheidungen zu akzeptieren. Der sachliche Austausch müsse vorher stattfinden, nicht lange nachdem eine Entscheidung getroffen wurde. Gerade im Internet hat Strohm beobachtet, dass Diskussionen erst dann geführt werden, wenn die Entscheidungen umgesetzt werden.
Ein aktuelles Beispiel ist die hitzige Diskussion um den Wegfall von öffentlichen Parkplätzen in der Salacher Straße. Die Umbaupläne wurden über viele Monate öffentlich diskutiert und kaum einer der jetzt Empörten hat sich gegenüber den Stadträten oder der Verwaltung dazu geäußert. Dabei hätte es ausreichend Gelegenheit gegeben, sich in die Diskussion zur zukünftigen Gestaltung der Salacher Straße einzumischen, beispielsweise bei der Bürgerfragestunde im Gemeinderat. Doch die Diskussion im Vorfeld der Entscheidungsfindung schien kaum jemanden zu interessieren. „Wir glauben, dass Unzufriedenheit oft auch aus Uninformiertheit entspringt, die dann leider in den sozialen Medien vielfach unqualifiziert verstärkt wird“, so Strohm.
Viele Themen rufen keine Emotionen hervor
In der Kommunalpolitik wird die Demokratie anschaulich – von der Parkbank bis zum Jugendklub, vom Radweg bis zur Biogasanlage und vieles, vieles andere mehr. Viele dieser Themen rufen in der Öffentlichkeit keine großen Emotionen hervor. Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat, Angela Schirling, erklärt ebenfalls, dass weder sie noch ihre Fraktionskollegen negative Erfahrungen gemacht hätten. Man werde oft angesprochen und müsse sich zuweilen auch kritischen Fragen stellen. Das sei aber in Ordnung, meint Schirling. Das bringe das Amt mit sich. Viele Entscheidungen, die vielleicht zunächst auf Unverständnis gestoßen seien, könnten in persönlichen Gesprächen erklärt werden. Dadurch entstehe Verständnis. Die Diskussionen im Netz verfolge sie nicht. 

Neben den fast ausschließlich positiven Erfahrungen können sich einige Stadträte auch an Beleidigungen oder Drohungen erinnern. Dann auch wenn die meisten kommunalpolitischen Themen von der breiten Öffentlichkeit wenig beachtet werden, gibt es einige Ausnahmen. Im Zuge der Diskussion um den Hirschkreisel könne er sich an die eine oder andere Drohung erinnern, erklärt der FVW-Fraktionsvorsitzende Andreas Cerrotta. „Das ist aber schon Jahre her“, sagt er. Grundsätzlich seien persönliche Diskussionen über die Kommunalpolitik sachlich, auch wenn es unterschiedliche Meinungen gebe. Dass es im Netz nicht immer so sachlich zugeht, weiß auch Cerrotta. Das Internet sei keine gute Plattform für sachliche Diskussionen, meint er. Zuweilen sei die Ursache für Unzufriedenheit in Online-Diskussionen ein Informationsmangel.
Neben den überwiegend positiven Erfahrungen mit ihrem Amt, gibt es auch einige negative Beispiele. „Die Verrohung der öffentlichen Auseinandersetzung treibt uns seit Jahren um, und die aktuelle Umfrage ist leider kein Grund zur Entwarnung: Jeder dritte ehrenamtliche Bürgermeister und sogar jede zweite ehrenamtliche Bürgermeisterin berichten, dass sie selbst oder jemand aus ihrem privaten Umfeld schon einmal wegen ihres Amtes beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen worden sind“, sagte der Bundespräsident Steinmeier. Soweit kam es in Eislingen bisher nicht.  
Haas: anonyme Drohungen sind selten
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Ulrike Haas betont, nichts dramatisieren zu wollen. Der dienstälteste Grünen-Gemeinderat Holger Haas habe in mehr als 30 Jahren als Stadtrat kaum persönliche Anfeindungen erfahren. Sie selbst habe selten anonyme Drohungen erhalten, berichtet Ulrike Haas. Drei bis vier Mal sei sie in den vergangenen 15 Jahren anonym angerufen worden. Vor fünf Jahren seien im Wahlkampf Personen unterwegs gewesen, die den Grünen-Infostand und Stände anderer Parteien vor der Kommunalwahl in der Innenstadt aus der Ferne fotografierten und in Autos mit fremden Nummernschildern schnell das Weite suchten, bevor man sie stellen konnten. „Das sind Methoden, um zu verunsichern“, erklärt die Stadträtin. Es gebe auf der anderen Seite aber auch ermutigenden Zuspruch weiterzumachen.
Schwer auszuhalten seien die Kommentare auf Social Media. „Es ist schon deutlich, wie enthemmt die Sprache mancher Leute in letzter Zeit wurde, wie negativ und verächtlich, leider auch in Gruppen, in denen sich Eislingerinnen und Eislinger organisieren“, erklärt Haas. In einer Demokratie müsse es beunruhigen, dass verächtliche Kommentare in den sozialen Medien über demokratisch gewählte Politikerinnen und Politiker, auch auf kommunaler Ebene, mittlerweile normal seien.
Ebenfalls keine negativen Erfahrungen mit persönlichen Gesprächen hat der CDU-Fraktionsvorsitzende Hans-Jörg Autenrieth gemacht. Im Gegenteil, er erhalte Zuspruch aus der Öffentlichkeit. Wenn Entscheidungen und die Wege zu den Entscheidungen erklärt würden, hätten die Menschen Verständnis dafür. Problematisch findet Autenrieth eher den Umgang innerhalb des Gemeinderates. Dort gebe es zuweilen persönliche Angriffe, sowohl von anderen Gemeinderäten als auch von der Verwaltung. „Das ist ganz unglücklich, das ist meine Erfahrung“, so Autenrieth.
Niedrige Wahlbeteiligung in Eislingen
Die vom Bundespräsidenten thematisierte Entwicklung ist also, in abgeschwächter Form, nicht an Eislingen vorbeigegangen. Was nicht zur immer deutlicher zur Schau getragenen Unzufriedenheit mancher passt, ist die niedrige Wahlbeteiligung. Bei der Gemeinderatswahl 2019 lag die Wahlbeteiligung im Land  laut Statistischem Landesamt bei 58,6 Prozent. In Eislingen lag die Wahlbeteiligung bei 47,5 Prozent. Aus der niedrigen Wahlbeteiligung können unterschiedliche Schlüsse gezogen werden. Sie kann ebenso auf eine große Zufriedenheit, wie auch auf eine große Unzufriedenheit hinweisen. bra