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Gedenken an die Zerstörung Deckenpfronns

Der 21. April, der Tag der Zerstörung Deckenpfronns, jährt sich zum 79. Mal. Innerhalb kürzester Zeit wurden zwei Drittel des damaligen Ortes Opfer der Flammen, die durch Brandbomben entfacht wurden. Im 1995 erschienenen Buch „Deckenpfronn 1945“ von Christa Hagmeyer wurden diese Ereignisse aufgearbeitet und viele Zeitzeugen kamen zu Wort. Auch die Rede zum 50. Jahrestag von Bürgermeister Winfried Kuppler ist in Teilen dort abgedruckt. Aus diesem Buch wird in der Folge zitiert:

 

„Ein kleines Dorf wie Deckenpfronn träumte vor sich hin, weit weg von politischen Machenschaften. Eng, verschachtelt und verwinkelt war die Bauweise, nicht einfach der tägliche Existenzkampf nach dem Ersten Weltkrieg, nach Währungsreform und Wirtschaftskrise. Das „Dritte Reich“ hielt auch hier Einzug. Auf Anzeichen des Aufschwungs folgte konfliktbereites Gewinnstreben der bald diktatorischen Führung. Die massive Aufrüstung war nicht mehr zu verkennen. Krieg war angesagt. Für Deckenpfronn mit seinen damals knapp tausend Einwohnern bedeutete dies: 44 Gefallene, 32 Vermisste, 12 Ziviltote musste dieses Dorf drangeben. Als Opfer der Rassengesetze und der Euthanasiemaßnahmen hatten außerdem mehrere Personen zu leiden oder kamen um. Bei der Zerstörung am 21. April 1945 sanken 172 Gebäude, zusätzlich viele Holzschuppen und Ställe, in Schutt und Asche. 150 Haushalte, also 605 Personen, wurden obdachlos. 120 Stück Großvieh, dazu Schweine, Schafe, Ziegen, Hühner kamen im Feuer um, mehrere Tausend Zentner Getreidevorräte verbrannten. Der Sachschaden wurde auf 3 bis 5 Millionen Reichsmark geschätzt.“ […]

 

 

„Den Menschen im April 1945 und später wurde der gesamte Lebensboden entzogen – es gab nichts mehr, das Ziel, Halt und Zuversicht hätte geben können. Auch die Deckenpfronner waren plötzlich aus der scheinbaren Sicherheit ins Bodenlose gestürzt, weil die äußeren Lebensgrundlagen Haus, Hof, Stall und Vieh buchstäblich zu Boden gestürzt waren. Heimatlos, weil hauslos, in wenigen Morgenstunden zum zweiten Mal der Selbstbestimmung beraubt, dieses Mal klar erkennbar. Die politische Niederlage in unserem Lande wurde nicht jedem zur Befreiung, und im Innern der Menschen lagen Lasten. Wie wäre es anders denkbar gewesen? Nichts als das nackte Leben blieb, höchstens ein paar Kleidungsstücke oder den stets griffbereiten kleinen Koffer mit Wertsachen im Arm – unter dem Träublesstöcken im Brühl hockten sie, auf der Lüsse standen sie unter den blühenden Bäumen, vom Pfarrgarten aus starrten sie auf die versinkenden, einst Geborgenheit gebenden Häuser, im oberen Dorf kämpften sie mit Wasser- und Latrinengüssen verzweifelt gegen den Feuersturm. Jeder war total auf sich selbst zurückgedrängt, die endzeitliche Erfahrung hat unauslöschliches Wissen eingeprägt, bis heute. Manche Erfahrungen des Bösen haben stumm gemacht, auch heute.“  […]

 

[…] „Eine Laterne warf trübes Licht auf das Nachtlager zwischen Mostfässern und allerlei Wertgegenständen, die im Keller verstaut waren. Auf den Fässern stand eine Schüssel mit Brötchen, die die Mutter gebacken hatte. Horst wollte eben hinaufklettern, als seine Schwester erwachte und zeterte: „Du darfst keine Brötchen stehlen!“ Missmutig stand Horst mit leeren Händen und hörte an diesem seltsam ruhigen Morgen plötzlich Flugzeugmotoren, die lauter als sonst aufheulten. Kurz darauf erfolgten dumpfe Einschläge. Durch die Ritzen der Türe drang violetter Schein. Da riss die Mutter auch schon die Kellertüre auf und rief: „Raus, es brennt!“ Am Kellereingang stand ein mit Wasser gefüllter Eimer. Die Mutter zog den Kindern nasse Tücher über den Kopf und zerrte sie hinaus, den Flammen und Rauchschwaden entgegen. Sie hatte lediglich einen Brotbeutel umgehängt, in dem sich die Papiere der Familie befanden, einen Koffer trug sie in der Hand. Es blieb keine Zeit, die vorbereiteten Rucksäcke der Kinder zu holen und mitzunehmen. Die Drei eilten die holprige Gasse zum Gänsberg hinauf. Links brannte die eigene Scheune, rechts jene von Jakob Däuble. Ein Sturm kann auf, überall loderte Feuer, Rauch quoll heran. Gudrun traute sich nicht, weiterzugehen, ihr Haar hatte über der Stirn bereits Feuer gefangen. Mutter stellte den Koffer ab, stieß Gudrun mit dem Knie vorwärts und trieb die Kinder so mitten durch den Brandherd den Gänsberg hinauf. Rings brannten Häuser und Scheunen lichterloh. Ziegel und Steine fielen auf den Weg.“ […]

 

Sehr eindrücklich sind diese Schilderungen und sie gehen unter die Haut. Die Menschen in Deckenpfronn fanden sich in existentieller Not wieder. Auch die aktuelle Situation, zwei Jahre nach Beginn des Ukrainekrieges und der vielen kleineren und größeren Kriegsschauplätze in Nahost und auch in Israel, macht vielen Menschen Angst. Und in vielen Fällen sind sicher auch Existenzängste vorhanden, weil nicht klar ist, wo sich unsere Welt hin entwickelt in diesen Zeiten. Es soll kein Trost sein, aber Hoffnung geben: Die Zerstörung Deckenpfronns war ein Einschnitt, der viel massiver war, als wir es uns heute vorstellen können. Und doch lag damals wie heute auch eine Chance zur Veränderung hin zum Positiven. Der Wiederaufbau, der in den Jahren nach der Zerstörung bis 1957 andauerte, war ein großer Kraftakt und doch profitieren wir heute alle noch von den in dieser Zeit erdachten und verwirklichten Ideen. Lassen Sie uns deshalb auch heute die Chancen erkennen und miteinander ergreifen!

 

Zum Gedenken werden am Morgen des 21. April um 7.45 Uhr – 12 Minuten lang, genau zu der Zeit, als vor 79 Jahren die französischen Jagdbomber über Deckenpfronn flogen und das „Brennen“ entfachten, die Glocken der Nikolauskirche läuten!