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Serie Aldinger Dorfleben vor 125 Jahren Teil 10b

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Aldinger Dorfleben vor 125 Jahren.

Im Jahr 1900: Die Landpost fährt dreimal in der Woche mit Handkarren oder Pferdefuhrwerk durch das Dorf. Die ersten Arbeiter ziehen in täglichen Fußmärschen los, nach Ludwigsburg zum Kaffee-Franck, nach Kornwestheim in die Salamander-Schuhfabrik oder zur Gießerei von Stotz. Aldingen hat noch kein elektrisches Licht. 

In loser Folge veröffentlichen wir hier Ausschnitte aus den Aufzeichnungen des Aldinger Schullehrers Kipple aus dem Jahr 1900. 

 

Zu Glaube und Sagen schreibt Kipple:

Aus der altheidnischen Naturreligion haben sich noch zahlreiche Volksglaubenssätze erhalten, die sich auf zukünftiges Glück oder Unglück beziehen, das man durch allerlei Geheimmittel herbeiführen oder abwenden will. Dahin gehört der Glaube an Zauberer und Hexen. Eine gewisse Zaubermacht soll besonders den Zigeunern innewohnen. Ein noch junger Bauer hier glaubt dies durch folgenden Zufall bestätigen zu können. Im Jahre 1842 sei nämlich seines Vaters Haus an der Mühlhäuser Straße infolge eines Blitzschlags abgebrannt. Der Blitzstrahl sei aber zuerst auf ein gegenüberliegendes Haus niedergefahren, habe dort nicht gezündet und erst auf einem Umweg sein elterliches Haus getroffen. Das Nachbarhaus sei deshalb nicht abgebrannt, weil einige Zeit vorher ein Zigeuner darin übernachtet sei, der dasselbe vor Blitzschlag gesichert habe. Derselbe Zigeuner habe auch fertiggebracht, einen Bund Stroh zu verbrennen, ohne dass das Land vom Feuer berührt worden sei. 

Der Glaube an Hexen ist noch ebenso wenig ausgerottet. Denn noch immer glauben manche Bäuerinnen, wenn ihre Kühe keine Milch mehr geben, sie seien verhext; noch immer wird diese oder jene alte Frau als Hexe verschrien. Bei gewissen Erkrankungen von Menschen und Vieh läuft man um Hilfe nicht zum Arzt, sondern zu Hexenmeistern, Zauberern und Schwarzkünstlern nach Kirchberg, Weißbuch und Waiblingen. Dass man zu diesen Scharlatanen nur am Freitag kommen darf und die meist griechisch geschriebenen Rezepte im Mund tragen muss, finden die Leute nicht als abergläubischen Betrug. Ungetaufte Kinder lässt man außer den Verwandten niemand gerne sehen, weil geglaubt wird, dass sie verhext werden können. Es wird deshalb als Schutzmittel gegen Hexen alle Nacht ein Licht gebrannt bis zur Taufe. Besonders gefährlich sollen die Hexen am Mittwoch und Freitag sein, deshalb gelten diese als Hexentage. Noch heute fürchtet man den „bösen Blick“, noch heute wird hier geglaubt, mit gewissen Sprüchen und Mitteln Krankheiten über Menschen und Vieh verhängen, Ungeziefer erschaffen, Gewitter, Hagel und Frostschaden bewirken zu können. Mit Amuletten will man sich stich- und kugelfest machen, sich gegen Krankheiten, Wetterschaden, Feuer- und Wettersnot schützen. In einzelnen Ställen trifft man noch einen schwarzen Bock an, der in der Nacht böse Geister und Hexen vom Vieh, namentlich von den Pferden abhalten soll. Dass Träume Schäume sind, weiß jedes Schulerkind und doch findet man in vielen Häusern noch ägyptische Traumbüchlein vor, in denen man nachschlägt, was dieser oder jener Traum wohl zu bedeuten habe. Was man in den zwölf Nächten träumte, soll der Reihe nach in den 12 Monaten des Jahres wahr werden. 

Aber nicht bloß von geheimnisvoll geschriebenen oder gesprochenen Worten, hieroglyphischen Zeichen wird schützende Zauberkraft erwartet, sondern auch von Tieren, Pflanzen, Metallen und Steinen wird solches geglaubt. So sollen z.B. die Nester der Schwalben und Störchen vor Wetterschlag, die Himmelfahrtsblümchen und Feldkamillen vor Hagelschlag schützen. Das Auffinden eines vierblättrigen Klees soll glückliche Erfolge, das Laufen eines Hasen oder gar eines alten Weibes soll Pech bedeuten. Fliegt ein Rabe über den Weg oder schreit bei Nacht ein Käuzchen, so wird ein Unglück befürchtet, dagegen bringen die Herrgottskäferchen Glück. Die Kinder und Erwachsenen heißen diese Käferchen „Sonnenvögele“. 

Über Himmelserscheinungen, Gestirne, Wasser und Feuer haben sich hier nur wenige Sagen erhalten. Jeder Mensch hat seinen Stern, der bei seinem Tode vom Himmel fällt. Daher wird auch gesagt, wenn ein Stern vom Himmel schießt, es ist jemand gestorben. Ein Schweifstern bringt Krieg ins Land. Bei Kindern gilt der Regenbogen als eine Brücke zum Himmel. 

Fortsetzung folgt (EP)