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Serie Aldinger Dorfleben vor 125 Jahren Teil 4

SERIE

Aldinger Dorfleben vor 125 Jahren.

Im Jahr 1900: Die Landpost fährt dreimal in der Woche mit Handkarren oder Pferdefuhrwerk durch das Dorf. Die ersten Arbeiter ziehen in täglichen Fußmärschen los, nach Ludwigsburg zum Kaffee-Franck, nach Kornwestheim in die Salamander-Schuhfabrik oder zur Gießerei von Stotz. Aldingen hat noch kein elektrisches Licht. 

In loser Folge veröffentlichen wir hier Ausschnitte aus den Aufzeichnungen des Aldinger Schullehrers Kipple aus dem Jahr 1900. 

 

Zu menschlichem Lebenslauf und Geburt schreibt Kipple:

Das sogenannte „Versehen“ ist jeder Frau bekannt. Dass der Schreck über etwas Widerwärtiges, Drohendes, z. B. ein Tier, eine Form des Entsetzens auf die Gestaltung des kindlichen Körpers von Einfluss ist, haben die Leute seit den ältesten Zeiten als statthaft anerkannt. Bekannt sind als Beispiele die Muttermale, die durch Form, Farbe oder Art am Kindeskörper auf den äußeren Gegenstand hindeuten, welcher auf die schwangere Frau einwirkte. 

Allgemein bekannt und darum auch erwähnenswert ist das Muttermal eines hiesigen 8-jährigen Knaben, welches die rechte Wange desselben vollständig einnimmt. Die betreffende Hautpartie hat die Farbe und das Aussehen von rohem Fleisch. Als Säugling war der Knabe Herrn Dr. Leudenberger zur Beseitigung des Muttermals übergeben worden, welcher erklärt habe, dass dies nur durch eine Operation, durch Entfernung der Haut und Ersatz derselben von Menschenhaut, geschehen könne, worauf aber damals die Eltern nicht eingingen. Das Muttermal soll davon herrühren, dass die Mutter während der Schwangerschaft einst beim Kochen einen heftigen Schreck ausgestanden habe. Die Feuerflamme habe nämlich das in einer Pfanne befindliche Schmalz entzündet und die Frau sich vor Entsetzen ins Gesicht gegriffen, um dasselbe mit der Hand zu schützen. Ein Vorrecht der in guter Hoffnung sich befindenden Frauen soll darin bestehen, dass solche, wenn sie ein Gelüste nach irgendeiner Frucht bekommen, sie diese aus jedem fremden Garten oder Feld nehmen dürfen, ohne darüber gestraft zu werden. Nur ist die Bedingung daran geknüpft, dass die genommene Frucht auch auf der Stelle verzehrt werde. Nach dem Kinderglauben bringt der Storch die kleinen Kindlein aus dem über dem Neckar sich befindlichen Klingelbrunnen. 

Der erste Ausgang einer Wöchnerin ist ein Gang in die Kirche. Ob diese an sich löbliche Sitte auch immer für die Gesundheit der Wöchnerin zuträglich ist, zumal in kalter Jahreszeit, ist sehr fraglich. Die Taufe findet 8 – 14 Tage nach der Geburt in der Kirche nur bei schwächlichen oder kranken Kindern in den Häusern statt. 

Als Taufpaten erscheinen vor dem 30-Jährigen Krieg fast durchgängig die Glieder der hiesigen Kaltental’schen Herrschaft, oftmals auch die Gattin des Pfarrers, hie und da der Pfarrer selbst, außerdem der Schultheiß und Schulmeister und deren Frauen. Nach dem 30-Jährigen Kriege hörte dies mehr und mehr auf und es traten an deren Stelle sonstige Gemeindeglieder, meist Verwandte der Eltern des Kindes (Täuflings). Die Zahl der Paten bewegt sich zwischen 2 und 6. Nach der Taufhandlung findet gewöhnlich ein Taufschmaus statt, an dem außer den Taufpaten die Großeltern und nähere Verwandte oder Bekannte teilnehmen. In wohlhabenden Familien wird dabei auch der Armen gedacht. 

In früherer Zeit war es ortsüblich, dass Nachbarsfrauen in größerer Anzahl den Taufgang in die Kirche mitgemacht und nachher einen Tauftrunk und Kuchen bekommen haben. Als Geschenke werden silberne Löffel, Gabeln und Messer oder Geld ins Kissen gegeben. Die Namen werden nach den Eltern, Großeltern oder auch Paten gegeben.

Fortsetzung folgt (EP)