Sie hat schon als kleines Kind Fußball gespielt, kickte als Zwölfjährige beim TSV Reichenbach und stand im Auswahlteam des Badischen Fußball-Verbandes. Im November 2020 erfolgte nach einer zunächst harmlosen Verletzung die Diagnose Knochenkrebs im rechten Kniegelenk und die Welt war für die heute 16-jährige Nicola Roos aus dem Ettlinger Stadtteil Spessart auf den Kopf gestellt.

Oberschenkel-Amputation war die einzige Chance

Zuvor war sie von Arzt zu Arzt gegangen, wurde durchgecheckt, anschließend mehrfach operiert, um herauszufinden, was mit ihrem Bein nicht stimmt. Beim dritten Eingriff wird der Chirurg fündig und es folgt zunächst eine Chemotherapie. Das Problem: Durch die Operationen hatten sich die Krebszellen im Bein verteilt. Um zu verhindern, dass sich der Tumor weiter ausbreitet und letztlich den ganzen Körper befällt, war eine Oberschenkel-Amputation die einzige Chance.

„Das war schon krass. Wir waren alle geschockt“, sagt Nicola, „meine Eltern und Geschwister fast noch mehr als ich selbst“. Neben Mama Alexandra und Papa Ralf gehören noch Jonathan (14) und Emilian (12) zur Familie.

Nicola Roos will den Traum vom Fußballspielen nicht aufgeben.

hjo

Nicola Roos will den Traum vom Fußballspielen nicht aufgeben.

Nach der Amputation am 5. Januar 2021 in einer Essener Klinik unternimmt sie erste Gehversuche auf Krücken, dann mit Rollator, später mit einer Prothese. Aufgeben und nie wieder Fußball zu spielen, war für die Rechtsfüßlerin keine Option. „Warum soll ich mit dem Schicksal hadern. Ich habe doch noch mein ganzes Leben vor mir?“.

Erste Gehversuche

Erste Gehversuche mit der neuen Beinprothese sind anstrengend und schmerzhaft, doch Nicola beißt sich durch. Zunächst wird mit den Geschwistern und mit Krücken im Garten gekickt, schließlich steht dort ein Fußballtor. Die junge Frau mit der positiven Ausstrahlung und dem leisen Lächeln, die in Ettlingen das Albertus-Magnus-Gymnasium besucht und im nächsten Jahr das Abitur angeht, sagt sich: „das schaffe ich dann halt mit links“.

Neue Chance durch „Anpfiff Hoffenheim“

Sie erfährt durch einen ebenfalls beinamputierten Patienten in der Reha von „Anpfiff Hoffenheim“, dem Verein für Amputiertensport, und mit „Mama Taxi“ geht es in den Kraichgau zum Training. Die Übungsleiter geben ihr Tipps und Anregungen, um ihre Technik zu verbessern, zumal das Training „ganz schön auf Schultern, Arme und Handgelenke geht“. Aktuell hat sie ihr Interesse am Joggen und Laufen entdeckt.

Nicola Roos und ihre Prohtese

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Die Kosten für die Beinprothese übernahm die Kasse.

Die rund 10.000 Euro teure Sportprothese mit Carponfeder wurden von der Krankenkasse bezahlt. „Meine rund 5 Kilogramm schwere Beinprothese kostete acht Mal soviel“, lässt sie wissen. In der ersten Zeit hatte Nicola noch mit starken Phantomschmerzen zu kämpfen, „doch das hat sich gelegt“.

Herzenswunsch erfüllt

Zwischenzeitlich hatte sich bei ihr der bundesweit tätige Verein „Herzenswünsche“ gemeldet. Dieser erfüllt schwer kranken Kindern und Jugendlichen einen Wunsch, um ihnen damit neuen Mut, Kraft und Freude zu schenken. Nicola, die verrät: „Bei den Frauen mag ich den VFL Wolfsburg, bei den Männern den FC Bayern“, muss nicht lange überlegen, was sie sich wünscht. Im Juni 2022 geht die Reise nach Mönchengladbach zum Länderspiel Deutschland gegen Italien.

Beim Besuch der Deutschen Nationalmannschaft bekam Nicola Roos auch ein Trikot mit Unterschriften.

hjo

Beim Besuch der Deutschen Nationalmannschaft bekam Nicola Roos auch ein Trikot mit Unterschriften.

„Ein tolles Erlebnis und ein 5:2-Sieg“, so Nicola. Im September stand zudem noch eine Fahrt nach Leipzig zum Spiel in der Nations-League gegen Ungarn an, das allerdings mit 0:1 verloren wurde. Kein Drama, denn Nicola war zuvor auch auf dem DFB-Campus in Frankfurt und traf dort neben Oliver Bierhoff auch Bundestrainer Hansi Flick.

„Ein absolutes Highlight“

„Mit Kevin Trapp, Thomas Müller, Jamal Musiala und Joshua Kimmich habe ich mich prima unterhalten. Wir machten Fotos und ich bekam Autogramme. Ein absolutes Highlight, zumal ich am Ende auch ein Trikot mit allen Unterschriften erhielt“. Klar, dass dieses Shirt zuhause in ihrem Zimmer an der Wand hängt.

Nicola Roos vor einem Fußballtor in ihrem Garten

hjo

Nicola Roos spielt gern Fußball.

Wie geht es weiter? Nach dem Abitur wird für sie, die sich gerne mit Freunden trifft und viel Zeit mit der Familie verbringt, der Führerschein anstehen. „Was ich studieren will, steht im Moment noch nicht fest“, sagt Nicola, doch ihre sportlichen Ziele und Wünsche hat sie bereits formuliert.

In Deutschland möchte sie eine Amputierten-Frauenmannschaft entwickeln, „damit ich mit oder gegen andere Mädels und Frauen Fußball spielen kann“. Natürlich ist dann auch der Traum von einer Nationalmannschaft im Kopf. Nicola Roos wird ihren Weg gehen. Auch mit Prothese.

Nicola Roos vor einem Fußballtor in ihrem Garten.

hjo

Dank des Vereins Anpfiff Hoffenheim hat Nicola Roos Unterstützung erfahren.

Zu Anpfiff Hoffenheim

Die meisten Menschen, selbst die mit einer Arm- oder Beinamputation, wissen nicht, dass es einen Verein gibt, der sie nach einem schweren Schicksalsschlag auffängt und ihnen eine Perspektive bietet. „Anpfiff Hoffenheim“ ist ein Verein für Amputiertensport in Hoffenheim, der mit seinen dort tätigen Trainern und Sportwissenschaftlern Sportarten wie Fußball, Sitzvolleyball und Laufen mit Carbonfedern anbietet.

„Unser Angebot gilt Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Ober- oder Unterschenkelamputationen, Armamputationen oder fehlgebildeten Gliedmaßen“, informiert die 26-jährige Michelle Dübon. Zusammen mit ihrer Kollegin Diana Schütz erarbeitet sie Trainingsinhalte und betreut Menschen mit Handicap in der Hoffenheimer Sporthalle. Gerade die teuren Carbonfedern sind für die Laufsportler oft nicht zu stemmen. „Bei uns in Hoffenheim hat man die Möglichkeit, diese auszuprobieren und zu testen, da sie vom Verein gestellt werden“, heißt es und weiter: „Jeder, der bei uns ist, hat seine eigene Geschichte zu erzählen. Die Liebe zum Sport verbindet und hilft jedoch, Schicksalsschläge zu überwinden“.

Amputierten-Fußball bekannter machen

Den Namen Hoffenheim verbinden alle am Fußball interessierten Menschen in erster Linie mit der TSG Hoffenheim, deren Männer und Frauen in der Bundesliga am Start sind. „Wir möchten die Sichtbarkeit unseres Sports verbessern. Amputierten-Fußball sollte eigentlich allen ein Begriff werden“, sagt DFB-B-Lizenz-Inhaber Claus Bender aus Bretten. Der 57-jährige Sportlehrer und Fußballtrainer hatte 2014 die Fußballabteilung der amputierten Sportler aufgebaut und versammelt seine „Multi-Kulti-Truppe“, die teils mehrstündige Anreisen auf sich nimmt und aus allen Ecken Süddeutschlands kommt, stets am Freitagabend in der Hoffenheimer Sporthalle zum Training. Dabei wird auch viel gelacht, geflachst und diskutiert, denn alle eint das große Ziel “weiterhin Fußball zu spielen“.

zwei Füße, ein Fuß auf dem Ball.

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Nicola Roos hadert nicht mit ihrem Schicksal, sondern macht das Beste draus.

gemeinsamhelfen.de

Anpfiff ins Leben – Unterstütze den Amputierten-Sport

Während in Ländern wie England oder der Türkei bereits professioneller Amputierten-Fußball gespielt wird, steckt er hierzulande noch in den Kinderschuhen, wie Claus Bender anführt. Seit 2001 fördert „Anpfiff ins Leben“ junge Menschen in den Bereichen Sport, Schule, Beruf und Soziales und seit 2014 bietet die Organisation in Hoffenheim Amputierten-Fußball an, nimmt eine Vorreiterrolle ein.

Die TSG Hoffenheim unterstützt als Kooperationspartner mit optimalen Trainingsbedingungen durch Sportplätze, Turnhallen und Ausstattung. Im Jahre 2016 war mit „Anpfiff Hoffenheim“ ein eigener Verein gefolgt. Inzwischen gibt es in Deutschland bereits sechs Clubs und vor zwei Jahren entstand eine Bundesliga mit eigenem Logo. Dass Hoffenheim gleich in der ersten Saison die deutsche Meisterschaft gewinnen konnte und Kapitän Florian Fischer die Schale in Händen hielt, ist eine ganz besondere Geschichte. Eine Geschichte, die sich meist abseits der Sonnenseiten des Lebens abspielt, doch ebenso bemerkens- und erwähnenswert ist.

Gemeinsam trainieren

„Natürlich denken wir alle über das 'warum ich?' nach, doch wir müssen und wollen damit leben und das Beste daraus machen“, heißt es durch die Bank. Beim Verein „Anpfiff Hoffenheim“ gilt: „Du möchtest etwas Neues ausprobieren? Dann bist du bei uns genau richtig. Egal ob Anfänger oder bereits ambitionierter Läufer, Fußballer oder Volleyballer, ob Junior oder Senior. Wir trainieren gemeinsam und doch kann jeder eigenständig sein persönliches Ziel verfolgen“.

Zunächst gilt es für Coach Claus Bender, seine Schützlinge fit zu machen für den Saisonstart am 29. April und für die neue Spielrunde.

Trainingszeiten

Die Trainingszeiten in der Sporthalle Hoffenheim, Am Großen Wald, Silbergasse 22 sind für Sitzvolleyball jeden Dienstag und Freitag von 19.30 Uhr bis 21.30 Uhr und Amputierten Fußball jeden Freitag von 19 Uhr bis 21.30 Uhr. Ansprechpartnerin ist Stefanie Wild per E-Mail.