Der Blick geht in die Ferne, wirkt verträumt, ein wenig müde auch, Falten im Gesicht zeugen von vielen Geschichten, schönen wie traurigen, und die Hände von täglicher schwerer Arbeit: „Lebenswerk“ hat Streetart-Künstler Hendrik Beikirch sein monumentales Wandgemälde getauft, das seit 2020 eine Hauswand an der Schwetzinger Mühlenstraße ziert.

Künstler Hendrik Beikirch bei der Arbeit.

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Künstler Hendrik Beikirch bei der Arbeit.

„Lebenswerk“

Lebenswerk, der Titel kommt nicht von ungefähr. Modell stand ihm dafür eine besondere Schwetzingerin. Einige Jahre ist das inzwischen her, doch Ilse Fackel-Kretz wird heute noch darauf angesprochen. „Sie sind doch die Frau von der Wand …“ Die mittlerweile über 90-Jährige ist Mutter, Großmutter und Urgroßmutter. Doch vor allem ist sie wohl das bekannteste Gesicht des Schwetzinger Spargels.

Zeitraffer: So entstand das Kunstwerk in Schwetzingen

Die Augen funkeln etwas mehr, wenn man Ilse Fackel-Kretz in natura trifft. Und ein verschmitztes Lächeln bekommt man als Gesprächspartner doch öfters zu sehen, als den ernsten Blick vom Bild. „Mein Enkel sagte mal, Oma, da muss ich noch viel Spargel stechen, bis ich so ein Bild bekomme“, verriet sie den Reportern vom SWR, als diese Familie Fackel-Kretz porträtierte.

Ilse Fackel-Kretz und Künstler Hendrik Beikirch

Tobias Schwerdt

Ilse Fackel-Kretz und Künstler Hendrik Beikirch

Dynastie

Vier Generationen sind auf dem Hof im Herzen der Stadt vertreten – Ilse Fackel-Kretz hält sie alle zusammen. Gemeinsam mit ihrem Mann Heinrich baute sie den Hof in den 1950ern aus, baute neben Spargel auch Tabak und Zuckerrüben an, hielt Tiere. Inzwischen haben Tochter Elfriede Fackel-Kretz-Keller und ihr Mann Hans-Georg den Betrieb im Nebenerwerb übernommen und konzentrieren sich ganz auf den Spargelanbau. Bei der Ernte packen alle mit an, Töchter, Schwiegersöhne, Enkel, doch „ohne Oma geht nichts“, sagt Tochter Elfriede. Auch mit über 90 lässt Ilse Fackel-Kretz es nicht nehmen, mit auf den Acker zu fahren, Kelle, Spargelstecher und Abziehblech zu schwingen oder im Hof beim Schälen zu helfen. Bis die Familie vor Kurzem eine Spargelschälmaschine anschaffte, auch das natürlich per Hand.

Vier Generationen stehen im Spargelhof Fackel-Kretz-Keller an der Spargelsortiermaschine.

gma

Vier Generationen stehen im Spargelhof Fackel-Kretz-Keller an der Spargelsortiermaschine.

Spargelland

Schwetzingen ist in der Kurpfalz so etwas wie das Zentrum des Spargelanbaus: Auf 25 Hektar Fläche wächst hier im ältesten durchgehend bewirtschafteten Anbaugebiet Deutschlands von Anfang April bis Anfang Juni der Spargel. Eine der bekanntesten Sorten trägt die Stadt im Namen, der „Schwetzinger Meisterschuss“. Folienspargel? Beheizte Felder? Bewässerungssysteme? Fehlanzeige. Die Schwetzinger Landwirte setzen auf klassischen Anbau, ganz wie früher. Und auch in Zeiten von Landmaschinen geht das Ernten des „Weißen Goldes“ hier nur mit harter körperlicher Arbeit. Nicht umsonst sagen die Bauern hier, ihr Gemüse sei deshalb „königlich“, weil sich beim Ernten jeder bücken muss.

Ilse Fackel-Kretz kennt den Spruch natürlich. Und zwar aus einer Zeit, in der Spargelanbau noch weit mehr und härtere Arbeit bedeutete, als es das heute noch tut. Mit der „Schees“, dem Handwagen aus Korbgeflecht und auf Fahrrädern, den Korb hüben und drüben am Lenker, einen weiteren auf dem Gepäckträger, so fuhr man früher aufs Feld, erinnert sie sich. Die Kinder mit dabei, ein Laib Brot und ein Glas Mus im Gepäck wurde der Spargel gestochen.

Spargelmarkt

Damals verdienten sich viele Landwirte mit dem Stangengemüse ein saisonales Zubrot, fast jede Familie hatte einen kleinen Acker, ein „Äckerle“, wie Ilse Fackel-Kretz sagt.  Schon ihre Großmutter hatte einen kleinen. „Die hat mich immer zum Stechen mitgenommen.“ Abends ging es dann in Schwetzingen auf den Schlossplatz, den mühevoll geernteten Ertrag auf dem Spargelmarkt feilbieten. Unter den strengen Augen der Spargelpolizei, die prüfte, ob auch alles seine Ordnung hat. Was nicht verkauft wurde, ging an eine der zahlreichen Konservenfabriken in der Stadt. Als Belohnung gab es dann auch mal Stoff für ein Kleid.

14 Ar, 1400 Quadratmeter, so groß war der durchschnittliche Acker damals. „Man hat nur so viel angebaut, wie man ernten konnte.“ Ohne Erntehelfer natürlich, allenfalls mit einem Knecht. Angehäuft wurden die typischen Spargelhaufen mit der Hacke. Und zwar in Kegelform. Auch die Pflanzen wurden noch mit Spaten und der Hand gesetzt – „wir sind den Acker raufgerutscht“, lacht Ilse Fackel-Kretz. Und wenn die ersten Köpfchen sich zeigten, bekamen sie ein Hütchen aus Zeitung auf, zum Schutz vor der Spargelfliege.

Auf dem Fahrersitz

Der flächenintensive Anbau kam erst mit dem Aufkommen der großen Landmaschinen auf. Erst mit Schlepper und Pflug war es möglich, die charakteristischen Wälle zu ziehen. Auch hier war Ilse Fackel-Kretz sicherlich eine Pionierin: In einer Zeit, als der Führerschein für Frauen in ländlichen Gegenden noch nicht selbstverständlich war, fuhr sie die schweren Landmaschinen durch Schwetzingen. Ein ungewöhnlicher Anblick damals. „Der Fortschritt war einfach enorm.“

Noch heute ist Spargel wegen seiner aufwändigen Anbauweise ein kulinarisches Luxusgut, das war früher auch so. „Meistens gab es den sonntags“, meint Ilse Fackel-Kretz. Ein Arbeiter mit dem Stundenlohn von einer Mark konnte sich das teure Gemüse ohnehin nicht leisten. „Da kann man nicht viel Spargel von essen“, lacht sie. Wenn, dann kam Spargelgemüse und Pfannkuchen oder Spargelsalat auf den Tisch. So wie man ihn heute isst, mit Sauce Hollandaise oder Schinken, kannte man Spargel damals noch nicht.

Ihr Spezialrezept: Spargel im Bierteig. Der Spargel wird geschält, ein wenig angekocht, mit Teig umhüllt und in Fett ausgebacken. Dass der Teig aber hängen bleibt, dafür braucht es einen Trick … aber den verrät sie uns nicht. Geheim bleibt geheim!

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