Mein Herz hämmert. Adrenalin donnert durch meine Adern. Ich stehe am Abgrund – und das in fast 30 Metern Höhe. „Oh, shit!“, rufe ich der über mir fast senkrecht in den knallblauen Schwarzwaldhimmel emporragenden Quarzporphyr-Steilwand vorwurfsvoll entgegen, während mir der Schweiß auf die Lippen tropft.

So, als wäre sie schuld an meiner misslichen Lage.

Seilschaft beim Klettern im Schwarzwald

Dimitri Dell

Marius (weißer Helm) sichert nach unten ab, unser Autor Uli klettert die Felsspalte entlang weiter.

„Ich muss da rauf, Irgendwie!“

In einer weder natürlichen noch bequemen Spreizhaltung stehe ich auf zwei nur wenige Zentimeter großen Felsvorsprüngen und drücke meinen Körper unter Vollspannung an den sonnengewärmten Stein, meine Finger daran festgeklammert wie ein Raubvogel die Krallen in seiner Beute. Der Ausblick ist spektakulär. Genießen kann ich ihn aber nicht. Ich habe Höhenangst, Akrophobie: die Angst, beim Blick in die Tiefe die Kontrolle zu verlieren und herunterzustürzen.

Und jetzt hänge ich hier. Ich bin im Tunnel: Alles kreist um den einen Gedanken: „Ich muss da rauf. Irgendwie!“ Ich konzentriere mich auf die Felswand unmittelbar vor meiner Nase. Weiter, immer weiter. Ich! Muss! Da! Rauf!

„Ich hatte durch das Klettern so viele  prägende Erlebnisse – ich kann gar nicht mehr anders!“ Andreas Schmid, Vorsitzender der Sektion Offenburg des Deutschen Apenvereins (DAV)

Vier Wochen vorher

Im DAV-Kletterzentrum in der Rammersweierstraße treffe ich Andreas ‚Andy‘ Schmid, Vorsitzender der Offenburger Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV) zum ersten Training. Bevor ich in den Fels darf, heißt es erst mal: Crashkurs. Nach zwei Tagen kann ich blind einen Achterknoten binden, was extrem wichtig ist. Denn sollte ich stürzen, muss der mein Gewicht tragen. Auch habe ich gelernt, dass ich mich auf meinen Kletterpartner verlassen muss, wenn es darauf ankommt.

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Unter dem 16 Meter hohen Dach der Kletterhalle hängend, solle ich einfach loslassen, wenn Andy „Jetzt!“ ruft. Ich soll ihm einfach vertrauen. Andy steht unten und sichert mich mit einem Seil. Also klettere ich die Wand nach oben, lasse los – und falle sicher ins Seil. Andy lässt mich herunter. Mulmig ist mir trotzdem. „Man kann sein Gehirn programmieren“, versichert er mir. „Je öfter man fällt und merkt, dass nichts passieren kann, desto sicherer wird man.“

Klettern im Schwarzwald am Eckenfelsen bei Oppenau

Dimitri Dell

Ganz schön hoch, der Felsen!

Das Abenteuer im Schwarzwald beginnt

Es ist heiß, erst neun Uhr, und das Thermometer steigt. Wie die Temperatur, so soll es auch für mich bald raufgehen: auf den Eckenfelsen am Rande des Lierbachtals bei Oppenau im Nationalpark Schwarzwald Nord, eines der traditionsreichsten Klettergebiete nördlich der Alpen. Mit dabei sind Andy, sein Kumpel Marius Schweickhardt und unser Fotograf Dimitri. Marius hat das Klettern eigentlich an den Nagel gehängt. Seine Leidenschaft dafür ist aber nie erloschen.

Heute ist er spontan dabei, um uns zu unterstützen. Guter Mann! In der Ortenau gebe es bekanntere Kletterspots als den Eckenfelsen, erzählt mir Andy. Aber gerade das mache den besonderen Reiz aus. Er sei noch immer ein Geheimtipp, auch wenn immer mehr Leute den Weg hierher fänden.

Zwei Männer klettern im Schwarzwald und haben den Aufstieg geschafft

Dimitri Dell

Geschafft! Die Freude ist groß, wenn die Seilschaft oben angekommen ist.

Der Weg geht über die Freundschaft

Nach einem knapp 15-minütigen Fußmarsch über einen unbefestigten Waldweg erreichen wir unser Ziel: den Eckenfelsen, ein knappes Dutzend aneinandergereihter, einzelner Gesteinsbrocken, die sich von der Abendsonne effektvoll in Szene gesetzt majestätisch aus dem dichten Wald erheben. Ihr Anblick ist atemberaubend, weil vollkommen unerwartet. Über die Jahrzehnte hinweg haben Kletterer das Massiv in zehn Sektoren eingeteilt. Es gibt mehr als 100 Routen. Sie tragen Namen wie Roter Hugo oder Himmelsleiter. Andy möchte mit mir einen Klassiker in Angriff nehmen: die Freundschaft im östlichen Bereich des Massivs.

Über einen steilen Trampelpfad laufen wir erst mal nach oben. Andy stellt sich völlig unbekümmert an die Felskante. Unter ihm: 50 Meter Abgrund. Ich traue mich kaum, herunterzuschauen. Wieder unten angekommen, steigt die Nervosität. Kletterschuhe und Gurt an, Helm auf. Das Seil mit einem Achterknoten am Hüftgurt befestigen. Partnercheck mit Marius. Andy gleitet trotz seiner kräftigen Statur die Wand derweil elegant und zügig nach oben. Ich nehme einen letzten Schluck aus der Pulle und steige hinterher, Marius sichert mich nach unten ab.

Klettern am Eckenfelsen im Schwarzwald

Dimitri Dell

Oben genießt man den herrlichen Schwarzwald-Blick.

Ich bin überrascht, welch guten Halt man am schroffen Gestein findet. Schon nach wenigen Metern scheine ich immer mehr mit ihm zu verschmelzen – bis zur Crux, der schwersten Stelle der Route. Meistere ich sie, wird der Rest ein Klacks, hat mir Andy prophezeit. Doch um nicht in der tiefen, nach oben zusammenlaufenden Felsspalte stecken zu bleiben, muss ich einen weiten Spreizschritt nach rechts machen und mich dann hinüberhieven. Andy hat es mir vorgemacht.

Ich aber stecke im Fels fest. Intuitiv sucht meine linke Hand nach neuem Halt, findet aber keinen – minutenlang. Dann ein Stich. Krampf im Gesäßmuskel. Ich hebe mein Bein, um es zu lockern, stehe jetzt nur noch auf der Innenseite meines rechten Fußballens und spüre plötzlich wie die Kraft in meinen Fingern schwindet. Unter mir der Abgrund. Ich werde panisch, taste hektisch den Fels ab. Oh, no! Ich falle. Gleich passiert es. „Ojeeeee!“

Klettern am Eckenfelsen in Oppenau im Schwarzwald

Dimtri Dell

Kraft, Technik und Psyche bilden den Kletter-Dreiklang. Die Angst vor dem Sturz schützt vor Leichtsinn.

Ein Mann will nach oben

Aber, welch Wunder, ich falle nicht, sondern schaffe es, mich irgendwie aus meiner starren Haltung zu lösen, und ziehe mich über eine Wölbung hinweg auf die andere Seite der Felsspalte. Geschafft! Ich kraxle zu Andy, der auf einem kleinen Vorsprung wartet, um Marius und mich mit einem neuen Seil zu sichern. Während die beiden scherzen und die Aussicht genießen, will ich es jetzt nur noch zu Ende bringen.

Nach oben! Und dann nie mehr! Mein Herz rast. Mit dem Gesicht stehe ich zum Fels. Die Zeit scheint still zu stehen. Unter uns ruht der Schwarzwald in der goldenen Abendsonne. „Schau jetzt ja nicht nach unten“, denke ich und bin heilfroh, als es endlich weitergeht.

Klettern im Schwarzwald: Immer weiter nach oben

Klettern – das ist ein Drittel Kraft, ein Drittel Technik und ein Drittel Psyche. Die Angst vor dem Sturz muss man dabei gar nicht überwinden. Denn sie schützt vor Leichtsinn. Durch regelmäßiges Training aber kann man sie in den Griff bekommen. Mehr zum Thema: www.alpenverein.de

Den Rest der Strecke spurte ich wie vom Teufel gejagt nach oben. So kommt es mir zumindest vor. Ich greife Fels, Wurzeln, Eisenhaken, was immer mir zwischen die Finger kommt. Ich will nur noch eins: hoch – und kann es kaum glauben, als ich nach gut einer Stunde tatsächlich dort oben bin, wo ich mich am Anfang kaum getraut habe, hinunterzuschauen.

„JAAAA!!!“, schreie ich meine Anspannung heraus, falle im Endorphinrausch meinem Seilpartner in die Arme. Warum Andy gerade die Freundschaft als Route vorschlug, jetzt weiß ich es.

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