Manchmal antwortet Pavel Miguel nicht auf E-Mails. Da hatte ihm ein René Rietmeyer geschrieben, dass er auf der Biennale in Venedig 2024 eingeladen sei. „Was für ein Witz“, dachte sich der Künstler aus Pfinztal-Berghausen und vergaß die Sache.
René Rietmeyer vergaß sie nicht. Zum Glück für Pavel Miguel und vielleicht ein bisschen auch für Berghausen. Denn René Rietmeyer ist ein Vorstandsmitglied beim Europäischen Cultur Centrum in Venedig. Er hatte im Internet zufällig „Himmel und Hölle“ von Pavel Miguel entdeckt. Irgendwann rief er an. „Deine Figur passt gut zum Thema ‚Antikriegswerke‘ auf der Biennale, und wenn du sie dort zeigen willst, musst du dich jetzt beeilen“, habe er gesagt. Nun, Pavel Miguel aus Berghausen stellt also in diesem Jahr seine Arbeit, die Pietà „Himmel und Hölle“, auf der zweijährlichen, internationalen Kunstausstellung, Biennale, in Venedig aus.
Sinnbild für Gier
„Eigentlich bildet ‚Himmel und Hölle‘ zusammen mit ‚Sisyphus‘, der als Sinnbild für Gier einen Einkaufswagen eine schiefe Ebene hochdrückt, und mit dem ‚stummen Mann‘, dessen Mund als Resignation zugenietet ist, ein Triptychon“, sagt Pavel Miguel. „Aber die beiden anderen wollten sie nicht, sie waren zu groß. Er lacht.
270 Zentimeter ist die Plastik „Himmel und Hölle“ hoch, 220 Zentimeter breit und 140 Zentimeter tief. Pavel Miguel hat sie um ein Metallgestell mit Marmorpulver und Harz gestaltet. Sie zeigt eine Szene, die der berühmten Pietà von Michelangelo im Petersdom in Rom nachempfunden ist. Eine völlig in Weiß gehaltene Frau sitzt auf einer echten Munitionskiste und hält einen toten Soldaten, so, wie Maria mit ihren Sohn Jesus dargestellt wird. Sind es auch hier Maria und Jesus? Mutter und Sohn? Ist es eine Frau, die einen toten Soldaten im Schoß bettet? Ist es das Leben schlechthin in Gestalt einer Lebensgebärerin, die um alle Kriegstoten der Welt trauert? Die Berichterstatterin neigt dazu, das ganz Große darin zu sehen.
Für Pavel ist es Maria, die Mutter schlechthin. Das Weiß ihrer Tunika und ihres Schleiers steht in krassem Kontrast zur dunklen Militäruniform des Soldaten, so, wie Barmherzigkeit und Pflicht, Licht und Dunkelheit, Liebe und Tod hier Gegensätze bilden. Der Soldat ersetzt Jesus.
Eine Hommage an Michelangelo
„Es ist eine Antikriegsbotschaft und eine Hommage an Michelangelo“, sagt Pavel Miguel. „Jeder Bildhauer ist ein Schüler von Michelangelo.“ Er lacht, wie er überhaupt viel lacht, obwohl, so habe ihm ein berühmter Kollege gesagt, es die lachenden Künstler in Deutschland schwer hätten.
Es sei sehr wichtig, in dieser Zeit so etwas zu zeigen, ergänzt er. Er bedaure, dass viele Kunstwerke heute nur dekorativ und ohne Botschaft und Bedeutung seien. „Diese Figur hat eine Wirkung“, sagt er. Stimmt. Sie irritiert, überwältigt, macht ratlos, erdrückt, erschüttert: Wenn es so ist, was dann?
Besonders viel Zeit habe er auf den Kopf der Mutter verwendet, so Pavel Miguel weiter. Die Uniform, da übergroß, habe er selbst genäht, die Stiefel selbst geschustert.
Zur Person
Pavel Miguel ist 1962 in Cienfuegos in Kuba geboren und dort aufgewachsen. Er hat zuerst an der Universität in Havanna Sport und Physische Kultur studiert, danach absolvierte er ein Kunststudium an der Cienfuegos Kunstschule. „Ich mache noch heute viel Sport“, sagt er und lacht, „und ich arbeite viel. Eigentlich mache ich immer was.“
Bereits in Kuba wurde er Mitglied in einen Schriftsteller-Verein, auch in Deutschland hat er sich einer entsprechenden Organisation angeschlossen. „Für mich ist die Literatur und Philosophie die Grundlage von allem“, sagt er. Auch deshalb hat er acht Literatenköpfe aus Bronze geschaffen, die unmittelbar aus Wurzeln zu wachsen scheinen.
1998 kam Pavel Miguel nach Karlsruhe. „Meine Arbeiten haben in Kuba einem Vertreter eines deutschen Verlags so gut gefallen, dass ich über ihn letztendlich als Gastkünstler in die Majolika eingeladen wurde“, berichtet er. In Karlsruhe geblieben ist er, weil er inzwischen viele Freunde hat. Dazu kommt, dass er, wie er sagt, gemerkt habt, dass er nicht so weit weg ist von der Heimat Herrmann Hesses [Calw, d.Red.] und von seinem Geist.
Viel Wirken in Grötzingen und Durlach
Er wohnte in der Innenstadt und in Grötzingen. Seit 2006 bewohnt in Berghausen nahe der Gemarkungsgrenze zu Grötzingen in einem kleinen Haus mit großem Grundstück, von dem schon von weitem allerlei Plastiken grüßen. 2015 war er in Durlach besonders aktiv: Zusammen mit anderen Künstlern gründete er die Produzentengalerie zettzwo in der Zunftstraße.
Er malt, bildhauert, gestaltet Aktionskunst. „Ich mache eigentlich alles, auch Grabsteine“, sagt er und lacht. Die Berichterstatterin glaubt ihm das sofort. Zum einen ist das Tempo, mit dem er spricht und ihr freundlich, zugewandt und offen dies und das und jenes in seinem Atelier und auf seinem Grundstück zeigt, ziemlich hoch. Zum anderen stehen dort so viele Werke, die nur entstanden sein können, wenn jemand mehr oder weniger ständig arbeitet.
In der Umgebung ist er als Künstler bekannt. Neulich habe im Supermarkt eine Mutter zu ihrem Kind gesagt „Guck mal, das ist der Pavel, der geht nach Venedig“, lacht er. Zu erkennen ist der Künstler leicht: Er trägt normalerweise ein rotes Kopftuch, „nun mein Markenzeichen, ein Relikt aus einer Piratenarbeit mit Kindern“, auf der eine Brille steckt.
Der Künstler strahlt: Seine Skulptur „Zwischen Himmel und Hölle“ lädt viele Besucher zu einer interessierten und oft auch nachdenklichen Betrachtung ein. Die überlebensgroße Pietà mit dem toten Soldaten im Schoß steht im Marinaressa Garten nahe beim Biennale-Gelände im Stadtteil Castello in Venedig.
Dort findet die Freiland-Ausstellung „Personal Structures“ vom Europäischen Kultur Zentrum (ECC) statt. „Ah, Sie haben das gemacht?“, wird Pavel Miguel aus Pfinztal-Berghausen, der an den Eröffnungstagen vor Ort ist, immer wieder anerkennend gefragt. „Wow, so cool – I love it“, sagt eine junge Frau. „Der Krieg ist leider die Sprache des Menschen“, kommentiert ein Rentner das Kunstwerk gegen den Krieg.
Herausforderung war der Transport nach Venedig
„Es war gar nicht so einfach, die Figur hierher zu bringen“, berichtet Pavel Miguel. Immerhin wiegt die Pietà an die 200 Kilogramm. Da ihm Speditionsfirmen viel zu teuer gewesen wären, entschied er sich für einen Kleintransporteur mit einem Anhänger.
Mitte April 2024 wurde die Pietà in Berghausen aufgeladen. Dazu musste sie auf Paletten auf den Rücken gelegt und mit einem Holzgestell und einer Plane eingehaust werden „So viele Leute aus der Nachbarschaft haben mir geholfen“, erinnert sich Pavel Miguel. „Das war toll.“
Kindheitserinnerungen und viele fleißige Helfer
„Es war ein gutes Gefühl, wie wenn man ein Kind zur Schule bringt“, berichtet er von der Fahrt. Besonders der letzte Teil der Reise habe ihn sehr berührt. „Sie musste ja auf ein Schiff“, so Pavel Miguel. „Das hat mich daran erinnert, wie wir als Kinder auf Kuba mit Booten zum Angeln gefahren sind.“ Vor dem Marinaressa Garten wurde sie wieder an Land gebracht. „Und dann hat sie nicht durch das Gartentor gepasst!“, berichtet er.
600 Euro sollte es kosten, sie mit einem Kran in den Garten heben zu lassen. „Aber das kam nicht in Frage“, empört sich Pavel Miguel noch im Nachhinein. „Ich wollte nicht noch mehr Geld ausgeben, und ich dachte, wenn das zuhause mit vielen Menschen gut geklappt hat, dann muss es doch auch hier gehen.“ Und es ging. Viele halfen dabei, die Figur auf die Schmalseite zu drehen, und sie konnte „gerade passend“, so der Künstler, durchs Tor geschoben werden. „Alle sind so liebevoll mit ihr umgegangen“, erinnert er sich dankbar.
Vertrauen in die Kunst
Vom Kunstbetrieb zur Biennale in Venedig ist er beeindruckt. „Hier kann man Vertrauen in die Kunst bekommen“, sagt er. „Es ist eine Bestätigung, dass man in die richtige Richtung arbeitet.“ Schnell und nebenher macht er kleine Skizzen, die er an Menschen, die ihm geholfen haben, verschenkt.
Besonders dankbar ist er Rene Rietmeyer vom ECC, der ihn zur Ausstellung eingeladen hat. „Wir brauchen diese Verrückten“, sagt der Kurator, „diese Künstler, die in nichts passen. Das macht es lebendig.“ Ein Künstler werde von seinem Werk repräsentiert. Deshalb überlasse er es im Wesentlichen auch den Künstlern, welches ihrer Werke sie ausstellen wollten. Wenn man an einen Künstler glaube, dann höre man auch auf dessen Stimme. „Ich habe zum Glück die Freiheit, Künstler auszustellen, an die ich wirklich glaube“, sagt Rene Rietmeyer.
Zu diesen Künstlern gehört auch Yoko Ono: Keine 20 Meter entfernt von „Zwischen Himmel und Hölle“ ist ihre Installation Invisible Flags, englisch für „unsichtbare Flaggen“ angebracht: Einfache, leere, und damit übernationale, Fahnenmasten ragen, vielleicht aus der Hölle?, als Mahnung gegen den Krieg in den Himmel.
Sein Werk “Himmel und Hölle” wird vom 20. April bis 24. November 2024 auf der Biennale in Venedig ausgestellt sein. Weitere Infos zum Künstler gibt es hier.