Manchmal antwortet Pavel Miguel nicht auf E-Mails. Da hatte ihm ein René Rietmeyer geschrieben, dass er auf der Biennale in Venedig 2024 eingeladen sei. „Was für ein Witz“, dachte sich der Künstler aus Pfinztal-Berghausen und vergaß die Sache.

Skulptur Himmel und Hölle

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Pavel Miguel hat seine Figur „Himmel und Hölle“ zum ersten Mal im Juni 2023in der Orgelfabrik bei einer Ausstellung Künstler*innen aus der Galerie zettzwo gezeigt.

René Rietmeyer vergaß sie nicht. Zum Glück für Pavel Miguel und vielleicht ein bisschen auch für Berghausen. Denn René Rietmeyer ist ein Vorstandsmitglied beim Europäischen Cultur Centrum in Venedig. Er hatte im Internet zufällig „Himmel und Hölle“ von Pavel Miguel entdeckt. Irgendwann rief er an. „Deine Figur passt gut zum Thema ‚Antikriegswerke‘ auf der Biennale, und wenn du sie dort zeigen willst, musst du dich jetzt beeilen“, habe er gesagt. Nun, Pavel Miguel aus Berghausen stellt also in diesem Jahr seine Arbeit, die Pietà „Himmel und Hölle“, auf der zweijährlichen, internationalen Kunstausstellung, Biennale, in Venedig aus.

Sinnbild für Gier

„Eigentlich bildet ‚Himmel und Hölle‘ zusammen mit ‚Sisyphus‘, der als Sinnbild für Gier einen Einkaufswagen eine schiefe Ebene hochdrückt, und mit dem ‚stummen Mann‘, dessen Mund als Resignation zugenietet ist, ein Triptychon“, sagt Pavel Miguel. „Aber die beiden anderen wollten sie nicht, sie waren zu groß. Er lacht.

Sisyphus

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Die Pieta „Himmel und Hölle“ bildet zusammen mit „Sisyphus“, der als Sinnbild für Gier einen Einkaufswagen eine schiefe Ebene hochdrückt, und mit dem „stummen Mann“, dessen Mund als Resignation zugenietet ist, ein Triptychon.

270 Zentimeter ist die Plastik „Himmel und Hölle“ hoch, 220 Zentimeter breit und 140 Zentimeter tief. Pavel Miguel hat sie um ein Metallgestell mit Marmorpulver und Harz gestaltet. Sie zeigt eine Szene, die der berühmten Pietà von Michelangelo im Petersdom in Rom nachempfunden ist. Eine völlig in Weiß gehaltene Frau sitzt auf einer echten Munitionskiste und hält einen toten Soldaten, so, wie Maria mit ihren Sohn Jesus dargestellt wird. Sind es auch hier Maria und Jesus? Mutter und Sohn? Ist es eine Frau, die einen toten Soldaten im Schoß bettet? Ist es das Leben schlechthin in Gestalt einer Lebensgebärerin, die um alle Kriegstoten der Welt trauert? Die Berichterstatterin neigt dazu, das ganz Große darin zu sehen.

Für Pavel ist es Maria, die Mutter schlechthin. Das Weiß ihrer Tunika und ihres Schleiers steht in krassem Kontrast zur dunklen Militäruniform des Soldaten, so, wie Barmherzigkeit und Pflicht, Licht und Dunkelheit, Liebe und Tod hier Gegensätze bilden. Der Soldat ersetzt Jesus.

Eine Hommage an Michelangelo

„Es ist eine Antikriegsbotschaft und eine Hommage an Michelangelo“, sagt Pavel Miguel. „Jeder Bildhauer ist ein Schüler von Michelangelo.“ Er lacht, wie er überhaupt viel lacht, obwohl, so habe ihm ein berühmter Kollege gesagt, es die lachenden Künstler in Deutschland schwer hätten.

Es sei sehr wichtig, in dieser Zeit so etwas zu zeigen, ergänzt er. Er bedaure, dass viele Kunstwerke heute nur dekorativ und ohne Botschaft und Bedeutung seien. „Diese Figur hat eine Wirkung“, sagt er. Stimmt. Sie irritiert, überwältigt, macht ratlos, erdrückt, erschüttert: Wenn es so ist, was dann?

Pavel Miguel mit Entwürfen zur Pietà

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In vielen Entwürfen und Malereien hat sich Pavel Miguel seiner Pietà genähert.

Besonders viel Zeit habe er auf den Kopf der Mutter verwendet, so Pavel Miguel weiter. Die Uniform, da übergroß, habe er selbst genäht, die Stiefel selbst geschustert.

Zur Person

Pavel Miguel ist 1962 in Cienfuegos in Kuba geboren und dort aufgewachsen. Er hat zuerst an der Universität in Havanna Sport und Physische Kultur studiert, danach absolvierte er ein Kunststudium an der Cienfuegos Kunstschule. „Ich mache noch heute viel Sport“, sagt er und lacht, „und ich arbeite viel. Eigentlich mache ich immer was.“

Bereits in Kuba wurde er Mitglied in einen Schriftsteller-Verein, auch in Deutschland hat er sich einer entsprechenden Organisation angeschlossen. „Für mich ist die Literatur und Philosophie die Grundlage von allem“, sagt er. Auch deshalb hat er acht Literatenköpfe aus Bronze geschaffen, die unmittelbar aus Wurzeln zu wachsen scheinen.

Plastik „Scheiß Krieg“

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Auch mit der Plastik „Scheiß Krieg“ positioniert sich Pavel Miguel gegen den Krieg.

1998 kam Pavel Miguel nach Karlsruhe. „Meine Arbeiten haben in Kuba einem Vertreter eines deutschen Verlags so gut gefallen, dass ich über ihn letztendlich als Gastkünstler in die Majolika eingeladen wurde“, berichtet er. In Karlsruhe geblieben ist er, weil er inzwischen viele Freunde hat. Dazu kommt, dass er, wie er sagt, gemerkt habt, dass er nicht so weit weg ist von der Heimat Herrmann Hesses [Calw, d.Red.] und von seinem Geist.

Viel Wirken in Grötzingen und Durlach

Er wohnte in der Innenstadt und in Grötzingen. Seit 2006 bewohnt in Berghausen nahe der Gemarkungsgrenze zu Grötzingen in einem kleinen Haus mit großem Grundstück, von dem schon von weitem allerlei Plastiken grüßen. 2015 war er in Durlach besonders aktiv: Zusammen mit anderen Künstlern gründete er die Produzentengalerie zettzwo in der Zunftstraße.

Er malt, bildhauert, gestaltet Aktionskunst. „Ich mache eigentlich alles, auch Grabsteine“, sagt er und lacht. Die Berichterstatterin glaubt ihm das sofort. Zum einen ist das Tempo, mit dem er spricht und ihr freundlich, zugewandt und offen dies und das und jenes in seinem Atelier und auf seinem Grundstück zeigt, ziemlich hoch. Zum anderen stehen dort so viele Werke, die nur entstanden sein können, wenn jemand mehr oder weniger ständig arbeitet.

Pavel Miguel arbeitet an der Skulptur „After War“

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Derzeit arbeitet Pavel Miguel, unter anderem!, an der Skulptur „After War“.

In der Umgebung ist er als Künstler bekannt. Neulich habe im Supermarkt eine Mutter zu ihrem Kind gesagt „Guck mal, das ist der Pavel, der geht nach Venedig“, lacht er. Zu erkennen ist der Künstler leicht: Er trägt normalerweise ein rotes Kopftuch, „nun mein Markenzeichen, ein Relikt aus einer Piratenarbeit mit Kindern“, auf der eine Brille steckt.

Wie kommt die Skulptur nach Venedig?

Derzeit gibt es nun gerade noch mehr zu tun. Es ist so viel, dass der entworfene überlebensgroßen Prometheus, der anstelle der Leber eine Erdkugel im Körper trägt und vom Raben Kapitalismus aufgefressen wird, noch auf seine Entstehung warten muss. Denn der Anruf von René Rietmeyer hat große Folgen. „Ich darf ausstellen, muss allerdings den Transport selbst organisieren“, sagt er. „Nachdem ich dann wusste, dass es stimmt, habe ich sofort angefangen, Sponsoren zu suchen, „an viele Türen geklopft“. Die Gemeinde Pfinztal habe ihn sehr unterstützt. Und er muss den Text für den Ausstellungskatalog schreiben. Und Kontakte in alle Richtungen knüpfen. Und die Umstände der Eröffnung, des Ausstellungsplatzes und eben des Transports recherchieren...

Denn immerhin muss die 200 Kilogramm schwere Pietà irgendwie in den Hafen von Venedig und dann aufs Schiff gelangen, um an ihren Standort zu den anderen Antikriegswerken auf der Biennale gebracht zu werden. Vorgesehen sei, so Pavel Miguel, dass er neben der künstlerischen Arbeit von Yoko Ono ausstelle. Die Künstlerin habe Särge geschaffen, aus denen Pflanzen wachsen.

Video: Pavel Miguel bei der Arbeit

Nun muss also eine Spedition gefunden werden. Oder vielleicht nur ein geeigneter Anhänger? „Ich überlege, ob ich die Peità selbst fahre“, sagt Pavel Miguel. „Zu viert können wir sie gut auf- und abladen.“ Das hat er nämlich schon mal gemacht: Ihre Ur-Vernissage hatte „Himmel und Hölle“ von Pavel Miguel im Juni 2023 bei der Ausstellung Nonett mit Zett-Zwo in der Durlacher OrgelFabrikHalle.

Sein Werk “Himmel und Hölle” wird vom 20. April bis 24. November 2024 auf der Biennale in Venedig ausgestellt sein. Weitere Infos zum Künstler gibt es hier.