Andere Mädchen träumten von Ponys, die kleine Stefanie aus Bad Waldsee wünschte sich eine Ziege zur Kommunion. Damit begann vor rund 35 Jahren eine fast märchenhafte Geschichte: von ­Familie Wolf und ihren mehr als sieben Geißlein …

Stefanie Wolf hat gerade den ebenen Teil einer Weide betreten. Nach einem lauten Pfiff ist die fünffache Mutter im Nu umringt von Leitziege Mia und rund drei Dutzend weiteren Tieren. Sie drängen sich zuerst um den Eimer mit trockenem Brot, den sie in der Hand hält. Danach steuern die Vierbeiner zielstrebig die 14 Hände der Familie an, denn die können ganz wunderbar hinter Ohren, am Hals oder an einer anderen individuellen Lieblingsstelle kraulen.

Stefanie Wolf beim Gesundheitscheck mit einer ihrer Ziegen

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Kontrolle mit Kuschelfaktor: Mutter Stefanie und Dorina beim Gesundheitscheck.

Zusammen mit den Kindern und ihrem Mann Alfons will Stefanie an diesem Nachmittag den mobilen Weidezaun versetzen, vom abgegrasten Teil eines Hügels zu einem mit hohem Gras, damit die Ziegen wieder frisches Futter haben. Zudem werden alle Tiere der rund 60-köpfigen Herde einem Gesundheitscheck unterzogen.

Schmusen ist angesagt

Gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Dorina (9) macht die Ziegenfachfrau gerade einen solchen bei einer dunklen Ziege. Nach einer Schmuseeinheit bei Mutter und Tochter springt diese munter davon. Ein paar Schritte weiter drückt sich ein kleines, braun-weißes Tier mit geschlossenen Augen an die 19-jährige Madleen, die am Boden kniet und den Vierbeiner offensichtlich ganz nach dessen Geschmack liebkost. Auch Elena (17), Loreen (16), Adrian (13) und Papa Alfons Kohlmeier-Wolf (56) mustern und kraulen die Tiere, mit Kennerblick und Hingabe.

Elena und Loreen Wolf schmusen mit ihren Ziegen

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Ein Herz und eine Seele: Elena und Loreen mit ihren Ziegen.

„Nicht ohne meine Goißis“

„Das ganze Spektakel“ habe mit dem ungewöhnlichen Kommunionsgeschenk angefangen, verrät Stefanie und deutet mit weit ausholender Geste auf die Ziegenherde und ihre Familie. Mit „Spektakel“ ist nicht nur familieneigene Ziegenbegeisterung gemeint. Auch das Geschäftsmodell „Rent a Goiß“ und eine Menge Erlebnisse mit den meckernden Vierbeinern, den sieben Eseln und dem Pferdepensionsbetrieb zählen dazu.

Kurz nach der Kommunion war die heute 45-Jährige in den Züchterverband eingetreten. Ihre erste Burenziege kaufte sie sich etwas später vom gesparten Taschengeld. Vorsichtshalber verschwieg sie ihrem Vater, wie viel sie bezahlt hatte. Seither ist sie der südafrikanischen Ziegenrasse treu; genau wie dem heimatlichen Hof in Mittelurbach, in dem schon ihre erste „Goiß“ gemeckert hat. Eines machte die selbstbewusste Oberschwäbin ihrem Zukünftigen aus Niederbayern nämlich gleich nach dem Kennenlernen klar: „Ohne meine Goißis gibt’s mich nicht.“

Alfons Wolf gibt seinen Ziegen Leckerlis

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Während Vater Alfons Leckerli verteilt...

Mit ihren Kindern, deren Fragen und Trauer, wenn Tiere in die Wurst kamen, änderte sich ihre Haltung zur Schlachtung. „Das Weinen und die Traurigkeit muss man erst mal aushalten können.“ Zumal auch ihr jedes Ziegenkitz ans Herz wächst. Zudem hat Stefanie Wolf in ihrer biozertifizierten Ziegenhaltung weitere Prinzipien: kein Anbinden, kein Enthörnen und keine Kastration. „Es musste also eine Idee her, was mit der stetig wachsenden Herde passieren sollte“, fährt sie fort.

Anruf klang wie ein Märchen

Aus diesem Grund entstand eine durchdachte, systematische Zucht. Und die Burenziegen aus dem Wolf’schen Stall sind gefragt. Dennoch klang der Anruf aus einem asiatischen Königshaus zunächst wie ein Märchen. „Ein Mitarbeiter der Adelsfamilie wollte 20 Ziegen bei mir bestellen“, erinnert sie sich lachend. Nach vielen Behördengängen wurden die Tiere aus Mittelurbach tatsächlich in ihre neue asiatische Heimat ausgeflogen.

Doreen und Adrian Wolf beim Wasserfass auf der Weide

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... überprüfen Dorina und Adrian den Wasserstand im Tränkefass.

Gras fressen natürlich …

Da ein solcher Anruf nicht an der Tagesordnung ist, entstand aus einer Bierlaune und dem Geistesblitz von Alfons Kohlmeier-Wolf heraus eine weitere Erfolgsgeschichte. „Wir saßen zusammen und überlegten“, so erinnert sich die 45-Jährige, wozu die meckernden Vierbeiner noch gut waren, außer zum Schmusen, Herumtollen und mit den Kindern Kunststückchen zu machen. Zum Grasfressen natürlich. So entstand „Rent a Goiß“, was im Mix aus Englisch und Schwäbisch so viel bedeutet wie „Miete eine Ziege“. Die Idee wurde 2017 mit dem Baden-Württembergischen Kulturlandschaftspreis ausgezeichnet und fand auch in anderen Bundesländern Nachahmer.

Ideale Helfer

„Ziegen eignen sich hervorragend für die Landschaftspflege. Durch ihr Fressverhalten sind sie ideale Helfer, um zum Beispiel einer Verbuschung entgegenzuwirken“, erklärt die Geißen-Vermieterin. Neben Kräutern, Gräsern und Zweigen fressen Ziegen auch Pflanzen, die andere Weidetiere stehen lassen. Durch ihr geringes Gewicht sind Ziegen auch ideal für unzugängliche Hanggrundstücke oder für ökologisch betreute Flächen, die nicht mit Maschinen bearbeitet werden dürfen. Da bei Burenziegen zudem der typische Ziegengeruch fehlt, lassen sich die Tiere auch zusammen mit Böcken in der Nähe von Wohngebieten einsetzen.

Madleen Wolf schmust mit einer Ziege

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Ob Schmusen oder Schuften: Mit Leidenschaft sind Madleen und ihre Geschwister im familieneigenen Ziegenprojekt bei der Sache.

… die Ziegen-Räuberleiter

Größere Flächen teilen sie aus Erfahrung in Portionsweiden ein, die nach und nach abgegrast werden. Wobei Abgrasen zu kurz greift: Die Wolf’schen Ziegen fressen auch Büsche, Sträucher und Baumrinde. „Durch ihre gespaltene Oberlippe können sie sogar dornige Schlehen oder Weißdorn abfressen. So schälen sie Sträucher und Baumstämme und können sie dadurch zum Absterben bringen“, erklärt Stefanie Wolf. Wo das nicht erwünscht ist, etwa auf Streuobstwiesen, werden die Bäume sicherheitshalber in einen Mantel aus verbissfestem Material eingepackt.

Geschwister Wolf beim Zaunsetzen für ihre Ziegen

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Die Geschwister beim Zaunsetzen.

Als typischer Laubfresser bedienen sich die Tiere zudem gern an belaubten Ästen und zwar auch in größerer Höhe. Wie sie das hinbekommen? Ganz einfach: Indem sie sich auf die Hinterbeine stellen. Reicht diese Methode nicht aus, „dann klettern einfach drei aufeinander“, erklärt die Ziegenvermieterin. Gerade diese Intelligenz fordert unter anderem mehr Aufwand bei der Beweidung als zum Beispiel mit Schafen.

Dass Leitziege Mia und die gesamte gehörnte Bande ebenso clever wie anhänglich sind, tut der Ziegenverrücktheit der Familie keinen Abbruch. Die geht mitunter so weit, dass die siebenköpfige Familie ihren Urlaub mit Wohnmobil dazu nutzt, verkaufte Ziegen in ihre neue Heimat zu begleiten.

Meckern und ­Mähen mit Auftrag

Sie haben ein unzugängliches Stück Land zu pflegen? Pro Tag und Tier verlangt Familie Wolf 1,75 Euro. Darin enthalten sind die Kosten für Transport, Aufbau- und Abbau der Zäune, tägliche Kon­trollfahrten, Baumschutzmaßnahmen und Versicherung.

Mehr zu Rent a Goiss unter www.rent-a-goiss.com.