Hier führen die Frauen Regie: Eine Arbeitsgemeinschaft im Schloss Unterboihingen.
Ein Leben zwischen Eventmanagement und Kunst
Wer in Wendlingen die Bahnhofstraße entlang in den Ortsteil Unterboihingen fährt, ahnt nicht, was ihn am Ende der Straße erwartet. Hinter hohen Mauern mit schmiedeeisernem Eingangstor verbirgt sich ein kleiner Schatz: Das Schloss und Wohnhaus der Familie Thumb von Neuburg und dazugehörend das Bandhaus, ein bezaubernder Veranstaltungsort (zu Neudeutsch: Eventlocation).
Betrieben wird er von Mutter und Tochter: Marisa und Rebecca Thumb von Neuburg.
Die Familie gehörte früher zu den mächtigen Adelsgeschlechtern im Ländle. Aus Vorarlberg und Graubünden kommend, gelangte 1382 durch Heirat Köngen in ihren Besitz, wo sie sich um 1430 niederließen. Zug um Zug erweiterten die Reichsritter ihre Herrschaft und die Oberhäupter des Hauses waren von 1507 bis 1918 Erbmarschälle der Herzöge und schließlich der Könige von Württemberg.
Finanziell hatten sie ein weniger glückliches Händchen, so mussten sie trotz des hohen Amtes im 17. und 18. Jahrhundert unter anderem das Köngener Schloss verkaufen und siedelten stattdessen nach Unterboihingen um. Heute gehört ihnen außerdem das Hofgut Hammetweil beim Verlagssitz Altenriet mit dem Golfplatz.
Um das Gestüt, den landwirtschaftlichen Betrieb und den Waldbesitz kümmert sich Hans-Jörg Thumb von Neuburg, der Golfplatz ist verpachtet. Seine jüngste Tochter, Beatrice, scheint in seine Fußstapfen treten zu wollen; sie studiert Landwirtschaft. Die mittlere Tochter, Diana, dreimalige deutsche Meisterin im Kickboxen, studierte zunächst Bühnentanz, absolvierte dann ein Masterstudium in Sportwissenschaften und arbeitet nun als Fitnesstrainerin in München.
Bleibt noch Rebecca, die älteste.
Die 32-Jährige, die seit ihrer Hochzeit im Dezember 2020 eigentlich mit Nachnamen Tessin von Neuburg heißt, begann zunächst mit einem Jurastudium, brach es aber zugunsten eines Kunststudiums ab. Vancouver, London, Brüssel, Paris sowie die Münchner Kunstakademie – und nun Unterboihingen. Tatsächlich leben die Thumb von Neuburgs in einer Art Wohngemeinschaft.
Einträchtig servieren Mutter und Tochter ihren Gästen Tee und selbst gebackenen Kuchen. Die weiträumige Küche im Erdgeschoss und das Speisezimmer nützt die Familie gemeinsam, bei großen Festen versammeln sich alle in den Repräsentationsräumen des Schlösschens. Rebecca, deren Mann in Tübingen wohnt, pendelt zwischen beiden Orten.
Aufgewachsen ist sie auf dem Hofgut in Hammetweil. 2016 zogen ihre Eltern nach Unterboihingen, zwei Jahre nach dem Tod von Hans-Hartmann Thumb von Neuburg. Das einstige Oberhaupt der Familie hatte in kleinem Rahmen angefangen, das Schloss für Feste zu vermieten. Seine Schwiegertochter beschloss, mehr daraus zu machen.
Zunächst öffnete sie die Bibliothek für standesamtliche Trauungen, dann renovierte sie das Bandhaus. Aus dem frühen 16. Jahrhundert stammend, hatte es als Lagerhaus und Herberge für die Kutscher gedient. Es war eine Herkulesaufgabe. Wer heute den großen Festsaal und die liebevolle Einrichtung anderer Räume sieht, ahnt nicht, wie viel Schutt in monatelanger Arbeit herausgekarrt werden musste.
Aber die Anstrengung zahlte sich aus: Kaum waren Haus und Park hergerichtet, stieg die Nachfrage immens. 2017 verdoppelten sich die Buchungen, 2018 war bereits ein kleines Unternehmen daraus geworden. Marisa Thumb von Neuburg überredete ihre älteste Tochter einzusteigen, was sie unter einer Bedingung tat: Im Sommer waren die Hochzeiten dran, im Winter die Kunstwerke.
Die talentierte Künstlerin richtete sich ein Atelier für ihre Bildhauerei und Keramikarbeiten ein und führt seitdem eine Art Doppelleben. Ihre Eltern unterstützen sie voll und ganz. Zum einen haben sie ihre Töchter immer dazu angehalten, das zu tun, was sie glücklich macht. Zum anderen hat Marisa Thumb von Neuburg selbst eine Neigung zu den schönen Künsten.
Sie kam, sah und heiratete
Die gebürtige Maria Theresia („Marisa“) Gräfin Strachwitz von Groß-Zauche und Camminetz ist im Münchner Boheme- und Universitätsviertel Schwabing aufgewachsen. Dem Studium der Kunstgeschichte und Germanistik schloss sie eine Ausbildung zur Restauratorin in Heidelberg und München an.
Sie machte sich selbstständig und der erste Auftrag, den sie für das Denkmalamt in Stuttgart zu erledigen hatte, führte sie nach Unterboihingen – es war im Jahr 1988 und sollte Liebe auf den ersten Blick werden: Am 16. Juli kam sie zum ersten Mal ins Schloss, am 3. Oktober machte ihr Hans-Jörg Freiherr Thumb von Neuburg einen Heiratsantrag, am 2. Dezember wurde geheiratet.
Dem Restaurieren ist die heutige Schlossherrin nie ganz untreu geworden, immer wieder macht sie sich in ihrem Arbeitszimmer ans Werk. Sie hat aber noch eine Ausbildung zur Kunsttherapeutin daraufgesetzt. Lange hat sie in Ludwigsburg und Stuttgart in psychosomatischen Einrichtungen gearbeitet – bis das Hochzeitswesen im Schloss zu arbeitsintensiv wurde.
Die Liebe zur Kunst verbindet Mutter und Tochter und drückt sich auch in der Gestaltung der Räume aus. In Zukunft soll es verstärkt kulturelle Veranstaltungen mit Musik und bildender Kunst geben. Sie möchten noch nicht etablierten Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform bieten.
„Alle Bräute sind meine Töchter …“
Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es trotzdem Unterschiede. „Ich musste lernen, meine Tochter großwerden zu lassen“, gesteht die Mutter. „Wir mussten uns zusammenraufen“, fügt die Tochter hinzu. Die Eventagentur ist längst ein mittelständisches Unternehmen mit einem weiteren Mitarbeiter. Unterstützt von externen Dienstleistern bietet die Agentur den Feiernden ein Rundum-Sorglos-Paket.
Während Rebecca Thumb von Neuburg betriebswirtschaftlich an die Sache herangeht, deckt ihre Mutter die gefühlsbetonte Seite ab: „Alle Bräute sind meine Töchter – ich bin viel zu großzügig.“ So leidet sie mit, wenn etwas nicht ganz so wird wie gewünscht, und setzt alles in Bewegung, um Abhilfe zu schaffen. Als etwa eine Braut die zum Kleid passenden Anemonen mit blauen Staubblättern nicht auftreiben konnte, fuhr die Freifrau am Morgen der Hochzeit nach Stuttgart in die Großmarkthalle und suchte so lange, bis sie tatsächlich welche fand.
Schloss Unterboihingen
Bahnhofstraße 1
73240 Wendlingen am Neckar
Tel. 01774 428909 oder
0176 10302648
Mutter und Tochter gehen in ihrer Arbeit auf. Sie sind glücklich auf Schloss Unterboihingen. Doch Marisa Thumb von Neuburg sagt auch: „Solche Häuser binden, da kann man nicht mehr weg.“ Das gilt im übertragenen Sinn und im praktischen. Große Reisen sind zum Beispiel in weite Ferne gerückt; ja, es ist nicht einmal möglich, samstags und sonntags in aller Ruhe im eigenen Garten zu sitzen.
Die Hausherrin ist überzeugt: „Nicht viele würden so leben wollen und den eigenen Garten den ganzen Sommer über an den Wochenenden fremden Menschen überlassen.“ Sie weiß aber auch, warum die Familie dieses Opfer bringt: „Wir denken in Generationen und stecken das Geld in die Ausbildung unserer Kinder und in das Schloss, das auch in Zukunft mit Leben gefüllt sein soll.“