Wie heißt es, wenn einer nicht zur Arbeit geht oder die Schule schwänzt? Richtig: Blaumachen. (Tut mer aber fei ned, gell?!) Sonja Faber-Schrecklein erklärt an einem ihrer Lieblingsorte, woher diese Redewendung kommt. Ganz genau und zum Anfassen.

Kinder im Bauernhaus Museum Wolfegg

MEIN LÄNDLE/Bauernhaus Museum Wolfegg

Auch Kinder lernen im Museum – mit Anfassen.

Wissen Sie, dass Sie in Wolfegg Ihr blaues Wunder erleben können? Da geht’s nämlich ums Brechen, Schwingen und Hecheln. Alles klar? Allgäuer und Oberschwaben wissen gleich, hier geht’s um den Flachsanbau. Denn jetzt im Juli blüht die Pflanze grad noch richtig prächtig, und zwar in Blau. Besonders gut zu sehen im Bauernhaus-Museum in Wolfegg. Von der Blüte bis zur Ernte, vom Brechen und Schwingen der Pflanzen bis zum Hecheln hab’ ich dort schon alles erleben dürfen. Ein Highlight und vielleicht was für die Sommerferien im Ländle?

Im Bauernhaus-Museum in Wolfegg erwarten uns 19 historische Bauernhäuser und zahlreiche Nebengebäude, eingebettet in eine sorgsam gepflegte Landschaft mit bunten Bauerngärten. Ein Tag verfliegt dort wie im Nu, weil es so viel zu entdecken gibt. Wie in einer anderen Zeit fühlt man sich. Der Rundgang durch das rekonstruierte Museumsdorf macht den Alltag des bäuerlichen Lebens Oberschwabens und des Westallgäus vergangener Zeiten spürbar. Die Häuser geben Einblick in die Lebens- und Arbeitsumstände der früheren Landbevölkerung: Die originalgetreu eingerichteten Stuben, Kammern, Ställe und Werkstätten veranschaulichen das ländliche Leben vergangener Jahrhunderte und die Traditionen und Bräuche von dazumal. Jedes der Häuser erzählt seine kulturhistorisch einmalige Geschichte. Und wenn man genau hinschaut: Sooo lange ist das alles noch gar nicht her.

Pflanzenfansern des Leins

MEIN LÄNDLE/Bauernhaus Museum Wolfegg

Zahlreiche Arbeitsschritte sind nötig, bis aus Pflanzenfasern des Leins softe Tücher werden.

Gesellen in Feierlaune …

Jetzt aber zurück zum „Blaumachen“. Für den Ausdruck gibt es unterschiedliche Herleitungen. Zum einen sollen Färbergesellen, die beim Färben mit Färberwaid warten mussten, bis die Textilien sich von Gelb nach Blau färbten. Dann erst konnten die „Tuche“, wie es damals hieß, weiterverarbeitet werden. Diese freie Wartezeit sollen sich die Burschen unter anderem mit Trinken verkürzt haben – so könnte man sich die Entstehung des „blaue Montag“ vorstellen.

Es gibt aber noch eine ältere Wendung: den „guten Montag“. Den Tag soll der Meister seinen Gesellen zugestanden haben, um sich fortzubilden oder mal was Privates zu erledigen. Den freien Werktag sollen die Gesellen prompt zum Feiertag gemacht haben. Und die Feiertagskleidung war blau. Im Gegensatz zur Alltagskleidung in Braun oder Grau…  jetzt ham Se was g’lernt, gell?

Legen wir noch a bissle was dazu: Bis nahezu Mitte des 19. Jahrhunderts war das Allgäu wirklich – so saged die Leut’ – vom Flachsanbau geprägt. Angesichts der unzähligen Flachsfelder mit ihren blauen Blüten war auch vom blauen Allgäu die Rede. Aus der Flachsfaser wurde in vielen Arbeitsschritten feines Leinen. Viele Höfe nutzten den Flachs zur Selbstversorgung und als Zubrot. Das ehemalige Landweberhaus Andrinet zeigt genau, wie aufwendig der Anbau und die Verarbeitung waren. Die Ausstellung zur Flachsverarbeitung erklärt die Arbeitsschritte anschaulich. Anschließend kann man selber brechen, schwingen und hecheln an originalgetreuen Geräten.

Tücher aus Lein bzw. Flachs

MEIN LÄNDLE/Bauernhaus Museum/Wolfegg

Durch traditionelles Handwerk entsteht das Endergebnis.

Von Blau zu Grün

Über Jahrhunderte war die Leinenweberei für die Bauern ein zweites Standbein neben der Viehzucht. Bescheiden waren die Einkünfte der Leinenweber, aber sie halfen, die Familien vor der größten Not zu bewahren. Verdrängt wurde das Allgäuer Leinen im 19. Jahrhundert von der billigeren Baumwolle. Die Folgen waren Verarmung und bittere Not. Aus diesem Grund wanderten viele Familien nach Amerika aus. Erst als die Umstellung auf Milchwirtschaft kam, konnten die Allgäuer Bauern auch mit Käse Geld verdienen. Da wandelte sich das „Blaue Allgäu“ zum „Grünen Allgäu“, dem Allgäu der Weidewirtschaft.

Auch deshalb gibt es Kühe im Bauernhaus-Museum in Wolfegg. Tagsüber sind die Tiere auf den saftigen Weiden, abends im Stall. Die Reise ins Oberland ist eine superspannende Reise in die Geschichte. Zum Anschauen und auch zum Anfassen und Ausprobieren. Viel Spaß dabei!

Sonja Faber-Schrecklein

MEIN LÄNDLE

Sie kennt das Ländle wie ihre Westentasche: Sonja Faber-Schrecklein. Nicht nur durch ihre Arbeit als Journalistin und Moderatorin für den SWR, sondern auch ganz privat. Für Mein Ländle hat sie ihre schönsten Erlebnisse an den originellsten Plätzen gesammelt.

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