Wir haben Show in Mannheim. Ich rufe meinen Tour-Manager Andreas an: „Hättest du Lust, dass wir zwei Stunden früher losfahren und noch im Technoseum vorbeischauen?“ Er hat Lust, kann sich aber folgendes nicht verkneifen: demnächst schmeiße er eine Party für mich unter dem Motto: „Christoph Sonntag – 45 Jahre Pubertät!“
Von oben nach unten
Im Technoseum angekommen erkennt mich die Dame an der Information, und es gibt gleich ein fröhliches, lustiges Gequatsche. Sie ruft den Kurator herbei, der sofort herunterkommt und sich bereit erklärt, mit uns durch die Ausstellung zu gehen. So wird man gerne empfangen! Er fährt mit uns gleich in den obersten Stock, denn die Ausstellung muss man von oben nach unten anschauen. Darauf wären wir wahrscheinlich von selbst nicht gekommen.
Beim ersten Gang durchs Technoseum, offiziell dem „Landesmuseum für Technik und Arbeit“, ein Erstaunen darüber, wie groß hier alles ist, wie großzügig alles gebaut ist, mit welcher „anderer“ Architektur hier an die Sache herangegangen wurde: Das ist nicht Museums-typisch, eigentlich viel zu hell, viel zu viel Glas, schräge Ebenen, spannend und eigentlich viel zu mutig in der Bauweise.
Der freundliche Kurator Dr. Martin Weiss berichtet uns, dass Ministerpräsident Filbinger in den 1970er Jahren ein Technikmuseum gewünscht habe und dass Lothar Späth das Technoseum dann 1990 eröffnet habe. Stuttgart hat die Staatsgalerie bekommen, man hatte damals einfach Geld und Mannheim sollte auch etwas Schönes kriegen. Insofern ist das Technoseum auch eine Zeitreise zurück in ein Baden-Württemberg, in dem alles möglich war, in dem man viel Geld hatte und wenig Sorgen.
Zeitreise
Oben angekommen führt uns die Ausstellung im Prinzip durch 120 Jahre Industriegeschichte. Wir sehen erst die Holzkarren, die der Bauer selbst schleppen musste, dann die, die der Esel gezogen hat, plötzlich war die Dampfmaschine da, irgendwann der Verbrennermotor … wir gehen im Zeitraffer an der Industrialisierung vorbei, eine komplette Spinnerei aus dem Schwarzwald ist hier wieder originalgetreu aufgebaut und gibt einen unglaublich guten Eindruck über das Leben in der damaligen Zeit inklusive der kleinen Zimmer, in denen mehrere Menschen wohnten.
Während uns das an die Schulpflichtlektüre „Die Weber“ von Gerhart Hauptmann erinnert, kommen im Rahmen dieser Zeitrafferreise auch Dinge daher, die wir noch aus eigener Erfahrung kennen: das Bakelit-Telefon vom Opa, die Rechenmaschine auf seinem Firmenschreibtisch, die handgeschriebenen Buchhaltungslisten - alles wirklich liebevoll und aufwändig aufbereitet.
Erinnerungen
Und als ob das nicht schon bewundernswert genug wäre, gehen wir noch in die Sonderausstellung „Auf Empfang - die Geschichte von Film und Fernsehen“ (inzwischen beendet, Anm. d.Red). Ich sehe die Tonbandmaschinen wieder, in denen ich früher für SWF3 meine Glossen „Staatliches Fundamt für peinliche Verluste“ aufgesprochen habe, ich kenne die Mikros noch, die Fernseher, die Monitore. Es kommt mir alles vertraut vor. In meinem Kopf blitzt es hin und her, bis ich die für mich persönliche Sensation entdecke: Thomas Gleßner, der Moderator, der mich heute Abend in der Show ankündigt, ist mit seiner 30 Jahre alten Autogrammkarte Teil der Ausstellung.
Ich habe aufgehört, in diesem Leben an Zufälle zu glauben. Ich nehme das als feinstoffliche Bestätigung, die ich gerne an das Lesepublikum weitergebe: wenn Sie Ihre Fahrt nach oder durch Mannheim führt, planen Sie mindestens zwei Stunden früher ein und gehen Sie ins Technoseum. Es lohnt sich! Bei mäßigen Eintrittspreisen!
Ihr
Christoph Sonntag
P.S.: Ich freue mich auch über Ihre Impulse und Ihre eigenen Erfahrungen. Schreiben Sie mir gerne an sonntagspost@sonntag.tv, wenn Ihnen meine Tipps gefallen haben. Oder, wenn Sie welche für mich haben!
Christoph Sonntag ist Baden-Württemberger, Schwabe, Kabarettist und Buchautor. Für Nussbaum stellt er regelmäßig seine Lieblingsorte im Ländle vor. Aktuell ist er mit seinem neuen Programm "Ein Tritt frei!" auf Tour. Infos zu Christoph Sonntag gibt es hier.