Mit oder ohne Schnee, wer sich nun auf einen besonderen Weg macht, hat gute Chancen, selbst zur Ruhe zu kommen und kann dabei eine alte Tradition pflegen.

Kälte liegt über dem Ländle, Nebelschwaden verhüllen die Szenerie, die Natur hat sich zurückgezogen. Gerade jetzt ist die ideale Zeit für eine meditative Wanderung. Die Tourismusregion Liebliches Taubertal bietet dazu Möglichkeiten in Hülle und Fülle. Zum Beispiel den Bildstockwanderweg bei Assamstadt im Taubergrund.

In klarer Luft zu klaren Gedanken: Auch die Felder bei Assamstadt haben eine meditative Dimension.

Mein Ländle/Jürgen Gerrmann

In klarer Luft zu klaren Gedanken: Auch die Felder bei Assamstadt haben eine meditative Dimension.

Bildstockwege haben eine lange Tradition. Die katholische Spezialität trägt von Region zu Region unterschiedliche Namen: „Heiligenstock“ sagen die Hessen, „Marterl“ die Bayern und Österreicher, „Helgenstöckl“ die Schweizer. Aber ihr Anliegen ist allüberall dasselbe: Sie wollen an überstandene Gefahren oder schlimme Unglücksfälle oder Verbrechen erinnern und zum Gebet anregen – sei es nun aus Dankbarkeit oder als Fürbitte. Oder als Flehen um den Segen für die Äcker, Wiesen und Wälder.

Hier in Assamstadt wird dieser religiöse Brauch seit Jahrhunderten gepflegt und vor allem auch gelebt. Die jüngsten Glaubenszeugnisse am Wegesrand sind gerade mal gut 20 Jahre alt. In diesen Spiegel der Volksfrömmigkeit zu blicken, ist faszinierend, auch oder gerade, wenn man in evangelisch geprägten Regionen des Ländles aufgewachsen ist oder wohnt. Dort kennt man diese zu Stein, Holz oder Metall gewordenen Glaubens-Zeugnisse kaum. Wer freilich rund um Assamstadt der Markierung LT-M6 folgt, denkt von Kilometer zu Kilometer mehr: „Eigentlich schade!“

Vom Schlackohrenplatz hat man einen schönen Blick auf Assamstadt.

Mein Ländle/Jürgen Gerrmann

Vom Schlackohrenplatz hat man einen schönen Blick auf Assamstadt.

Eine Eiche voller Heiliger

Jeder Bildstock erzählt im Grunde eine ganz persönliche Geschichte, denn die Orte und die Motive sind ja nicht zufällig gewählt. Als diese Bildstöcke aufgestellt wurden, begleiteten sie die Menschen buchstäblich auf Schritt und Tritt, auch in ihrem Alltag. Sie inspirieren durchaus, selbst im High-Tech-Zeitalter, das die Spiritualität vermeintlich zum Nischenthema gemacht hat.

Auch wenn die Menschen, die sie aufstellen ließen, lange nicht mehr leben und oft in Vergessenheit gerieten, so leben ihre Anliegen, ihre Sehnsüchte, ihre Not und ihre Freude angesichts dieser Zeichen am Wegesrand weiter.

In der Nähe des Friedhofs grüßt der heilige Wendelin den Wanderer.

Mein Ländle/Jürgen Gerrmann

In der Nähe des Friedhofs grüßt der heilige Wendelin den Wanderer.

Das Steffeskirchle mitten im herrlichen Wald erzählt eine dieser Sehnsuchtsgeschichten. Vor dem Hintergrund der Corona-Erfahrungen mutet sie aktuell an, auch wenn sie schon vor Jahrhunderten spielte. Anfang des 19. Jahrhunderts notierte ein schreibkundiger Assamstädter die Erzählung eines Eduard Fohmann. Der berichtete, dass einst bei einem alten Bauern namens Steffes eine Viehseuche ausgebrochen sei.

Die Folge: Man verbot ihm den Kirchgang, Quarantäne mithin. Auf den Gottesdienst wollte er dennoch nicht verzichten, und so machte er sich, immer wenn die Kirchglocken riefen, zu einer alten Eiche im Wald in der Nähe der Mönchshöhe auf, um dort zu beten.

Pfad entlang der einstigen Grenze zwischen Baden und Württemberg

Mein Ländle/Jürgen Gerrmann

Pfad entlang der einstigen Grenze zwischen Baden und Württemberg

Das imponierte den Menschen im weiten Umkreis. Sie hängten Bilder der Muttergottes oder der Heiligen an den mächtigen Baum und machten ihn quasi zum lebendigen Bildstock. Leider fiel er in der Nachkriegszeit einem Blitzschlag zum Opfer, aber gegenüber hatte man bereits im 19. Jahrhundert ein Holzkreuz aufgestellt und 1880 Maria und Johannes daneben platziert. Seit 1901 steht das jetzige Kruzifix an dem Ort. Dort vermutet man, nebenbei bemerkt, auch einen vorchristlichen Opferplatz.

Etwas Besonderes blieb er für die Assamstädter jedenfalls durch alle Zeiten. 1940 legte man unter dem Eindruck des im Vorjahr begonnenen Krieges das Gelöbnis ab, das letzte Stück der Wallfahrtsstrecke zum Steffeskirchle zu einem Kreuzweg werden zu lassen, und bat die Muttergottes, „unsere Soldaten und unsere Heimat zu schützen“. Als das Nazi-Reich untergegangen war, macte man sich sofort daran, das Gelübde in die Tat umzusetzen. Während der ersten vier Nachkriegsjahre schuf der einheimische Bildhauer Anton Göbel die Leidensstationen aus Lindenholz. Seine 16 Bild­reliefs beeindrucken noch heute.

Mal aus Holz, mal aus Stein: Glaubenszeugnisse finden sich bei Assamstadt in Hülle und Fülle.

Mein Ländle/Jürgen Gerrmann

Mal aus Holz, mal aus Stein: Glaubenszeugnisse finden sich bei Assamstadt in Hülle und Fülle.
Mal aus Holz, mal aus Stein: Glaubenszeugnisse finden sich bei Assamstadt in Hülle und Fülle.

Mein Ländle/Jürgen Gerrmann

Mal aus Holz, mal aus Stein: Glaubenszeugnisse finden sich bei Assamstadt in Hülle und Fülle.
PreviousNext

Lourdes-Grotte im Taubergrund

Apropos Krieg: Noch ein zweites Glaubenszeugnis am Rande unserer Tour hat seine Wurzeln in dieser Geißel der Menschheit: Zwei Assamstädter, die vom Kaiser in den Ersten Weltkrieg geschickt wurden, hatten wohl wie Millionen andere junge Menschen auf beiden Seiten der Fronten nur einen Wunsch: Wieder heil heimkommen!

Eduard ­Hügel und ein Kamerad mit dem Nachnamen Fischer versprachen daher, während ihnen die Kugeln um die ­Ohren flogen, eine Mariengrotte zu bauen, sollten sie diesen Wahnsinn über­stehen.

Im Wald nahe der Mönchshöhe findet sich die Mariengrotte.

Mein Ländle/Jürgen Gerrmann

Im Wald nahe der Mönchshöhe findet sich die Mariengrotte.

Und sie hielten Wort.

Aus der Nähe des wenige Kilometer entfernten Sankt Wendel zum Stein – ebenfalls eine Wallfahrtskirche am Ufer der Jagst – holten sie sich Tuffsteine und bauten mitten im heimatlichen Wald eine Kuppel, unter der das Wunder von Lourdes dargestellt wird.

Auf Schusters Rappen zum Selbst

Mehr Touren rund ums ­Taubertal

Der Bildstockwanderweg ist nicht die einzige Tour, auf der man im Gebiet des Tourismusverbandes Liebliches Taubertal wandernd zu sich selbst finden kann. Hier eine Übersicht über die acht anderen:

Auf die Spuren der Zisterzienser führt die Markierung LT-M1. Höhepunkte der 10,4 km langen Tour sind ganz sicher das vor fast 900 Jahren als Zisterzienserabtei gegründete Kloster Bronnbach und das „Steinkreuznest“ bei Reicholzheim, das zu den größten seiner Art weltweit gehören soll.
Gut 10 km / ca. 3 Stdn. / 230 hm

Nach der Wallfahrtskapelle Liebfrauenbrunn ist die mit LT-M2 markierte Tour benannt. Inspirierend sind dabei aber auch die Trockenrasenflächen über dem Welzbachtal.
10 km / 3 Stdn. / 100 hm

Sakraler Barock schlägt uns entlang der mit LT-M3 gekennzeichneten Wanderung in seinen Bann. Die romantische Altstadt von Tauber­bischofsheim begeistert ebenso wie das frühere Kloster Gerlachsheim. 19 km / 6 Stdn. / 420 hm

Kreuzweg, Kirchen und Kapellen säumen den Weg mit der Markierung LT-M4. In der kleinen Stammbergkapelle kann man ebenso zur Ruhe finden wie in den Kirchen von Tauber­bischofsheim oder Großrinderfeld.
14 km / 4 Stdn. / 280 hm auf, 200 hm ab

Kirchen und Kleindenkmale wechseln sich bei LT-M5 mit­einander ab. Die Tour verbindet Tauberbischofsheim mit Impfingen und dem Silberbrünnle. Auch hier fehlt ein Kreuzweg nicht. 13 km / 4 Stdn. / 250 hm

Auf- und Durchatmen auf freier Flur und in grünen Wäldern, das geht auf dem Augustinusweg (LT-M7) ab der Kirche von Messelhausen. Verschiedene Künstler haben entlang der Route zentrale Sätze der „Confessiones“ des großen Kirchenlehrers interpretiert. 8,5 km / 3 Stdn. / 140 hm

Durchs Grünkernland zum Dom der Franken pilgern wir mit der Markierung LT-M8. Der Dom ist romanischen Ursprungs und steht in dem kleinen Dörflein Wölchingen. Los geht’s in Bad Mergentheim, der Stadt der Deutschordensritter.
13 km / 4 Stdn. / 320 hm auf, 260 hm ab

Den Reigen der Meditationswege schließt LT-M9: das ­Bieberehrener Bilderbuch. Es führt am Käppele sowie an der Kunigundenkapelle von Bieberehren vorbei.
11 km / 3 Stdn. / 175 hm

Detaillierte Infos zu allen Wegen finden Sie unter www.touren.liebliches-taubertal.de.

Von inneren und ­äußeren Grenzen

Was sich an Ereignissen, Erlebnissen und Sehnsüchten in den rund 30 Kleindenkmalen dieser herrlichen Landschaft verbirgt, warum die Motivwahl nun auf den vergoldeten Jesus, den großen geschnitzten Leidensmann, den heiligen Antonius, die Maria mit dem Kinde, die gekrönte Muttergottes, die Heilige Familie und sogar das Weihnachtsgeschehen fiel, ist oft nicht bekannt.

Und es ist ja gerade auf einem Meditationsweg auch gar nicht so wichtig. Da kommt es vor allem darauf an, was das jeweilige Bild in einem selbst auslöst. Auf dieser Strecke gibt es jede Menge Denkanstöße und Chancen zum inneren Dialog.

Die Geburt Christi ist ein eher ungewöhnliches Motiv für einen Bildstock.

Mein Ländle/Jürgen Gerrmann

Die Geburt Christi ist ein eher ungewöhnliches Motiv für einen Bildstock.

Aber es sind nicht immer Bildstöcke, die dazu anregen. Bei Anblick der entlaubten Buchen, die sich Richtung Firmament recken, sinniert der Wanderer vielleicht darüber, wie weit die eigenen (inneren) Bäume denn in den symbolischen Himmel wachsen wollen oder können.

Das lange Stück Wegs direkt auf der einstigen Grenzlinie zwischen Baden und Württemberg regt möglicherweise zum Philosophieren darüber an, wo denn die eigenen Grenzen sind und welche Barrieren man schon überwunden hat.

Besinnungs- und Pilgerwege in Baden-Württemberg

Die alte Kilianskirche prägt die Ortsmitte von Assamstadt

Jürgen Gerrmann

Die alte Kilianskirche prägt die Ortsmitte von Assamstadt

Und so kommt man am Ende dieser Wanderung vielleicht nicht nur wieder an der Kilianskirche im Assamstädter Zentrum an.

Sondern auch und vor allem in der eigenen Mitte.

Bildstockwanderweg

Start und Ziel: Alte ­Kilianskirche Assamstadt
(GPS 49.427586, 9.686989)
Strecke: ca. 11 km
Gehzeit: ca. 3 Stdn.
Höhenunterschied: je 190 m Auf- und Abstieg
Schwierigkeitsgrad: leicht

Tourenverlauf Bildstockwanderweg

Mein Ländle

Tourenverlauf Bildstockwanderweg