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Landesweiter Versuch an 35 Schulen

Schule ohne Noten: Ein Modellprojekt in Rauental

Gruppe von Schülern sitzt im Halbkreis, Lehrerin steht dahinter

sb

Die Schüler sollen auch individuell gefördert werden.

Was für manch Schüler wie ein Traum klingen mag, ist in der Grundschule im Rastatter Ortsteil Rauental seit Anfang des Schuljahres 2022/2023 Realität: Es gibt keine Noten mehr. Der Hintergrund: ein Modellprojekt.

Lehrerin schreibt an Tafel, eine Schülerin meldet sich

fotografixx/E+/Getty Images

Der klassische Frontalunterricht gehört im Rahmen der Modellprojekte der Vergangenheit an.

Aktuell gilt dies in der ersten und zweiten Klasse. Ab dem kommenden Schuljahr dann auch in Klasse drei, denn die einzügige Grundschule ist eine von 35 Modellschulen, die das neue System in Baden-Württemberg testen. Nach dem ersten Schuljahr ziehen Schulleiterin Pia Asmus und ihr Kollegium ebenso wie viele Eltern ein positives Fazit.

Ein eng begleiteter Modellversuch

Insgesamt ist der Modellversuch auf vier Jahre angesetzt und wird vom Institut für Bildungsanalysen (IBBW) eng begleitet. Aktuell wird zudem eine Bachelorarbeit über das Projekt geschrieben, das es im Landkreis Rastatt auch an der Hardtschule in Durmersheim gibt. Auch wenn das Projekt im nun zu Ende gegangenen Schuljahr nur für Klasse eins und zwei gestartet wurde, arbeiten bereits jetzt die dritte und vierte Klasse nach dem neuen pädagogischen Konzept. Mit der Ausnahme, dass es für die oberen beiden Klassen noch Noten gibt.

Lehrerin im Gespräch mit ihren Schülern

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Lerngruppen statt Frontalunterricht. Madlen Eggenreich bespricht mit Schülern den nächsten Arbeitsschritt.

Madlen Eggenreich, Klassenlehrerin der vierten Klasse und ab dem neuen Schuljahr Klassenlehrerin der Erstklässler, ist begeistert: „Die Kinder arbeiten sehr selbstständig und haben eine sehr gute Selbsteinschätzung, was sie schon können und wo sie noch besser lernen müssen“, sagt sie und zeigt ein Klassenzimmer in der Rauentaler Grundschule. An Frontalunterricht erinnert hier höchstens noch die Tafel. 

Kein Wunder: Denn diese Art des Unterrichts gibt es in der Modellschule kaum noch. Stattdessen findet man kleine Tischgruppen, an denen jedes Kind in jedem Fach seinen Platz frei wählen darf. Die Lehrkraft sitzt am Beratungstisch und hilft den Schülern, die Unterstützung benötigen oder noch Nachholbedarf haben. Die anderen Schüler arbeiten selbstständig und helfen sich oft gegenseitig.

Video: Schule mit und ohne Noten

Jede Stunde kann sich die Sitzordnung ändern

"Die Kinder lernen so, wie man effizient lernt und werden dadurch gestärkt“, sagt Schulleiterin Pia Asmus und verweist darauf, dass sich die Sitzordnung in jeder Stunde ändern kann. Wer in Mathe stark ist, arbeitet selbstständig und setzt sich im vielleicht nicht so starken Fach Deutsch gerne an den Beratungstisch der Klassenlehrerin.

Lernen im ganzen Schulgebäude

Der Start in die Stunde erfolgt meist zentral im Sitzkreis. Hier werden neue Themen angesprochen, die anschließend in der Arbeitsphase vertieft werden. Dabei sind die Schüler bei weitem nicht auf das eigene Klassenzimmer festgelegt. Gelernt werden kann im ganzen Schulgebäude, was bei allen gut ankommt. „Die Kinder sind gestärkt und begeistert“, so das Fazit von Tanja Föry, die Drillinge in der zweiten Klasse hat. 

Schülerin lehnt erschöpft mit Kopf an Tafel

Choreograph/iStock/Getty Images Plus

Lernen für die Schule kann auch viel Druck bedeuten.

„Jeder bekommt ein individuelles Feedback der Lehrerin. Das ist ganz wichtig“, sagt sie. So ist sie stets gut informiert, wo es gut läuft und wo es noch klemmt. „Und das ist bei jedem Kind ganz unterschiedlich“, weiß Tanja Föry und berichtet von mindestens zwei Elterngesprächen, die es pro Jahr gibt. So kann der Leistungsstand individuell besprochen werden. „Durch Noten wäre das nicht möglich. Eine drei in Deutsch zeigt nicht, wo das Kind gut und wo noch nicht so gut ist“, weiß Madlen Eggenreich.

Diktate auf dem I-Pad

Da jedes Kind sein eigenes Lerntempo hat, kann jeder selbst bestimmen, wann er oder sie einen Leistungstest schreiben möchte. Dieser „Könnertest“ sind eine wichtige Rückmeldung für Eltern und Lehrer. „Sie zeigen uns, was die Kinder schon gut und was noch nicht ganz so gut können“, berichtet Madlen Eggenreich. 

Für Diktate spricht sie die Texte auf ein I-Pad und jedes Kind kann das Diktat dann schreiben, wenn es dazu bereit ist. Nach der Rückmeldung kann das Diktat einige Tage später wiederholt werden und jedes Kind sieht Dank der ausführlichen Rückmeldung der Lehrerin, wo es noch nacharbeiten muss. 

Gruppe von Schülern sitzt im Halbkreis, Lehrerin steht dahinter

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Die Schüler sollen auch individuell gefördert werden.

Kein Konkurrenzkampf mehr

Besonders wichtig ist Pia Asmus, dass durch das neue System jedes Kind individuell gefördert wird. „Die Vergleiche untereinander, die durch das Notensystem automatisch angestellt werden, fallen weg“, sagt sie. Positiver Effekt ist zudem, dass es keinen Konkurrenzkampf in den Klassen gibt. Vielmehr wird zusammen und individuell gelernt. „Die Kinder werden selbstbewusster“, hat Pia Asmus festgestellt.

Sie freut sich, Jungen und Mädchen bei den unterschiedlichen Lernfortschritten zu begleiten, was nicht nur Klaudia Garus, Mutter eines Zweitklässlers, sehr zu schätzen weiß: „Meinen drei älteren Kindern hätte dieses System auch gutgetan“, so ihr Fazit nach dem ersten Schuljahr ohne Noten. 

Gibt es künftig Lernfamilien?

Der Bildungsplan für die Kinder in der Modellschule Rauental entspricht exakt dem an anderen Grundschulen. Einzigartig in Rauental ist dagegen das Lerntempo. Pia Asmus weiß, dass manche Schüler in Mathe schon auf dem Niveau der dritten Klasse sind, in Deutsch aber eher in der zweiten Klasse richtig aufgehoben wären. Deshalb kann sie sich gut vorstellen, dass es künftig keine festen Klassen mehr gibt, sondern „Lernfamilien“ mit Kindern aus unterschiedlichen Klassenstufen gegründet werden. 

Video: Meinungen zu einer Schule ohne Noten

„Möglich ist die Umsetzung solcher Ideen nur mit einem innovativen Team“, weiß Pia Asmus und ist dankbar, dass sie genau das in Rauental um sich hat. Vieles müsse nun neu gedacht werden, sagt die Schulleiterin und fügt hinzu: „So viele Fortbildungen wie im letzten Schuljahr hatten wir noch nie“.

Ein Aufwand, der sich lohnt: Für die Kinder, die ohne Noten motiviert und eigenständig lernen. 

Audio: Kann Schule ohne Noten funktionieren?

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