Raclette-Grill rausgekramt, abgestaubt, angeschaltet, Blei gegossen und buntes Feuerwerk am Himmel – das Silvesterfest ist, wie jedes andere Fest auch, von alljährlichen Traditionen und Ritualen gezeichnet. Um den Jahreswechsel gesund und munter zu meistern, haben sich auch in Baden-Württemberg alte wie neue Konventionen herausgebildet.

Viel Zucker für ein süßes Neues

In Baden-Württemberg weit verbreitet ist das sogenannte Neujahrsgebäck. Dieses Hefegebäck gibt es in der Form von Brezeln, Kränzen, Hörnchen oder Männlein, die allesamt zu den sogenannten „Gebildbroten“ (Sinn- und Bildgebäck) gehören. Es gibt sie als salzige und süße Variante, mit Zöpfen und Schnörkeln verziert oder mit Rosinen bestückt. In manchen Orten gibt es sogar noch den badischen Brauch, Geldstücke in den Teig einzubacken. Wann das Neujahrsgebäck gereicht wird, ist unterschiedlich: zum Glühwein am Silvesterabend, zum Sekt um Mitternacht oder am Neujahrsmorgen. Es gibt diverse Überlieferungen, warum wir diese Leckereien um Neujahr essen. Eine ist, dass wir uns mit jeder Menge Süßspeisen für die kommende Fastenzeit wappnen. Die andere, dass die bösen Geister davon naschen und besänftigt werden können.

Hat man sich an Weihnachten schon mit Süßem verwöhnt, darf man an Silvester gleich weiter machen. Als Glücksbringer, der ohne Anfang und Ende Unendlichkeit symbolisieren soll, genießt man das traditionelle Neujahrsgebäck im Ländle am liebsten als Brezel. Mit Verzierungen und kreativen Formungen des Teigs hübsch gemacht verzehrt man die Backware entweder salzig oder süß in den Vorstunden des neuen Jahres. In der Region war es früher auch Tradition, Geldmünzen in den Teig zu backen.

Die Silvesterbrezel ist normalerweise verziert.

terra24/iStock/GettyImagesPlus

Die Silvesterbrezel ist normalerweise verziert.
Die Brezel ist vor allem in BW beliebt.

terra24/iStock/GettyImagesPlus

Die Brezel ist vor allem in BW beliebt.
PreviousNext

Neben der traditionellen Brezel bekommen Kinder in Ketsch zudem eine Zuckerschachtel geschenkt. Die Patentante (sogenannte „Gedl“) ist dazu angeregt, ihrem Patenkind eine Schachtel mit Süßkram zukommen zu lassen. Die Tradition untermalt die Bedeutung familiären Zusammenhalts und Fürsorge und zaubert sicherlich jedem Kind ein strahlendes Lächeln aufs Gesicht.

Es geht ums Geld: Fisch zu Silvester

Althergebracht ist die Annahme, dass am 31. Dezember Linsensuppe und Sauerkraut gegessen werden sollen. Jede Linse steht dabei für eine Geldmünze und die Menge des Sauerkrauts im Topf gibt die Geldmenge fürs kommende Jahr an. Auch Fisch, besonders Hering, zählt zu den beliebten Gerichten in der Silvesternacht. Heutzutage vor allem, weil man Fisch nachsagt den Kater zu reduzieren. Ein weiterer Neujahrs-Fisch ist der Silvesterkarpfen. Übermittlung zufolge soll man sich eine Schuppe in den Geldbeutel stecken, damit es im Folgejahr nicht an Geld mangelt.

Es gibt aber auch Überlieferungen, die vom Essen von Fisch abraten. Laut Papst Silvester I., übrigens Namensgeber des Feiertags, ist es nicht ratsam an Silvester Fisch zu essen. Er hat den Ruf, dass alle seine Feinde und Ungläubige an Gräten erstickten.

Zwei Marzipanschweinchen

egal/iStock/Getty Images

Schweinchen bringen zu Silvester Glück.

Schwein gehabt: Schweine bringen Glück zum neuen Jahr

Seit jeher gilt das Schwein als ein Tier des Glückes, der Stärke und des Wohlstands. Deshalb wird auch traditionell ein Schwein an Neujahr serviert. Am besten noch mit einem Glückscent im Mund. Auch wenn das so nicht mehr zelebriert wird, gibt es zumindest das Schwein aus Marzipan oder als Hefegebäck in dieser Haltung. Ein weiterer Beleg für das sogenannte Glücksschwein ist die Tatsache, dass Schweine auf der Mitte der Zielscheibe abgebildet wurden. Wurde das Schwein getroffen, hat man gewonnen und hat somit Glück oder „Schwein gehabt“.

Mehr über Glücksbringer zum neuen Jahr

Viel Aberglaube zum Jahreswechsel

Ein Brauch, den man gerade in kleineren Dörfern im Südwesten noch finden kann, besagt, dass man in der Neujahrsnacht keine Wäsche waschen soll, um die bösen Geister nicht zu verärgern. In den so genannten Raunächten – das sind die 12 Tage nach dem 25. Dezember – sind die Gesetze von Leben und Tod angeblich aufgehoben und die Geister bewegen sich frei umher. Auch aufhängen soll man die weiße Wäsche nicht, da sich die Geister beim Umherirren darin verfangen können. Sie werden dann zornig und rächen sich vielleicht. Eine andere Überlieferung sagt, dass dies den Tod eines Verwandten zur Folge haben kann.

Böse Geister, die ausgetrieben werden sollen, können sich an den Leinentüchern festhalten und verfolgen den Besitzer dann im nächsten Jahr. Ebenso kann die Wäsche im Haus von den Reitern der sogenannten „wilden Jagd“ – dem Geisterheer des Göttervaters Wotan – gestohlen werden und findet dann als Leichentuch Verwendung. Die Interpretation ist vielseitig, allerdings haben alle Überlieferungen etwas mit Geistern und Tod zu tun.

Auch das allseits beliebte Silvesterfeuerwerk lässt sich im entfernten Sinne auf die Geister zurückführen. Während man im Mittelalter mit Kochtöpfen, Rasseln und Rätschen durch die Straße zog – ab etwa dem 10. Jahrhundert dann auch durch das Läuten der Kirchturmglocken –, um mit lautem Getöse die bösen Geister zu vertreiben, macht man das heute mit Böllern, Knallern und vielen bunten Farben. Je lauter und leuchtender, desto besser!

Silvesterreiten als Gottesdank

Der Silvesterritt in Westhausen ist wahrscheinlich der älteste Brauch. Im Jahr 1626 stürzte eine Lungenfäule des Viehs viele Bauern in dem Dorf in große Not. In ihrer Verzweiflung baten sie den heiligen Silvester, übrigens der Namensgeber des Festes, um Hilfe und versprachen ihm eine Kapelle, sollte er in der Lage sein, sie von der Heimsuchung zu befreien. Als tatsächlich ein Wunder geschah und das Vieh sich erholte, bauten die Geplagten eine Wallfahrtskapelle. Seitdem wird der Ort zunächst noch unregelmäßig, seit den sechziger Jahren aber jeden Silvester beritten. Bis zu 260 Teilnehmer schließen sich jedes Jahr bestenfalls auf dem Rücken eines Pferdes der Reiterprozession an.

Die Pferde werden jedes Jahr aufs Neue fertig gemacht.

Stadt Westhausen

Die Pferde werden jedes Jahr aufs Neue fertig gemacht.
Unzählige Reiter nehmen an der Veranstaltung teil.

Stadt Westhausen

Unzählige Reiter nehmen an der Veranstaltung teil.
PreviousNext

Warten auf Mitternacht

Einen Blick in die Zukunft bietet das Bleigießen, auch ein lustiger Programmpunkt, um die Zeit bis Mitternacht zu vertreiben. Je nachdem, welches Symbol gegossen wurde, wird interpretiert und analysiert, was es bedeutet und so vorausgesagt, was einem im kommenden Jahr bevorsteht. Bisher gab es die Sets zum Bleigießen in jedem Supermarkt, aber durch einen EU-Beschluss wurde das nun verboten. Als beste Alternative gilt das Wachsgießen, das in seiner Grundfunktion identisch ist: flüssiges Wachs in kaltes Wasser schütten, dann erstarrt es.

Nicht nur das Bleigießen, sondern auch das sogenannte Zwiebelorakel, das in manchen Teilen des Schwarzwalds noch praktiziert wird, kann einem die Zukunft vorhersagen. Man schneidet zunächst eine Zwiebel in zwei Hälften und träufelt Salz auf die entblößte Oberfläche, stellt es dann in eine Schale und wartet bis zum nächsten Morgen. Je mehr Wasser in der Schale, desto feuchter und regnerischer soll das neue Jahr werden – eine Wettervorhersage ohne meteorologische Gewähr.

"Dinner for One" am Staatstheater Karlsruhe

Staatstheater Karlsruhe/Markus Kaesler

Same procedure as last year?

„The same procedure as last year, Miss Sophie?“ Das Dinner an Silvester ist für alle und doch nur für einen, denn auch das „Dinner for One“ ist aus vielen Wohnzimmern im Land nicht wegzudenken. Auch wenn der Sketch eigentlich gar nicht für den 31. Dezember, sondern mehr als Pausenfüller gedacht war, wird er seit 1972 zu jedem Jahreswechsel gezeigt. Inzwischen braucht es sogar keine Englisch-Kenntnisse mehr, denn man kann sich den Klassiker auch in der jeweiligen Mundart anschauen: So findet sich auf youtube die schwäbische Version „Vesper für Oin‘“, Comedian Christian „Chako“ Habekost hat sich Miss Sophie und James auf (kur-)pfälzisch  angenommen, in Freiburg spricht der trinkfeste Butler auf alemannisch dem Alkohol zu und am Karlsruher Staatstheater gibt’s seit 2012 eine Bühnenfassung zu sehen – zwar in hochdeutsch, aber dafür mit viel Musik.

Auf die Waage für den guten Zweck

Eigentlich möchte man sich nach Weihnachten nicht wiegen, In Nürtingen ist das allerdings Tradition. Jedes Jahr findet hier das traditionelle Silvesterwiegen statt, bei dem Bürger und Politiker, oft in festlicher Kleidung, auf der Waage die Kilos zählen und die Zuschauer gespannt das Ergebnis erwarten. Jedes gewogene Kilogramm bedeutet eine Spende für wohltätige Zwecke – eine Aktion, um soziales Engagement und Großzügigkeit zu feiern. Der Brauch geht bis ins Jahr 1832 zurück und ist damit einer der ältesten.

Sportlich oder musikalisch ins neue Jahr

Am Bodensee wird noch eine andere Tradition gehegt. Dort findet 2018 das mittlerweile 46. Silvesterschwimmen in Konstanz statt. Diese Veranstaltung wurde von der DLRG ins Leben gerufen, die auf ihr Ehrenamt aufmerksam machen wollte. Seither ist es ein europaweit beliebtes Spektakel, an dem 2017 um die 200 Schwimmer teilgenommen haben. Am Grötzinger Baggersee im Raum Karlsruhe, findet das Schwimmen an Neujahr statt. 2018 wurden dort 83 Teilnehmer von 180 Zuschauern frenetisch angefeuert.

Start des Hohenloher Silvesterlaufs

SpVgg Hengstfeld

Manche Leute wollen sich die über die Feiertage zugelegten Pfunde am letzten Tag des Jahres wieder abtrainieren. In ganz Baden-Württemberg werden Silvesterläufe organisiert, bei denen Amateure Mut und Entschlossenheit für den Jahreswechsel sammeln können und erfahrene Läufer noch eine letzte Chance bekommen, ihre Bestwerte zu übertreffen. Die Läufe sind ein symbolischer Akt der Reinigung und des Neubeginns. In Bietigheim-Bissingen findet der längste statt.

Mehr zu Silvesterläufen gibt es hier:

► Für Anfänger und Veteranen: Die besten Silvesterläufe in BW

Auch das Neujahrssingen gehört zu den regionalen Traditionen, auch wenn es nur noch in wenigen Dörfern oder Einrichtungen umgesetzt wird. Der Ursprung ist auf einen so genannten Heischebrauch zurückzuführen, es ging also darum, mit dem Gesang Gaben zu erbitten. So gab es Brot, Mehl oder Geld als Gegenleistung für das Singen. Heute trifft man sich an Neujahr, um anderen eine Freude zu machen und sich gemeinsam aufs neue Jahr einzustimmen.

Mittelalterliches Flair in Schiltach

Ungefähr genauso alt ist der Brauch in Schiltach im Schwarzwald. In der Ortschaft findet jedes Jahr an Silvester der traditionelle Silvesterzug statt. Man trifft sich am Marktplatz, zieht zum Pfarrhaus und schließlich zurück zum Marktplatz, wo der Bürgermeister das vergangene Jahr reflektiert. Die Teilnehmer tragen nur Holzlaternen, in den Häusern soll die elektrische Beleuchtung ausgeschaltet und Christbäume und Kerzen aufgestellt werden. Der Ursprung des Brauchs ist nicht ganz geklärt, man geht aber inzwischen davon aus, dass Pietisten ihn ins Leben gerufen haben, da die meisten Lieder des Liederbuches pietistischen Ursprungs sind. Das mittelalterliche Flair der Stadt während des Zugs ist unverwechselbar.

Die Stadt leuchtet nur wegen der Laternen.

Stadt Schiltach

Die Stadt leuchtet nur wegen der Laternen.
Die Stadt bekommt an Silvester ein mittelalterliches Flair.

Stadt Schiltach

Die Stadt bekommt an Silvester ein mittelalterliches Flair.
PreviousNext

E guuds Neies

Wenn es dann endlich Mitternacht ist und das neue Jahr mit offenen Armen begrüßt wird, wünschen sich die Menschen „E guuds Neies“ oder „Prosit Neujahr“. Zweiteres lässt sich auf das lateinische „prodesse“ zurückführen, was mit „nützen“ oder „zuträglich sein“ übersetzt werden kann. Deshalb bedeuten der Ausspruch und auch das vereinfachte „Prost“ in etwa „möge es erträglich sein“ und beziehen sich somit nicht auf das Getränk, sondern darauf, was im neuen Jahr erwartet wird.

Video: Einfache Rezepte für leckere Silvester-Drinks

Der „Gude Rutsch“, der bei uns als gebräuchlicher Glückwunsch an Silvester und an den Tagen danach gilt, wird frei heraus jedem gewünscht, der einem über den Weg läuft. Dabei kommt das Wort „Rutsch“ vermutlich vom jiddischen Wort „Rosch“, das Anfang bedeutet. Nach der Auffassung geht es also nicht um den Übergang, sondern darum, dass das Jahr einen guten Anfang nimmt – und sich das auch im Laufe des neuen Jahres nicht ändert. Eine andere mögliche Erklärung stellt den Reiseaspekt in den Vordergrund: In Grimms Wörterbuch findet sich die Formel noch nicht, vermutlich kam sie erst um 1900 auf, „(eine) glückliche Rutsch“ - also eine glückliche Reise - kannte man schon bei den Grimms und ab dem 19. Jahrhundert steht der Rutscher oder Rutsch im Volksmund für eine kleine Reise. In dem Sinne bedeutet der Wunsch vom guten Rutsch so etwas wie „kommt gut hinüber“, oder „kommt gut an im neuen Jahr“.

Silvester-Brezel

VankaD/iStock/Thinkstock

So oder so: es spielt keine Rolle, welche Traditionen man an Silvester hegt, ob diese auf alten Bräuchen beruhen oder ob sie neumodische Riten sind. Hauptsache ist, dass man gesund im Kreise seiner Liebsten durch das neue Jahr kommt.

Bräuche in Baden-Württemberg für Raunächte & Silvester

► Hier lesen Sie mehr über verschiedene Bräuche in Baden-Württemberg, auch übers Räuchern zu den Rauchnächten (inkl. Rezept)