Alma, die Schwester seines Freundes Heinrich, drückt es so aus: „Ein herrliches Vergessen!“ Als Willy Hug das hört, ist er etwa 15 Jahre alt und hat die gleiche Leidenschaft wie Alma: Kino! 

Wenn wir beim Lesen im Roman „Ein herrliches Vergessen“ von Petra Hauser an dieser Stelle ankommen, haben wir etwa ein Drittel des Buches hinter uns und von Willys Leben liegen noch Jahrzehnte vor uns. 

Petra Hauser mit Fotos vom Kino Luxor

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Petra Hauser zeigt Fotos vom Kino Luxor im Buch "Kino" von Gerhard Bechtold.

Familiengeschichte und mehr

Willy wird 1915 in Straßburg geboren. Seine Eltern Käthe und Georg arbeiten im Hotelgewerbe, eröffnen ein eigenes Hotel in Rastatt und später in St. Blasien. Willy macht in Karlsruhe eine kaufmännische Lehre, lernt die Tochter eines Herrenschneiders kennen. Die beiden heiraten. Er muss in den Krieg und nach seiner Rückkehr findet er sich, wie so viele damals, in einer völlig zerstörten Stadt wieder, in der die Familie eng in einer Wohnung zusammenrückt. Willy wird erfolgreicher Unternehmer. 

Viel umfassender

Es könnte also eine ganz normale Familiengeschichte sein, die Petra Hauser hier bis letztendlich 1995 in ihrem an der Realität orientierten Roman beschreibt. Doch „Ein herrliches Vergessen“ ist viel, viel mehr. 

Gloria am Rondellplatz

Zum einen ist es ein Roman, in den alles, was geschieht, kürzer oder länger in die realen historischen Ereignisse eingebunden ist. Karlsruher Persönlichkeiten treten auf: die Oberbürgermeister Hermann Veit und Günther Klotz oder auch der Schauspieler Kurt Müller-Graf. Zum zweiten ist es die Geschichte der Familie von Petra Hausers Ehemann. Der literarische Willy Hug ist ihr Schwiegervater. Drittens steckt in diesem Buch die historische Entwicklung der Karlsruher Kinos nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn bereits 1945 konnte Willy Hug am Rondellplatz das Kino „Gloria“ eröffnen. Ursprünglich ist es in Besitz der Durlacher Familie Kasper gewesen, die jedoch bekommt wegen ihrer Nazi-Vergangenheit keine Betriebserlaubnis der Alliierten.

Willi Hauser 1936 vor einem Auto.

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Willi Hauser 1936 vor einem Auto.

Schlüssig

Petra Hauser hat viel recherchiert, Stadtarchive besucht, Filmzeitschriften gelesen, mit Zeitgenossen und deren Nachfahren gesprochen sowie persönliche Korrespondenzen gelesen. „Durch die Lebensgeschichte eines Mannes, der wirklich gelebt hat, ist ein Gitter entstanden, dessen Zwischenräume ich mit Leben gefüllt habe“, schreibt sie. So wissen wir also nicht genau, was so war, wie sie es beschreibt oder was vielleicht anders gewesen sein könnte. Insgesamt jedoch führt sie uns schlüssig durch Familie und Geschichte.

Buchseite mit Luxor Kino 1951 in Karlsruhe

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Im Originalheft ist nachzulesen, dass das Karlsruher Kino Luxor 1951 mit dem Film Fanfaren der Liebe eröffnet wurde.

Willy, der Macher

Dabei zeigt sie, so jedenfalls empfindet es die lesende Berichterstatterin, eine große Liebe für ihre Figuren. Sie bringt uns jede einzelne in ihrem Handeln und ihren Gefühlen, und ohne jede Wertung, unglaublich nahe. Da ist die energische, aktive Mutter Käthe, die mit ihrer Eigeninitiative und Selbstbestimmung so gar nicht dem gewünschten Frauenbild entspricht. Da ist Hedy, Willys Ehefrau, die nichts anderes tut als ihrem Mann, seinem Unternehmen und der Familie klaglos und harmonisierend zu dienen. Harald, der Pflegebruder von Willy, erweist sich als Organisations- und Kommunikationstalent, Hedys Vater als überzeugter Sozialdemokrat. Und natürlich Willy: ein Macher, der sich auch in der Familie klar als Oberhaupt und Entscheider positioniert, der mit Kreativität, mit Glück, mit Beziehungen und mit viel, viel Arbeit erfolgreich das Kino in Karlsruhe etabliert. Ein herrliches Buch, möchte die Berichterstatterin abschließend sagen.

Mehr zur Autorin Petra Hauser gibt es im Interview

Video: Petra Hauser liest aus "Ein herrliches Vergessen"

Petra Hauser: „Ein herrliches Vergessen", erschienen bei Lindemanns Bibliothek, Band 332, Bretten, 2020, Paperback, 336 Seiten, ISBN: 978-3-96308-036-4