7. Mai 1945 – ein Tag vor dem Tag der Befreiung. Im tschechischen Volary begegnen sich zwei vom Schicksal schwer gezeichnete Menschen. Eine Begegnung, die zwei Leben für immer verändern sollte – zum Guten. Hier treffen sich Gerda Weissmann, knapp 21 Jahre, nur noch 31 Kilogramm leicht, traumatisiert und schwer gezeichnet von einem über 500 Kilometer langen Todesmarsch, auf den die SS sie und ihre Mitleidenden im KZ Groß-Rosen nach Jahren der Zwangsarbeit geprügelt hatte, und Kurt Klein, Leutnant der US-Army, als Jude vor der Nazi-Verfolgung aus dem kurpfälzischen Walldorf in die USA geflohen, und nun zurückgekehrt, um die alte Heimat von der Naziherrschaft zu befreien. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, zitiert sie Goethe, als er die Tür zu der Fabrikhalle öffnet, in der sie und andere Überlebende des Todesmarschs die letzten Tage verbracht hatten. 

Schicksalhaft

Eine Begegnung, die tiefe Spuren hinterlässt: Wenig später wurden Gerda und Kurt ein Paar, sie folgt ihm in die Vereinigten Staaten, wo sie, nun als Gerda Weissmann Klein, später ihre Erinnerungen an die Torturen in einem Buch festhält, das in ihrer neuen Heimat rasch zum Bestseller wird: „All but my life“, zu Deutsch „Nichts als das nackte Leben“ erschien seit seiner Erstauflage 1957 bis 2015 in 66 Auflagen – das Buch ist in den USA beinahe so bekannt wie das Tagebuch der Anne Frank, ein Standardwerk der Holocaust-Literatur. Bis zu ihrem Tod 2022 war Gerda unermüdlich im Einsatz für Minderheiten und Benachteiligte, sprach Traumatisierten Mut zu.

Als unerschrockene Aufklärerin und Zeitzeugin der NS-Herrschaft, deren Schicksal im Dokumentarfilm „One Survivor remembers“ festgehalten 1995 sowohl einen Emmy als einen Oscar erhielt, als Rednerin vor der UN-Vollversammlung 2006 oder als Trägerin der „Medal of Freedom“, die ihr Barack Obama 2011 überreichte, ging sie in die US-Geschichte ein. Mit Kurt war sie bis zu dessen Tod 2002 glücklich verheiratet. Nun ist aus der Geschichte der beiden ein weiteres Buch entstanden, das die Erinnerung wachhalten soll.

Bewegtes Leben

Zu verdanken ist das Wolfgang Widder. Der Wieslocher hat die Geschichte von Gerda und Kurt 2019 durch Zufall entdeckt, und ist seitdem auf einer Mission: Das Paar in Deutschland und vor allem in der alten Heimat Kurts, der Kurpfalz, bekannt zu machen. Denn die Geschichte Kurts ist mindestens ebenso erzählenswert wie die seiner Frau: So ist es wohl ihm zu verdanken, dass Oskar Schindler nach dem Krieg nicht in russische Gefangenschaft geriet, er war Teil der legendären Ritchie-Boys und mit seiner Ehefrau gründete er eine Stiftung, die sich bis heute für die Aufklärung des Holocaust, für Menschenrechte und Toleranz einsetzt.

Walldorf: Kurt Klein

pr/www.kurt-klein.de

Kurt Klein als Jugendlicher in seiner Heimatstadt Walldorf vor dem Denkmal für Johann Jakob Astor.
Kurt Klein

pr/www.kurt-klein.de

Kurt Klein kurz vor seiner Hochzeit mit Gerda Weissmann
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Weiteres Mosaiksteinchen

Nach Widders 2022 erschienenen Buch „Kurt Klein – eine biographische Skizze“ und den ersten Kurt Klein-Tagen in Walldorf im selben Jahr ist ein weiteres Werk entstanden: „Gerda und Kurt – Die Geschichte zweier Juden in der Nazi-Zeit“ ist eine Graphic Novel, die die Geschichte des Paars zum Thema hat. Mit der französischen Comic-Zeichnerin Raissa Chikh, die in Berlin lebt und arbeitet, hat Widder sie auf rund 100 Seiten zusammengefasst.

Schwetzingen: Kurt Klein Tage 2022 - Lesung mit Wolfgang Widder

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Wolfgang Widder bei einer Lesung anlässlich der Kurt-Klein-Tage 2022

Schwarz-weiss

In schwarz-weißen, oft großformatigen und eindringlichen Bildern wird hier das Schicksal der beiden Protagonisten bis zu ihrer Begegnung parallel beleuchtet. Das von Gerda, die im schlesischen Bielitz (heute Bielsko, Polen) aufwächst, von den Nazis ins Ghetto und dann in Arbeitslager gesteckt wird, wo Zwangsarbeit am Webstuhl und auf den Feldern das Leben bestimmen, immer der permanenten Gewalt durch sadistische Aufseher ausgesetzt und in der Angst, nach Auschwitz geschickt zu werden.  Und die Geschichte Kurts, der vor der zunehmenden Anfeindung in Walldorf 1937 nach Amerika flieht. Seine vergeblichen Versuche, seine Eltern nachzuholen, die scheitern, nicht zuletzt aufgrund der US-Bürokratie.

Zwei junge Menschen, die dem NS-Terror in unterschiedlicher Weise zum Opfer fielen und die Unvorstellbares durchmachen mussten. Die Autoren zeigen das ländliche Leben, in das nach und nach der Terror des NS-Regimes einfällt, das Zusammenleben vergiftet und aus Bürgerinnen und Bürgern Außenseiter, Verfolgte und schließlich zu Opfern einer brutalen und mörderischen Maschinerie werden lässt. Doch sie erzählen auch von Schicksalen, Freundschaften in höchster Not und am Ende von einer Begegnung, die den Grundstein für eine gemeinsame Zukunft und ein außerordentliches Lebenswerk legt. Das macht Hoffnung.

Wolfgang Widder, Raissa Chikh - „Gerda und Kurt“

verlag regionalkultur

Ein besonderes Augenmerk der Autoren liegt auf dem didaktischen Effekt des Buchs: Gerade junge Menschen haben durch das Format Comic einen einfachen Zugang zu der Geschichte, zumal sie das Schicksal junger Menschen beleuchtet. Und zwar nicht anonym und irgendwo, sondern im Falle Kurt Kleins ganz konkret in Walldorf - Baden - Baden-Württemberg. Für Schulen möchte Widder deshalb einen Materialkoffer zusammenstellen, mit Anregungen und Materialien für den Unterricht, die Graphic Novel ist hier natürlich ein entscheidender Teil.