Eine Insel mit zwei Nadeln

Stricken hat sein angestaubtes Image längst abgeschüttelt. Rund um den Globus wird genadelt, was das Strickzeug hält, nach schicken, modernen Designs. Gar nicht wenige davon kommen aus einem hübschen Häuschen in der Besigheimer Altstadt

Zwei Nadeln und ein Faden oder zwei, damit kommt Isabell ­Kraemer um die ganze Welt. Heute San Francisco, morgen Barcelona. „Aber ich bin auch gerne daheim“, sagt die 49-Jährige. Daheim, das ist zugleich ihr Arbeitsplatz: ein denkmalgeschütztes Fachwerkhaus mitten in der verwinkelten Besigheimer Altstadt.

Werbung

Wolle, Kreativsets, Anleitungen und Strickzubehör - Jetzt online bestellen!

Stricken ist nicht mehr altbacken

Es steht in einer Gasse, die für gestern dimensioniert wurde und heutigen Autofahrern den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Gar nicht von gestern ist dagegen, was im zweiten Stock passiert. Dort entstehen Trends, die um die Welt gehen. Isabell Kraemer gehört zu der Generation, die das Stricken runderneuert hat. Verflogen ist der Ruch des Alternativen und Altbackenen: flotte Schnitte, pfiffige Details, Spaß ist das oberste Gebot.

Isabelle Kraemer verkauft am Laptop Strickwaren

Mein Ländle/Jean-Claude Winkler

Isabelle Kraemer verkauft ihre Strickwaren hauptsächlich online.

Internationale Strick-Community

Das Internet leistete bei dieser Renaissance Geburtshilfe. Insbesondere die Online-Plattform „ravelry.com“, die immerhin rund sechs Millionen User zählt. Strickfans aus aller Welt füllen hier digitale Notizbücher mit Projekten. Sie führen Buch über Kleider­schränke voller Garn, schmieden Zukunftspläne voller Wollfäden und knüpfen Kontakte über alle Grenzen hinweg: Kalifornien schickt Ratschläge zur Lacetechnik nach Freiburg und Radolfzell bekommt Tipps zu bunten Fairisle-­Mustern ­direkt aus den schottischen Highlands. ­

„Geliked“ wird fleißig, der Umgangston ist freundschaftlich, eine sympathische Hobbyisten-Gemeinde, so soft und wärmend wie die Wolle, die sie kilo(meter)weise verstrickt und verhäkelt.

Arbeitsgeräte einer Strickdesignerin

Mein Ländle/Jean-Claude Winkler

Arbeitsgeräte einer Strickdesignerin: Wolle, Papier und ein Laptop.

Schlüsselsatz aus einem Lebenslauf

Auch die Hausherrin in der Besigheimer Altstadt verdankt ravelry, dass sie heute vom Stricken lebt. Wie viele ihrer Kollegen vertreibt sie ihre Entwürfe in erster Linie online. Auf die Idee wäre sie von allein vielleicht nicht gekommen; den anfänglichen Schubs bekam sie von einer argentinischen Freundin und Kollegin.

Daran erinnert sich Isabell Kraemer noch sehr gut: „‚Verkauf das‘, hat sie zu mir gesagt. ‚Damit kannst du Geld verdienen …‘“, ein Schlüsselsatz aus einem erfolgreichen Lebenslauf.

Tipps zur Gestaltung des Lebenslaufs

Vom Modetraum zur Strick-Realität

Isabells Entwürfe wirken entschieden europäisch, eine Art Wolle-Mercedes: qualitätvoll, modern und doch zeitlos. Das fachliche Hintergrundwissen sieht man den Designs an. So ganz ahnungslos startete Isabell als gelernte Schneiderin nämlich nicht in das flauschige Metier. Geplant hatte sie trotzdem ganz was anderes: Directrice, Modedesign, der ganze Stoff, aus dem Pariser oder Mailänder Modeträume genäht werden, das war das Ziel.

Aber das Leben bremste die zierliche Zwanzigerin mit ihrem Kopf voller schicker Ideen zunächst gründlich aus. Erst kam das Überraschungskind, Maximilian, dann kamen die Trennung und die Scheidung – unmöglich, unter diesen Bedingungen weiter an der Modekarriere zu schneidern.

Isabelle Kraemer beim Stricken

Mein Ländle/Jean-Claude Winkler

Isabelle Kraemer bei der Arbeit.

So jobbte die frisch getrennte alleinerziehende Mama in einem Bastelladen. Kein Gedanke an Selbstständigkeit oder kreative Höhenflüge. Aber wer lebt, der lernt und reift, und sie begann sich etwas zuzutrauen.

Sie übernahm Teststricks für Designerinnen, fotografierte und bildete über die sozialen Medien eine Fangemeinde. 2008 legte sie mit den ersten eigenen Mustern los – modernes Start-up-Marketing wie aus dem Online-Bilderbuch.

Isabelle Kraemers Katze schaut beim Stricken zu

Mein Ländle/Jean-Claude Winkler

Kreative Zusammenarbeit mit Fell und Flauschfaktor: Aufmerksame Katzenaugen geben acht, dass sich bei Isabells Arbeit auch nichts veheddert.

„… meine typische Party: ich und ganz viel Garn …“

Inzwischen bringt Isabell Kraemer zwischen 15 und 20 Anleitungen im Jahr heraus, von der Mütze bis zum komplexen Pullover. Manche erscheinen in Strickmagazinen, das meiste aber wird online publiziert. Eine tüchtige Assistentin nimmt ihr die zeitintensive Korrespondenz ab und führt auch sonst allerlei Fäden zusammen. Buchstäblich, denn auch Isabells Muster müssen vor der Veröffentlichung mehrere Testdurchläufe bestehen.

Die Ideen pulsieren weiter, das Persönchen bleibt mit Herzblut am Anschlag: „Ich arbeite quasi immer“, sagt sie. Nachts um halb drei können sie Geistesblitze treffen, die sofort aufs Papier wollen. Abends wird auf dem Sofa „herumprobiert“, wie sie das nennt, „meine typische Samstagabend-Party: ich und ganz viel Garn.“

Strickstola von Isabelle Kraemer

Mein Ländle/Jean-Claude Winkler

Eine Stola ist ein schönes Accessoire.
Stola von Isabelle Kraemer

Mein Ländle/Jean-Claude Winkler

Trendfarbe Gelb.
PreviousNext

Strick-Lager im Gewölbekeller

Die Wolle ist überall, und sie hat so viele Projekte gleichzeitig auf den Nadeln, dass ihr die Nadeln ausgehen …, „und das heißt was, ich hab Dutzende!“ Da Fachwerkhäuser klein sind und der Stauraum begrenzt ist, hat Isabell sich auswärts beholfen. Sie mietete aber nicht etwa eine schmucklose Garage oder einen Container an, sondern einen Besigheimer Gewölbekeller der Extraklasse: Zweistöckig in die Erde gebaut, diente er schon vor hunderten Jahren als wohltemperierter Lagerraum.

Besigheim liegt an der deutschen Fachwerkstraße

Heute bieten die Kompartimente zwischen den Lattenwänden Raum für alles, was Platz braucht, von alten Fahrrädern über Brennholzvorräte bis zu allerlei Undefinierbarem, das im Halbdunkel vor sich hindämmert. In Isabell Kraemers Abteil stapeln sich Kunststoffkisten, bis zum Rand gefüllt mit Garnen, Schals, Stolas, Pullis. An manchem Stück hängen Reiseerinnerungen. Nicht etwa vom Urlaub, sondern von den Strickkursen, die sie bis nach Kalifornien bringen.

Isabelle Kraemer in ihrem Lagerraum

Mein Ländle/Jean-Claude Winkler

Sicher untergebracht: Kisten voller Garnknäuel und fertige Schals und Stolas lagern trocken und kühl zwei Geschosse tief unter der Erde.

Stricknadeln sind gefährlich …

So gut eingefädelt das alles klingt, kein Beruf ist ohne Risiken. „Stricknadeln sind gefährlich“, frotzelt Isabell Kraemer, und meint damit, dass Handarbeit eben ein Sitzsport ist. Wandern und Laufen helfen gegen gelegentliche Rückenprobleme und gegen die einsame Stille der Fäden. Und dann sind da noch die Nachbarn, die für Isabell Kraemer Freunde geworden sind.

Den Sommer verbringt die eng zusammengewachsene Altstadt-Gemeinde „auf der Straße“. Alle in ähnlichem Alter, zwischen 48 und 55 Jahren, treffen sie sich regelmäßig, tauschen sich aus und helfen sich. Manchmal sogar beim gemeinsamen Bierbrauen. „Ich darf die Etiketten auf die Flaschen kleben“, scherzt die Designerin ein bisschen selbstironisch und ein bisschen stolz. So kann nur jemand lächeln, der seinen Platz im Leben gefunden hat. Zum Beispiel in Besigheim in einem Häuschen voller Stricknadeln und Wolle.

STRICKANLEITUNG

Leni – Lässige Pomponmütze

Lust auf warme Ohren? Dann stricken Sie doch die Mütze "Leni". Hier gibt's die Strickanleitung:

© 2019 Handstrickdesign von Isabell Kraemer

Strickmütze Modell Leni von Isabelle Kraemer

Mein Ländle/Jean-Claude Winkler

Auf die Mütze, fertig – flausch! In softem Merino oder Seiden-Mohair-Mix trägt sich „Leni“ besonders angenehm.
Isabelle Kraemer zeichnet eine Anleitung zum Stricken

Mein Ländle/Jean-Claude Winkler

Von der ersten Zeichnung zur fertigen Anleitung ist es ein langer Weg …
PreviousNext

Garn

Irish Fairytale Yarns, Merino (400 m/100 g), hier in der Farbe Rocko
Irish Fairytale Yarns, Super Kid Mohair Mulberry Silk (700 m/50 g), hier in der Farbe Mjölnir

Beide Garne werden zusammen verstrickt (alternativ kann ein Garn in DK-Stärke verwendet werden).
Ungefährer Verbrauch: Jeweils etwa 186 (201, 217) m; inklusive des optionalen Pompons!

Nadeln

3,5-mm-Rundnadel, 40 cm, für das Bündchen
4-mm-Rundnadel, 40 cm, und Nadelspiel für den Mützenkörper

Maschenprobe

21 M × 32 Rh = 10 × 10 cm glatt rechts gestrickt auf der dickeren Nadel nach Waschen und Spannen

Maße der fertigen Mütze

Umfang (ungedehnt): 46 (49,5 – 53,5) cm
Für einen Kopfumfang von 51/54,5 (54,5/58,5 – 58,5/62) cm
Höhe (ohne Pompon): 21,5 cm

Zubehör

Glatter Garnrest und Häkelnadel für den provisorischen Maschenanschlag, Reihenzähler (optional), 8 Maschenmarkierer, Stopfnadel, Pompon-Maker oder Kunstfell-Pompon (optional), Zubehör zum Spannen

Hier können Sie die Strickanleitung kostenlos herunterladen (PDF) (https://www.ravelry.com/patterns/library/leni-5)

Maßzeichnung Mütze Leni

Mein Ländle/Isabelle Kraemer

Video: Den mitgeführten losen Faden einstricken (Englisch, Übersetzungsfunktion nutzen):

Den mitgeführten losen Faden einstricken (1 re lFe) (Text, Englisch); Übersetzung per Untertitel: Auf Einstellungen klicken (Zahnrad), Untertitel aktivieren, Englisch ist ausgewählt, dann auf „automatisch übersetzen“ klicken und Deutsch auswählen.

Video: Provisorischer Maschenanschlag (Englisch, ggf. Übersetzungsfunktion nutzen)

Provisorischer Maschenanschlag (Text, Englisch); Übersetzung per Untertitel: Auf Einstellungen klicken (Zahnrad), Untertitel aktivieren, Englisch ist ausgewählt, dann auf „automatisch übersetzen“ klicken und Deutsch auswählen.