Anruf aus Calw. Am Telefon Tochter Carolyn. „Stellt euch vor, was wir gestern Abend gesehen haben!“ Zwei Dachse, sagt sie, seien ganz gemütlich über die Straße und quer durch den Garten marschiert. Zunächst will ich es nicht glauben; aber das Handy­foto ist Beweis genug. Zwar klein, weil im Schein der Straßenbeleuchtung aufgenommen, aber unverkennbar waren die schwarz-weißen Gesichtsmasken und der markante Körperbau zu erkennen.

Video: Ein Dachs im Garten - was tun?

Tatsächlich bekommen die wenigsten Menschen den Dachs zu Gesicht. Aber dann und wann sind am Waldrand oder auf einer Lichtung die Eingänge seiner unterirdischen Bauten zu sehen. Im Bauen ist der 70 bis 90 Zentimeter lange Erdmarder (der Schwanz misst nochmal 15 Zentimeter) dank seiner Grabkrallen ein unübertrefflicher Meister. Wenn mehrere Generationen an der unterirdischen Burg geschaufelt haben, kann sie bis zu sechs Meter tief in den Boden reichen und sich auf verschiedenen Ebenen zwischen 20 und 30 Metern ausdehnen. Die Dachsfamilie muss dann aufpassen, dass sie sich in den weiträumigen Lauf- und Entlüftungsgängen nicht verirrt.

Eine qirlige Dachsfamilie

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Eine quirlige Dachsfamilie

Der nächste ­Nachwuchs, bitte …

Schon wenige Wochen nach der Geburt verpaaren sich Dachse wieder. Eine Art Keimruhe sorgt dafür, dass die Tragezeit von 45 Tagen erst nach fünf oder gar zwölf Monaten nach der Befruchtung beginnt.

Die Kinderstube der Natur

Auf Reinlichkeit legt der Dachs großen Wert, und so liegt die ­Toilette außerhalb. Nur die Jungen haben ihr WC gleich neben der Kinderstube. Alle Wege im unterirdischen Bau führen in die Schlafkammer, die mit Laub und Moos ausgepolstert ist. Das Lager wird bei den Dachsen laufend ausgewechselt. Kaum zu glauben, dass der Dachs nasses Gras vorher oftmals zum Trocknen unter einem Baum auslegt. Selbst federndes Reisig findet sich unter der Bettpolsterung.

Dachsbau: Familiensitz für Dynastien

Solche Dachsbauten können Jahrhunderte alt sein; manche sind sogar über viele menschliche Generationen hinweg dokumentiert und in manchen Fällen zu besonderen Landschaftselementen geworden. Es sind Dachsbauten bekannt, die sich über eine Fläche von über 2500 Quadratmetern erstreckten – bei über 90 Zugängen, in der Jägersprache auch „Einfahrten“ genannt. Da Dachse bis zu 15 Jahre alt werden können, haben daran ganze Dynastien mitgewirkt.

Die fleißigen "Burgenbauer" schaffen mit ihren weitverzweigten Bauten oft Wohnraum über viele Generationen hinweg

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Die fleißigen "Burgenbauer" schaffen mit ihren weitverzweigten Bauten oft Wohnraum über viele Generationen hinweg

Ein typischer Marderbau im Ländle hat im Durchschnitt sechs Zugangsröhren, von denen vier „befahren“ sind. So berichtet der Zoologe Manfred Pegel, der die Wildforschungsstelle des Landes in Aulendorf aufgebaut und lange geleitet hat. Kein Wunder, dass wegen der markanten Dachsbauten so manche Orts- und Flurbezeichnungen Hinweise auf den Dachs geben. Etwa die 1500-Seelen-­Gemeinde Dachsberg im Südschwarzwald oder der Stuttgarter Stadtteil Dachswald.

Der haarige Burgherr sieht schlecht

Weibchen (Fähen) wiegen bis zu zehn, Männchen (Rüden) bis zu 13 Kilo. Das gewichtige Nachttier hat schlechte Augen, dafür riecht es besser als der Hund und hört außerdem ausgezeichnet. So gut ausgerüstet, geht der Dachs auf Pirsch, offenbar auch mitten im Calwer Wohngebiet. Der Allesfresser benutzt fast stets dieselben Jagdstrecken, wobei er gerne Wiesen durchstöbert.

Die Allesfresser machen sich im Sommer auch über Vogelnester von Bodenbrütern her.

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Die Allesfresser machen sich im Sommer auch über Vogelnester von Bodenbrütern her

Auf dem Speiseplan stehen je nach Jahreszeit Schnecken und Regenwürmer. Letztere bilden für eine säugende Dächsin die Hauptnahrung. Sobald sie einen Wurm aufgespürt hat, wird er mit den kräftigen Krallen aus dem Boden gezogen. Dachse verspeisen auch Wurzeln, Vogel­eier, Jungvögel, allerlei Insekten und Larven sowie kleine Säugetiere wie zum Beispiel Rötel- und Feldmäuse. Im Sommer und Herbst bestimmen Kirschen, Beeren, Pilze, Feldfrüchte wie Mais und anderes Getreide sowie allerlei Fallobst den Speisezettel. Dabei ist der Dachs kein eigentlicher Jäger wie der Fuchs, sondern eher Schnüffler und Sammler. Was er verspeist hat, ist dem meist dunklen, wurstartigen Kot deutlich anzusehen, der auch öfter in Obstwiesen und Weingärten zu finden ist.

Ins Gesicht ­geblickt

In manchen Märchen musste der Dachs die Schurkenrolle spielen. Daran mag wohl seine dunkle Maske schuld sein. Die schwarzen Streifen auf der weißen Schnauze verleihen ihm einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, sein Markenzeichen. Die Maske tragen bald auch schon die zwei bis vier Jungen. Wenn sie zwischen Januar und März zur Welt kommen, sind sie zunächst weiß.

Als ausgesprochener Nachtwandler verschläft der Dachs den Tag und wird erst bei Dunkelheit aktiv. So kann es passieren, dass nächtliche Spaziergänger durch seine menschenähnlichen Schreie erschreckt werden. Aber keine Angst, der Dachs gilt als harmlos. Nur beim Graben ist er bärenstark und setzt seine kräftigen Krallen ein.

Der Fuchs zieht manchmal als "Nachmieter" in Dachsbauten ein

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Der Fuchs zieht manchmal als "Nachmieter" in Dachsbauten ein

Tollwutgefahr gebannt, aber Lebensraum bedroht

Oft bewohnen Füchse als Untermieter die Dachsbauten. Das wurde dem Grimbart vor rund 60 Jahren fast zum Verhängnis, denn in vielen Gegenden wurden zur Bekämpfung der Tollwut die Bauten vergast. Seit Ende der 1970er-Jahre erfolgreich Impfstoffe in Ködern für die Füchse ausgelegt werden, ist diese Gefahr gebannt. Meister Grimbart kennt außer dem Menschen keine Feinde.

Weil der Dachs weniger im Wald als auf dem Feld oder in Obstwiesen auf Nahrungssuche geht, engt aber die landwirtschaftlich intensiv genutzte Flur seinen Lebensraum ein. Eine große Gefahr bildet auch die Landschaftszerschneidung durch immer mehr Straßen und Wege. Der Autoverkehr kostet so manchen das Leben. Im beruhigten Wohngebiet zwischen Wald und Steilhang in Calw, wo langsam gefahren wird, scheinen die Dachse noch sicher leben zu können. Ob sie sich in den Hausgärten ansiedeln?

Die schwarzen Streifen auf der weißen Schnauze verleihen dem Dachs einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, sein Markenzeichen

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Die schwarzen Streifen auf der weißen Schnauze verleihen dem Dachs einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, sein Markenzeichen
Ist der Boden weich, feucht und ohne Vegetation, hinterlassen Dachse typische Trittsiegel mit gut erkennbaren Abdrücken der Krallen. Sie sind viel länger als beim Fuchs

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Ist der Boden weich, feucht und ohne Vegetation, hinterlassen Dachse typische Trittsiegel mit gut erkennbaren Abdrücken der Krallen. Sie sind viel länger als beim Fuchs
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Bei einem Besuch bei Tochter und Schwiegersohn zeigen sie uns nicht nur den typischen Kot, sondern auch ein veritables Erdloch. Vom Dachs gegraben? „Weit werden sie jedenfalls nicht kommen“, sagt Carolyn und ist sich sicher, dass der liebevoll gepflegte Bauerngarten nicht beeinträchtigt wird. „Bei uns hier am Hang kommt überall schnell der Fels; ohne ausreichend Erd­auflage wie auf manchen Höhenzügen ist der Buntsandstein des Nordschwarzwaldes nicht mardertauglich“. Übrigens sind Dachse durchaus auch jetzt in der Winterzeit unterwegs. Sie halten nämlich keinen Winterschlaf, sondern nur eine Winterruhe, während der sie dann und wann den Bau verlassen, um auf die Dachstoilette in der Nähe des Baus zu gehen oder Nahrung zu suchen.

Traditionalisten schwören noch darauf: Sie nutzen Rasierpinsel aus echtem Dachshaar

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Traditionalisten schwören noch darauf: Sie nutzen Rasierpinsel aus echtem Dachshaar

Es waren ­einmal … überall Dachsprodukte

Traditionalisten schwören noch darauf: Sie nutzen Rasierpinsel aus echtem Dachshaar, weil sich damit die Rasierseife zu einem perfekten Rasierschaum mit besonders sahniger Konsistenz schlagen lässt, perfekt für die Rasur mit dem Rasiermesser oder dem Hand-Nassrasierer. Früher gehörten solche Rasierpinsel in jeden Haushalt, sie wichen aber ab den 1960er-Jahren ebenso wie Rasiermesser oder Rasierklinge den scheinbar „bequemeren“ Elektrorasierern sowie den Doppel- und Dreifach-Klingen und dem Rasierschaum aus der Dose.

Künstler verwendeten breite Pinsel aus Dachshaar. Solches zierte, ähnlich wie der Gamsbart, auch so manchen Hut. Viele dieser Produkte bestehen heute jedoch aus synthetischem Dachshaarimitat.

Aus den Hausapotheken weitgehend verschwunden ist das Dachsfett. Es sollte ein besonders wirksames Naturheilmittel gegen Rheuma sein. Irgendwie hat Dachsfettsalbe dennoch überlebt und ist, angereichert mit allerlei Kräuterextrakten, zu stattlichen Preisen im Internet und auf manchen Märkten im Angebot. Genutzt wurde einst auch das Dachsfell. Hildegard von Bingen etwa empfahl die „Heilende Wirkung“ von Schuhen aus Dachsleder, welche vor Pest schützen sollten. Na ja, wohl nicht alles an der „guten alten Zeit“ war tatsächlich gut.

Anders dagegen in der Kulinarik: Da Dachse nicht als gefährdet gelten, dürfen sie nach dem baden-württembergischen Jagdrecht zu bestimmten Zeiten gejagt werden. Was Jäger früher nur für sich selbst nutzten, ­tischen jetzt so manche jagende Edelgastronomen als besondere Spezialität auf: geräucherter Dachsschinken.

Regionales Schlaglicht:

Der Dachsenfranz, historisches Original aus dem Kraichgau, lebte naturverbunden in einer Waldhöhle, verkaufte Dachsfelle und seine Spezialsalbe aus Dachsenfett. Die Überlieferung erzählt sogar von einem legendären Rezept „Dachs à la Dachsenfranz“, das einem Besucher als das beste Wildgericht in Erinnerung geblieben sein soll.

Dachsenfranz Biermanufaktur

Claus-Peter Hutter

MEIN LÄNDLE/Holm Wolschendorf

Claus-Peter Hutter, der ehrenamtliche Präsident der Umwelt­stiftung NatureLife-International und langjährige Leiter der Akademie für ­Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher zur Umweltbewahrung und zum Verbraucher­schutz. Er hat viele Modellprojekte zur Naturbewahrung realisiert und setzt sich für einen unverkrampften Dialog von Wissenschaft, Umweltbildung und Naturschutzpraxis ein.